Kommt uns nicht mit Vollendetem. Das Perfekt erzählt

Erzählung zum Thema Zeit

von  EkkehartMittelberg

das Plusquamperfekt hat sich vorgedrängt ( E. M.: „Das Plusquamperfekt erzählt“). Es kommt doch erst nach mir. Aber jetzt bin ich dran.
Ich erzähle von großen denkwürdigen Taten („Es ist vollbracht“, „Veni, vidi, vici“) oder von tragischen Misserfolgen („Man hat dich auf der Waage gewogen und zu leicht befunden“) und doch lieben mich die meisten Literaten nicht. Sie sehen ein, dass sie nichts Vollendetes fertigbringen.
Darum haben sie das Unvollendete zum Ideal erhoben, um sich bei denen einzuschmeicheln, die nie fertig werden und aus Bequemlichkeit ihre Fehler nicht korrigieren oder, um es positiv zu sehen, weil die Klügsten von ihnen wissen, dass sich der Staub des Vergessens irgendwann auch auf das Vollendete legen wird, dass sie aber in einer unendlichen Kette von Unvollendetem weiter schreiben können.
Sie wissen ja, dass ich das Vergangenheitstempus bin, das als präsentisches Perfekt (vollendete Gegenwart) mit großer Macht in die Gegenwart eingreift: Stellen Sie sich vor, dass bei Ihnen der Blitz eingeschlagen hat. Sie haben sich nämlich verliebt, weil Sie ihr zu tief in die Augen geschaut haben. Die Folge davon ist, dass Sie sich jetzt in einem unberechenbaren Zustand befinden. Ehe Sie realisiert haben, wie es passiert ist, haben sie der Geliebten ihr ganzes Leben erzählt und sie hat Ihnen fast alle Ihre Torheiten verziehen. „Gern hab ich die schönen Frauen geküsst, hab nicht gefragt, ob es gestattet ist.“ Das dürfen Sie ihr ruhig gestehen, aber erst, nachdem Sie sie geküsst haben und nachdem sie von Ihnen hingerissen ist, aber vergessen Sie nicht hinzuzufügen, dass Sie alle anderen vergessen haben, jetzt, nachdem Sie ihr begegnet sind. Sie glaubt es Ihnen, weil sie es glauben möchte. Sie hat ja vorher schon gewusst, dass Sie ein Schwerenöter sind. Aber erzählen Sie ihr nicht, dass Sie gesessen haben. Solche Geständnisse haben schon die größte Liebe ins Wanken gebracht. .“
An diesem Beispiel können Sie sehen, wie vielfältig meine Möglichkeiten sind. Ich berichte ja nicht nur von Geschehnissen, die in der Gegenwart nachwirken, sondern auch von der Flüchtigkeit des Lebens.
Dort drüben, auf dem Stein... weißt du noch?
Da sind wir stundenlang gesessen.
Wir haben geredet, über Ängste, über Glück.
Über das Leben und den Tod.
Du hast mir gesagt, du fürchtest ihn nicht.
Er gehört zum Leben dazu.
Ein Ende und ein Anfang in einem.
Ich sitze allein auf unserem Stein.
Sehe in die Ferne, blicke in den Himmel und frage dich:
"Hast du recht behalten?"
© Annika Sukup
Vielleicht werden Sie jetzt melancholisch. Doch bedenken Sie dies:

Du hast geschafft, gelacht, gedacht,
gemeint, es würde nie vergehen,
dein Licht, es scheint vom Wind verwischt.

Doch Liebe hat’s neu angefacht,
mit ihrem Schutz wird es bestehen,
weil in der Liebe nichts erlischt.
Ekkehart Mittelberg

Bevor ich Ihrem sinnenden Blicke entschwunden bin, möchte ich Sie daran erinnern, dass Menschen, die sich des konstatierenden Perfekts bedienen, von ihm zu klaren Aussagen geleitet werden: „Alea iacta est.“ (Der Würfel ist gefallen).  „Gesagt ist gesagt.“

© Ekkehart Mittelberg, Februar 2016

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (02.02.16)
Ich gebe zu, ich mag das Vollendete nicht. Ich will, dass es immer weitergeht. DAS ist für mich Perfekt.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.16:
Merci, Trekan, ich sehe es trotz der Selbstironie ebenso.
Sätzer (77) antwortete darauf am 02.02.16:
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 AZU20 schrieb daraufhin am 02.02.16:
Da schließe ich mich aber jetzt mal an, zuumal auch der Inhalt der Bemerkung Trekans mir gefällt. LG

 TrekanBelluvitsh äußerte darauf am 02.02.16:
Irgendwie versuche ich zu überleben. Das ist eine Methode. Eine andere ist, regelmäßig bei Ekki vorbeizuschauen, ehrlich jetzt.
Sätzer (77) ergänzte dazu am 02.02.16:
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Hannahlulu (18) meinte dazu am 02.02.16:
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 loslosch (02.02.16)
der latein-professor: "alea iacta est" heißt nicht "der würfel ist gefallen", sondern "der würfel ist geworfen".

was macht der stein, wenn er geworfen ist? er fällt!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.16:
Danke, Lothar, der gute Übersetzer geht der Sache auf den Grund. Ich glaube, dass es die Bezeichnung "resultatives Perfekt" gibt. Sie wäre hier angebracht.

 TassoTuwas (02.02.16)
Hallo Ekki,
diese Erzählung ist ein gelungener Bogenschlag von heiteren Betrachtung zur ernsthaften Besinnlichkeit.
Ich denke der Moment des Perfekten hat eine gewisse Traurigkeit, denn was kommt dann...
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.16:
Fein, Tasso, dass du den Moment des Perfekten mit Traurigkeit verbindest. Genau darauf heben die beiden Gedichte in meinem Text ab.
Herzliche Grüße
Ekki
Graeculus (69)
(02.02.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.16:
Merci Graeculus. Ich denke das eigentliche Erzähltempus für Geschehenes ist immer das Präteritum gewesen. Aber gute Erzähler haben es mit Perfekt und Plusquamperfekt aufgelockert und die zeitlichen Perspektiven differfenziert.
Du hast Recht mit deiner Beobachtung, dass Synchronisationen US-amerikanischer Serien zu einer Verödung des Tempus-Gebrauchs beitragen.
Graeculus (69) meinte dazu am 02.02.16:
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Abulie (45)
(02.02.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.16:
Liebe Abulie,
ich kann dir versichern, dass man allein mit logischem Denken und Sprachgefühl die Tempora regelkonform verwenden kann. Mit den Konjunktiven ist das etwas schwieriger.
Aber mir geht es in meinen Erzählungen über die Tempora gar nicht so sehr um deren regelgerechte Verwendung, sondern darum, dass man als Literat ihre unterschiedlichen Perspektiven auf Wirklichkeit nutzt und mit ihnen kreativ spielt.
Es ist ungewöhnlich und sympathisch, wie offen du dich zu deinem Wissensdefizit in puncto Tempora bekennst. Andere funktionieren Wissensdefizite (egal auf welchem Gebiet) in Aggressionen gegen die um, die etwas mehr davon verstehen.
Merci und LG
Ekki
Abulie (45) meinte dazu am 02.02.16:
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wa Bash (47)
(02.02.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.16:
Das freut mich. Ich danke dir.
Lance (52)
(02.02.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.16:
Lieber Lance,
gracie, ich freue mich sehr, dass auch du den Akzent auf das kreative Spiel legst.
Ich kann mich erinnern, dass wir als Kinder beim Bauen eines Baumhauses so sehr in unser Spiel versunken waren, dass wir Bewertungen unseres Tuns vergaßen. Die gab es später von Erwachsenen.
LG
Ekki
Hannahlulu (18)
(02.02.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.16:
Merci, Hannah, du hast ein feines Gefühl für literarische Unterschiede.
Das Futur III möchte ich gerne dir überlassen. Es ist doch deine Erfindung. Vielleicht mache ich mit dem Präteritum weiter.
Liebe Grüße
Ekki
Festil (59)
(03.02.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.02.16:
Gracie, Festil, das ermuntert mich weiterzumachen.
Liebe Grüße
Ekki
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