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Tagebuch zum Thema Psyche

von  keinB

Ich habe mich unterm Bett versteckt. Natürlich ist mir völlig klar, dass man mich finden wird. Aber ich werde mich nicht kampflos ergeben. Ich werde kratzen, schlagen, treten und beißen - wie letztes Mal auch - und mich nicht kampflos ergeben.
Der Boden ist dreckig und kalt, und dass ich außer einer Unterhose mit rosafarbenen Sternchen nichts trage, macht diesen Umstand nicht besser.

Stimmengewirr.
"Sie ist schon wieder unter’m Bett."
"Schon wieder? Dieses Kind! Kein Wunder ist die Mutter nach Hause gefahren."

Ja, richtig, da war was. Ich bin ja zu ... anstrengend oder so. Ich blamiere sie ständig, falle ihr auf die Nerven, die ich sie anschließend koste und wäre ja besser nie gebor...

Ein Gesicht lugt unter das Bett.
"Na, komm schon. Ist doch nicht so schlimm und gleich vorbei."
"Aber das Pflaster ziept und tut weh. Ich mag das nicht!"
Der Pfleger hält mir die Hand hin.
"Komm vor. Ich verprech’ dir, dass das Pflasterwechseln nicht so schlimm wird."

Er lügt. Das Abziehen ist so schlimm und schmerzhaft wie immer. Das Pflaster ist riesig und bedeckt fast den gesamten Brustkorb.

"Das sieht ziemlich gut aus. Bald können die Fäden raus."
Ich senke den Kopf und schaue auf die 30 Zentimeter lange Wunde und ihre Nähte. Den Anfang kann ich nicht mal sehen, wenn ich schiele, das Ende befindet sich ein paar Zentimeter überm Bauchnabel. Ich stupse mit dem Zeigefinger gegen eine der Nähte.

"Nicht!" Der Pfleger schiebt meine Hand weg.
"Jetzt muss ich noch mal desinfizieren. Kein Wunder, dass deine Mutter dich allein gelassen hat, wenn du immer alles antatschst und nicht folgst."

Die restliche Zeit der ’Behandlung’ bin ich bemüht, mich zu benehmen. Ich baumle nicht mit den Beinen, patsche nichts an, sage keine dummen Dinge, eigentlich sage ich gar nichts, ich starre an die Decke und erzähle mir selbst lautlos Märchen, wie ich es jede Nacht mache, und schelte mich, wenn mir nicht die richtigen Wörter einfallen oder meine Erzählung vom Original abweicht.

Ich muss mir mehr Mühe geben. Vor allem jetzt, wo sie mich endlich operiert haben und ich wahrscheinlich überleben werde.

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Kommentare zu diesem Text

Kokosflöckchen (15)
(18.06.16)
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 keinB meinte dazu am 18.06.16:
Wie sollte es auch? Es ist ja meins.
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