1
 Inhalt 
3 
 1
3 

2

Novelle zum Thema Weihnachten

von  Skala

Im Zugabteil saß nur ein einziger weiterer Fahrgast, ein Jugendlicher mit langen, schwarzen Haaren, ein Paar dieser großen Kopfhörer auf den Ohren, die man in letzter Zeit so häufig an jungen Menschen sah. Kowalski ließ sich auf einem der Sitze nahe dem Aufgang zum Einstiegsbereich nieder, mit dem Gesicht in Fahrtrichtung. Die Zugfenster waren beschlagen, und nur schemenhaft konnte er die Menschenmassen, die auf dem angrenzenden Bahnsteig entlanghasteten, erkennen. Er schnaubte. Eigentlich, so dachte er, war es der helle Wahnsinn, in dieser modernen, fortschrittlichen Zeit kein eigenes Auto zu besitzen, sondern sich auf ein Unternehmen zu verlassen, dessen größte Serviceleistung das Anpreisen ungesalzener Gerichte zu gesalzenen Preisen war – die man je nach Verspätung leider nötig hatte, wollte man nicht verhungern.

Irgendwo klingelte ein Telefon. Kowalski blickte sich um und sah, wie der junge Mann die Kopfhörer von seinen Ohren hob. Musik, die Kowalski nichts sagte, drang quer durch das Abteil bis an seine Ohren. Der Junge blickte auf sein Smartphone, nahm einen Anruf an und hielt das Gerät ungeachtet der Kopfhörermusik an sein Gesicht.
„Ey, ja, Mann.“
Kowalski bemühte sich, nicht hinzuhören.
„Ey, nein, Mann.“
Kowalski bemühte sich noch ein wenig mehr, nicht hinzuhören, und fragte sich, ob er wohl kurz die Zugtoilette aufsuchen sollte, um dem jungen Mann ein wenig Privatsphäre zu gönnen.
„Ey, scheiße, Mann, dann sitze ich im falschen Zug!“
Kowalski entschied sich, einfach sitzen zu bleiben, denn der Bursche sprang wie von der Tarantel gestochen auf, warf sich seinen mit Aufnähern, Buttons und klirrenden Ketten verzierten Rucksack über die Schultern und hechtete an Kowalski vorbei zur Tür, sprang aus dem Zug und ließ ihn allein im Zugabteil zurück. Kowalski blickte ihm verdutzt hinterher und überlegte, wie gedankenverloren man sein musste, um sich in den falschen Zug zu setzen.

Die Türen schlossen sich hinter dem jungen Mann und der Zug fuhr mit einem Ruck an. Kowalski seufzte, nahm seinen Hut ab und legte ihn zu seiner Aktentasche auf den Sitz zu seiner Linken. Dann knöpfte er seinen Mantel ein Stück auf, während der Regionalexpress stetig schneller werdend den Bahnhof verließ. Kowalski gähnte und merkte, wie ihm die Augen immer schwerer wurden. Er fragte sich, ob er es riskieren konnte, ein Nickerchen zu machen, aber was sollte schon großartig passieren? Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf das gleichmäßige Rattern des Zuges. Kowalski kannte die Strecke in- und auswendig, deswegen wusste er, dass ihn in den nächsten zwanzig Minuten keine zusteigenden Mitreisenden stören würden. Langsam drifteten Kowalskis Gedanken ab. Was musste er noch gleich ... da waren diese Dinger in seiner Tasche ... vielleicht gab es Erbsensuppe ... Er würde die Tagesschau verpassen, die kam doch jetzt immer schon um vier Uhr nachmittags ...

Kowalski gab ein lautes Schnarchen von sich und schlug die Augen auf. Verwirrt schaute er sich um, doch er war immer noch allein. Sein Herz pochte schnell, und er fragte sich, wie lange er weggedöst war. Ein Blick auf die elektronische Zeitanzeige des Regionalexpress brachte ihm keinen Aufschluss. Sie zeigte dreiunddreißig Uhr neunundsechzig an, außerdem den 23. Dezember 1997. Kowalski runzelte die Stirn und spähte auf seine Armbanduhr. Augenscheinlich hatte er nur wenige Minuten geschlafen.
Erleichtert ließ er sich in seinen Sitz zurücksinken und schaute nach draußen in die Dunkelheit, als ...
„Guten Abend“, sagte eine sanfte, leise Stimme ...

 1
 Inhalt 
3 
 1
3 
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 unangepasste (02.12.16)
Meine Lieblingsstelle:

auf ein Unternehmen zu verlassen, dessen größte Serviceleistung das Anpreisen ungesalzener Gerichte zu gesalzenen Preisen war – die man je nach Verspätung leider nötig hatte, wollte man nicht verhungern.

Werde die Adventskalender-Geschichte weiter verfolgen. Bis jetzt gefällt sie mir gut.

 Skala meinte dazu am 04.12.16:
Liebe unangepasste,

Vielen Dank für deinen Besuch hier! Ich freue mich, dass du Kowalski weiter auf seinem Weg Richtung Weihnachten begleiten willst (und er freut sich auch, sagt er mir gerade, auch wenn ihm der letzte Bordbistro-Happen schwer im Magen liegt).

Einen frohen zweiten Advent,
Skala

 EkkehartMittelberg (03.12.16)
Die sanfte, leise Stimme am Schluss gehört wohl dem Weihnachtsmann und deshalb ist es eine Weihnachtsgeschichte. Sie würde mir auch Ostern gut gefallen.
LG
Ekki

 Skala antwortete darauf am 04.12.16:
Weihnachtsmann wäre gut ... :D Wie du mittlerweile weißt, muss ich dich da leider enttäuschen.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram