Versuchung

Kurzgeschichte zum Thema Abhängigkeit

von  Irma

Es musste ein Ende haben! Mein Freund gab mir den Tipp: ‚Ganz ohne‘ macht dich verrückt! Doch zumindest sollte man es sich keineswegs zu leicht machen, sie zu bekommen. Also nahm ich die kleine Pappschachtel und packte sie auf den Dachboden, versteckte sie vor mir selbst zwischen einer Unzahl riesiger Umzugskartons. Wenn ich es gar nicht mehr aushielt, kraxelte ich die schmalen Stufen hinauf zum Boden, um mir eine zu holen. Immer nur eine, niemals auf Vorrat. Ich zog sie aus dem Silberpapier, drehte und wendete sie bedächtig zwischen meinen Fingern und fühlte dieses wahnsinnige Brennen in meinem Bauch, noch ehe ich sie ansteckte.

Es hielt nie lange vor. Ich konnte nicht aufhören, an sie zu denken. Manchmal suchte ich sie verzweifelt in meinem Gerümpel. Aber ständig wieder stellte ich die kleine Holzleiter auf, stieg nach oben und zog mich zurück in den einsamen, kalten Keller. Der Ascher wurde schnell voll und die Schachtel leer. Irgendwann hielt ich die allerletzte Fotografie in Händen. Ich presste sie fest an meine Lippen. Es fiel mir unendlich schwer, sie anzuzünden. Die Flamme züngelte heißhungrig am Papier. - Sie war so schön, so wunderschön! Ein letztes Mal genoss ich ihren Anblick in vollen Zügen und spürte, wie sich das Gift ganz langsam in meinem gesamten Körper ausbreitete. - Ohne sie wollte und konnte ich nicht leben!

Sorgsam pustete ich die Aschereste vom Tisch. Ich trank noch eine Tasse Kaffee: schwarz, ungefiltert. Mein Herz raste. Dann zog ich meinen Mantel an, steckte mir das Feuerzeug in die Tasche und fuhr zur Tanke um die Ecke.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(25.01.17)
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 Irma meinte dazu am 26.01.17:
Das soll es ja auch nicht sein, lieber Graeculus. Open end. Deshalb habe ich meine letzten Sätze, die ich noch im Kopf hatte, gestrichen.
Freue mich, dass du meine erste Prosa-"Versuchung" hier auf KV probiert hast.
LG Irma
(Antwort korrigiert am 26.01.2017)
Graeculus (69) antwortete darauf am 26.01.17:
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 Irma schrieb daraufhin am 26.01.17:
Woraus folgerst du, dass es sich um eine weibliche Protagonistin handelt, lieber Graeculus? Wen sie besucht, müsste eigentlich ersichtlich sein. Die Frage ist eher, wie weit wird sie gehen? LG und Dank für deine Rückmeldung, Irma
Graeculus (69) äußerte darauf am 26.01.17:
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 Irma ergänzte dazu am 17.02.17:
Danke, Graecu, du hast Recht. Ich habe das Ende nochmal ein klein wenig abgeändert. LG Irma
RedBalloon (58)
(25.01.17)
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 Irma meinte dazu am 26.01.17:
Na dann wird sie ja sicherlich Maßnahmen ergreifen, bevor er vor ihrer Türe steht? LG und Dank, Irma

 TassoTuwas (26.01.17)
Da gibt es wohl keinen Mittelweg.
Sucht ist immer entweder oder, ganz oder gar nicht!
Hoffe ich irre mich!
Liebe Grüße
TT

 Irma meinte dazu am 26.01.17:
Die Frage ist und bleibt aber: Wie weit würde man am Ende gehen, wenn man abhängig ist? LG und Dank, Irma

 Jorge (27.01.17)
Für mich ein gelungenes Drabble - allerdings mit 262 Worten.
Wenn man eine Liebe möglichst schnell vergessen will, ist es zweckmässig, alle Fotos und Briefe mit einem Ruck zu verbrennen. Es bleibt immer noch ein reuevoller Neubeginn mit der "alten" Liebe.
LG
Jorge

 Irma meinte dazu am 17.02.17:
Du hast tatsächlich die Worte gezählt, lieber Jorge?

Aber du hast vollkommen Recht, es sollte tatsächlich zunächst ein Drabble werden. Ich hätte die Geschichte aber nur schwer in diesem engen Rahmen erzählen können. Freue mich jedenfalls sehr über deine Würdigung meines ersten Prosaversuchs hier auf KV! LG Irma

P. S. Und nein, alles mit einem Ruck zu verbrennen wäre für den Protagonisten keine Lösung gewesen. Er wollte ja immer wieder genüßlich leiden, sich quälen, musste die gerade verschorften Wunden immer wieder neu aufreißen.
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