Mummenschanz in Klümelsdörp

Satire zum Thema Fasching/Karneval

von  Reliwette

Halb besoffen ist weggeschmissen Geld

Vorwort

Die Zeit war gekommen, da wieder die fröhlich tolle Zeit über das ostfriesische Land hereinbrach. Normalerweise, so ist es in den Hochburgen des Karnevals üblich, beginnt die Session bereits am 11.11. um 11 Uhr 11 des Vorjahres. Da werden dann das örtliche Polizeipräsidium "gestürmt", ersatzweise das Bürgermeisteramt zwecks Schlüsselübergabe. Im Rheinland gibt es bekanntlich Dutzende von Karnevalsgesellschaften mit oder ohne eigene Prinzengarde samt Tanzmariechen. Allesamt haben eines gemeinsam: es wird zu Klängen karnevalistischer Lieder und Liedtexte geschunkelt. Einige Musikgruppen sind durch ihre themenbezogenen Songs in Deutschland und darüber hinaus bekannt geworden wie z.B. die "Höhner".

Zum rheinischen "Karnevalsbetrieb" gehören die Motivwagen, die in liebevoller Arbeit durch ihre Mitglieder gestaltet werden und zumeist politische oder gesellschaftspolitische Themen bevorzugen. Jede Menge Pappmaché wird verarbeitet. Und natürlich werden "Kamelle" geschmissen. Mittlerweile sind auch "Blumenstrüss" dabei und ganze Pralinenschachteln nach dem Motto: "Mer losse us nit lumpe!"

Karneval hat seit mehreren Jahrzehnten auch Ostfriesland erreicht. Auch in den Gemeinden haben sich interessierte Menschen zusammenge-funden, um sich in Vereinen oder lockeren Interessensgemeinschaften mit Kapelle, Wagenbau und Tanzmariechen auseinander zu setzen. Bevorzugt werden seit Jahren Discomusik mit reichlich Dezibel und "Hausbar" auf den Wagen, die teilweise durch recht liebevolle Gestaltung und gutes Handwerk auf sich aufmerksam machen. Das Schunkeln lässt sich mit "Buffda-Buffda-Musik" schlecht arrangieren, so bleibt man denn dem Suff getreu eher individuell in der Menge.

Veel Lü sünt unnerwegens

Opa Hermann hatte das Fahrradgespann schon vor der Haustür bereitgestellt. "Bist du fertig, Amos? Heute brauchst du den Werder-Bremen-Schal nicht umzubinden! Es reicht eine Pappnase und eine Schalke O4-Mütze."
Opa Hermann hatte seinem Schützling, dem Piratenschaf Amos, im Vorfeld viel über das Karnevalswesen erzählt. Deshalb war es recht neugierig geworden und freute sich auf den Ausflug. Leider ist es in Ostfriesland im Februar noch recht kalt, und wenn es nicht kalt ist, dann regnet es häufig. Deshalb sind die meisten Umzugswagen überdacht oder teilüberdacht, damit ihre Besatzungen die Hin- und Rückfahrten zur und von der Strecke des Geschehens trocken und warm überstehen.

"Heute ziehe ich dir lieber noch ein Fußballtrikot über, denn es ist doch recht schattig!" Opa Hermann hatte speziell ein Schalke O4-Trikot bereitgestellt, in welches er den armen Amos zwang: Beide Vorderläufe mussten durch die Ärmellöcher gesteckt werden, und der Rest des Trikots wurde über Rücken und Brust gequetscht. "Wie sehe ich aus, Opa Hermann?" fragte das Piratenschaf.
"Wie ein echter Schalke-Fan!"

Die beiden waren etwa eine halbe Stunde mit dem Anhängergespann unterwegs. Dann hörten sie schon von weitem laute Diskoklänge. "Wie ich schon anmerkte", sagte Opa Hermann, "Buffda-Buffda!" Sie erreichten das "Bereitstellungsgebiet", in welchem sich die geschmückten Wagen aneinander reihten. "Hier stelle ich irgendwo unser Gespann ab", meinet der alte Herr. "Kannst Dir die Hausnummer merken, Amos?"
Eine Gruppe Jugendlicher näherte sich, einer von ihnen pinkelte in den Vorgarten des Hauses mit der Nummer 18.

Opa Hermann bemerkte, dass die jungen Männer bereits einen unsicheren Bewegungsablauf erkennen ließen. Einer von ihnen rief zu Amos hinüber: "Bischu beschoffen, dasch du schon auf allen Vieren laufen musch?" "Selber beschoffen", meinte Amos! "Ha ha ha", meinte der Besoffene zu seinen Kumpeln, "ha ha ha, hat der dünne Beene!" Ein Kumpel wies ihn zurecht: "Das ist doch ein Schaf, du Heijupei!" Ein Dritter fügte hinzu: "Dat isch der Geischbock vom 1. FC Köln!"
Amos und Opa Hermann begaben sich zur Hauptstraße des Dorfes. Sie war schon von Besuchern auf beiden Seiten gesäumt. Überall lagen leere Bierflaschen auf dem Gehweg. Manche Leute waren verkleidet oder hatten ihren Kindern das Gesicht bemalt. Einige von ihnen waren wie Katzen angemalt oder sollten das Löwen sein? Ein kleines Mädel war als Ballerina verkleidet. Amos fragte das Mädel: "Willst du auf mir reiten?" Die Mutter der Kleinen bekam einen Schreck. Sie schaute Opa Hermann vorwurfsvoll an. "Ich war das nicht!", sagte Opa Hermann, "das war er!" Er zeigte auf das Piratenschaf. "Ja, ja", sagte die Mutter der Kleinen, "und morgen ist Silvester!"

Eine Gruppe junger Damen kam vorbei. Alle hatten ein Schnapsglas am Bindfaden umgehängt. Sie waren grell geschminkt mit allem, was die Industrie so hergibt. Dazu trugen sie kurze Kleider mit löcherigen Strumpfhosen. "Als was gehen die denn?" wollte Amos wissen. "Wahrscheinlich als Bitch!" "Kenne ich nicht", meinte das Piratenschaff." "Ist auch nicht so wichtig!" Hinter ihnen wurde eine Stimme laut: " Schaaaalke, Schaaaalke!" Das galt Amos in dessen Schalke-Kluft!  Amos sagte: "Bööööööö!"

Nach einer halben Stunde näherte sich der erste Umzugswagen. Er wurde von einem großen Traktor gezogen. Der Fahrer hatte eine Pappnase aufgesetzt und hatte sich knallrote Backen gemalt. Zwei verkleidete Festwagenbegleiter gingen vorne links und rechts des Zugfahrzeuges. Sie hatten Mühe, das Volk von dessen riesigen Rädern fern zu halten. "Au, au", kommentierte Opa Hermann das Geschehen. Der bunt gestaltete Anhänger hatte den Slogan mit großen Buchstaben auf die Seitenwand gemalt: "WIR STECHEN IN TORF". "Das ist ja mal eine Idee", sagte Opa Hermann, "das bezieht sich auf die Vergangenheit dieses Landstriches, als noch Torf mit dem Spaten gestochen wurde! Normalerweise sticht man in See!" Auf dem Anhänger tanzten junge Frauen und Männer in bunten Phantasiekostümen und riefen ein über das andere Mal "HELAU!" Sie warfen kleine Flaschen mit einem Schnapsgetränk unter die Zuschauer.

"Was heißt HELAU, Opa Hermann?" "Das Wort kommt nicht aus dem Norddeutschen, aber wenn man es ins Plattdeutsche übersetzen würde, dann hieße es "ganz au!", weil "hel" so viel wie "alle" oder "ganz" bedeutet. Frei übersetzt hieß es dann: "alle Panne!" oder "ganz Panne" - also noch freier übersetzt hieße es alle bekloppt! Das ist ja auch der tiefere Sinn des Karnvals, dass an diesen "tollen Tagen" die Narren das Sagen haben - obwohl bei mir der Eindruck entstanden ist, dass die das ganze Jahr über das Sagen haben und zwar unverkleidet teilweise auch auf den Regierungsbänken oder als Aufsichtsräte bei Volkswagen agieren oder eben nicht."

Ein Wagen stach besonders hervor. Er wurde von einem riesigen Schlepper gezogen, an dem vorne eine hydraulische Hebevorrichtung angebracht war mit einem großen Schild:
"Käpten IGLU und seine Mannschaft" stand darauf. Auf dem Anhänger befand sich ein gestalteter IGLU, wie ihn die Eskimos teilweise benutzen. Die Eisquader waren sehr sorgfältig nachgestellt. Vor dem Iglu tanzte die Gruppe, die das Fahrzeug gestaltet hatte. Der Schlepper hatte ein Blinklicht auf dem Dach und vom Wagen dröhnte eine Fanfare, die durch Mark und Bein ging. Sie wurde nur durch laute Disko-Musik unterbrochen, die aus zwei riesigen Lautsprechern am Heck dröhnte.

"Das gibt einen Hörsturz!" schrie Opa Hermann. Es reihte sich Wagen an Wagen. "Die fleißigen Bienen" waren dabei, alle Akteure hatten sich als Bienen verkleidet. Der Motivwagen bestand aus mehreren Bienenkörben. In einem anderen Festwagen saßen "Fidele Jungs"  in der Kajüte eines angedeuteten Bootes. Sie waren als Schiffsbesatzung verkleidet mit goldenen Tressen auf ihren dunklen Jackets. Am Bug des "Schiffes" stand "QUEEN OF THE SEAS". Dann kam eine "Ballettgruppe" des "Breitensportes". Die Herren hatten sich als Frauen verkleidet und trugen rosa Ballettkleidchen. "Und das mit Bierbauch!" stöhnte Opa Hermann. Nach einer halben Stunde war der Mummenschanz vorbei. Die Menschengruppe an den Straßenrändern löste sich schnell auf. Einige emsige Sammler hoben leere Bierflaschen auf und steckten sie in Müllsäcke. "Das gibt richtig viel Flaschenpfand", sagte eine Frau mittleren Alters zu Opa Hermann, der sie daruf angesprochen hatte. "Wer das Leergut nicht ehrt, ist des Inhalts nicht wert!" fügte sie hinzu. "Noch  15 Jahre sammeln, dann kaufe ich mir von dem Flaschenpfand eine Dadscha auf Mallorca!"

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