Opa Hermann und die Kunst

Glosse zum Thema Gegenwart

von  Reliwette

Die Wirksamkeit der Kunst liegt "am" Auge des Betrachters

  Opa Hermann hatte Besuch bekommen! Sein alter Zechenkumpel Jupp und dessen Frau Burgel hatten sich zum Tee avisiert. "Den Kuchen bringen wir aber mit!" Der alte Herr hatte ein frisches Tischtuch aufgelegt und mitten darauf stand eine Blumenvase mit frischen Schnittblumen: kleine Röschen, frisch aus Afrika importiert für 1,99 Euro aus dem Discounter. "Frisch eingeflogen, extra für Euch", erklärte er zur Begrüßung. "Eigentlich finde ich es nicht gut, dass den afrikanischen Bauern das Land abgeknöpft wird, damit dort riesige Flächen zum Blumenanbau entstehen, aber die Sträußchen standen schon in den Eimern - direkt hinter dem Eingang..."
Kurze Zeit darauf saßen die drei um den Küchentisch herum, tranken Tee und kosteten von der Joghurtrolle, die Burgel beim Dorfbäcker erstanden hatte. Wenn man sich in einer Gruppe von Freunden wohlfühlt, kommt auch schnell ein Gespräch auf.
Bei Burgel geht es meistens um Kunst. Da kennt sie sich aus. Sie besucht jede Ausstellung in der Gegend. Ihr Lieblingsmaler ist Vincent van Gogh, der Impressionist aus dem vorigen Jahrhundert.
"Das ist einer der ersten Maler, der im pointilistischen Stil gemalt hat. Seine Bilder setzen sich aus Pinselstrichen zusammen wie ein Mosaik", erklärte sie den Männern mit hochrotem Kopf.
Wenn Burgel über Kunst reden konnte, war sie nicht mehr zu bremsen. Opa Hermann hielt seinen Kopf beim Zuhören etwas schief, was bei seiner Besucherin den Eindruck erweckte, er lausche intensiv ihren Ausführungen. In Wirklichkeit war diese Körperhaltung dem Umstand geschuldet, dass er auf einem Ohr nicht mehr so gut hören konnte. Als Burgel an einer Stelle ihrer Ausführungen Luft holen wollte, ergriff Opa Hermann das Wort, weil er dachte, sie sei fertig!
"Wir haben hier auch einen Dorfkünstler", fiel der alte Herr ein, "ich weiß nicht, ob du ihn kennst?"
"Wie heißt der denn?" wollte Burgel jetzt wissen. "Ob der überhaupt einen richtigen Namen hat, weiß ich jetzt nicht, aber wie der aussieht, das kann ich beschreiben: eine lange, hagere Gestalt mit einem Rauschebart, er hat ein altes Siedlerhaus an der Wieke! Auf einem Heuballen steht immer eine weißgescheckte Ziege.
In seiner Scheune ist angeblich eine Dauerausstellung seiner Bilder, und man soll da auch Tee trinken können!"
"Ja, von dem steht ja zuweilen etwas in der Zeitung", meinte Burgel. "Er soll ein Schüler von dem Beuys gewesen sein, dem Kunstprofessor aus Düsseldorf." "Ist das der mit dem Hut?" Opa Hermann warf einen triumphierenden Blick in die Runde. "Ja", meldete sich jetzt Jupp zu Wort, "das ist der mit der Margarineecke!" "Fettecke", verbesserte Burgel. "Ja, dann eben Fettecke!" Ihr Mann machte eine wegwerfende Handbewegung. "Jedenfalls ist unser Dorfkünstler ein Sonderling. Den versteht hier "keen enen nich", der sieht aus wie das Leiden Christi, hohlwangig mit entzündeten Augen und macht einen auf Öko!" "Habt ihr mal seine Skulpturen gesehen?" wollte Opa Hermann wissen, "der soll ja alles mögliche von Schrottautos zusammenschweißen, also ein Auto zerlegen und falsch herum wieder zusammenbauen!"
"Das macht Sinn", stichelte Jupp, "wenn ich mir so begucke, was sich VW in den letzten Jahren so geleistet hat! Zig Millionen Euro gab es für die Manager im Jahr und was kam dabei heraus? Ein Dieselmotor mit gefälschten Abgaswerten!"
"Na ja, ins Wohnzimmer möchte ich mir so eine Skulptur nicht gerade stellen. Würde auch gar nicht in meine Wohnstube passen", meinte Opa Hermann.
Ich glaube nicht, dass ein Künstler, der solch ein Kunstverständnis hat, möchte, dass seine Skulpturen in einer Privatwohnung verschwinden. Das ist doch etwas für ein Museum, damit alle etwas davon haben", ereiferte sich Burgel. "Na eine genießbare Kunst ist das jedenfalls nicht", meinte Jupp.
"Ich tippe mal eher auf Unsinnsmaschine", versuchte Burgel jetzt eine Deutung. "Das kommt der Sache vermutlich am nächsten. Und wenn man das weiter denkt, dann liegt doch nahe, dass der Zeitgenosse Künstler wohl der Auffassung ist, dass die Menschen sich mit zuviel unnützem Zeug befassen, wenn sie orientierungslos den Globus zertrampeln, oder?" "Ich sag es ja, Hermann, wenn Burgel erst einmal loslegt, dann kannst du nur mit den Ohren schlackern!" "Mir fällt da ein Witz ein", sagte Opa Hermann, "der hat auch etwas mit Deutung zu tun. In einer äh Irr... nee, darf man ja nicht sagen, also ihr wisst schon Pünktchen, Pünktchen- anstalt wartet ein Insa... - nee, Patient auf seine Entlassung. Der sagt ständig, dass er sich eine Zwille (Schleuder) bauen und damit auf die Leute schießen will. Das lässt der Direktor aber nicht durchgehen. Jährlich erfolgt eine erneute Prüfung des Heilerfolges. Doch jedesmal sagt der Betroffene dasselbe: "Ich baue mir eine Zwille und schieße auf alle Leute!" Im dritten Jahr sagt er aber zu dem Direktor: "Wenn ich entlassen bin, suche ich mir eine hübsche Frau!" "Und was dann?" will der Direktor wissen. "Die ziehe ich dann abends aus!" "Und dann?" fragt der Direktor hoffnungsvoll. "Dann nehme ich ihr Strumpfband, baue mir eine Zwille und schieße auf alle Leute!"

"Und was hat das jetzt mit Kunst zu tun?" fragte Jupp leicht irritiert, "ich meine, worin besteht der Bezug? Im Unverständnis?"
"Das weiß ich jetzt auch nicht so genau, aber es hört sich gut an!"

Mit diesen Worten stand Opa Hermann auf, schnappte sich den Wasserkessel und ließ neues Leitungswasser einlaufen!

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (04.03.17)
"Dann nehme ich ihr Strumpfband, baue mir eine Zwille und schieße auf alle Leute!"

eine köstliche aneckzote.
Festil (59)
(05.03.17)
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