Das darfst du nicht mal denken!

Essay zum Thema Gedanken

von  ReinhardGroßmann

Illustration zum Text
Wie kann erreicht werden, dass Menschen bestimmte Dinge denken und glauben, bestimmte andere Gedanken aber vermeiden? Unter anderem dadurch, dass sie dahingehend beeinflusst werden, diese Gedanken sofort mit positiven oder negativen Gefühlen zu verbinden, damit die erwünschten Gedanken gedacht, die unerwünschten
aber vermieden werden.
                                                                         

„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ heißt es bei Johannes (Joh. 20,29). In vielen Religionen und Glaubensgemeinschaften wird „der Glaube“ als etwas erstrebenswertes, hochstehendes dargestellt, während das Zweifeln an den jeweiligen Glaubensinhalten, also das Nachdenken darüber, als negativ bewertet wird. Wer zweifelt, gilt als „schwach im Glauben“, handelt verwerflich und wird oft gar bedroht, von dem jeweils proklamierten Gott bestraft zu werden, falls er sich eines anderen1 besinnt.

In destruktiven religiösen Sondergemeinschaften, wie zum Beispiel der „Colonia Dignidad“, zeigt sich auch dieser Einfluss. In der „Colonia Dignidad“ wurden die Gläubigen mit Elektroschockern, unter anderem an den Genitalien, gefoltert. Als daraufhin bei einem Gläubigen Zweifel aufkamen, fragte er sich: „Was stimmt denn nur nicht mit mir?“ So hat er es berichtet. Wer in Menschen den Glauben erzeugen kann, er sei der Botschafter einer höheren Macht, kann so selbst Autorität erlangen. Er gewinnt an Deutungshoheit über Moral und Gesetz und über die Frage: „Was ist die Wahrheit?“ Abweichler setzen sich der Gefahr aus, von den ehemaligen „Brüdern und Schwestern im Glauben“ zumindest diskriminiert zu werden.

Ob sich solche Denkverbote sozialpsychologisch unter das Themengebiet der „Evaluativen Konditionierung“ einordnen lassen – möchte ich den Sozialpsychologen überlassen. Auf der Internetseite einer Beratungsstelle für religiöse Sondergemeinschaften fand ich einen Artikel2, in dem gar von „Bewußtseinsblockierungen“3 in diesem Umfeld die Rede ist.

Allein – Denkverbote werden nicht nur im Bereich von Kulten und Religionen aufgestellt. In manchem sozialen Umfeld werden bestimmte Autoritäten und Kapazitäten „verehrt“ und ihnen wird „gefolgt“. Auch wenn diese nicht als „unfehlbar“ gelten oder den Status eines „Gurus“ haben, kann es doch manchmal schwierig sein, sich in Einzelfragen des „Sakrilegs“ schuldig zu machen, eine abweichende Position zu vertreten.

In Diskussionen reicht es manchmal aus, zu argumentieren, dass eine inhaltliche Position aus einer bestimmten „bösen Ecke“ käme oder dass sie zumindest von dummen, bösen, „teuflischen“ Personen oder Gruppen geteilt wird, um sie nachhaltig zu diskreditieren. Eine Überprüfung der Position findet so oft nicht statt und selbst das Nachdenken darüber soll, falls möglich, unterschwellig verhindert werden. Je nach Wertesystem wird die konkrete inhaltliche Aussage dabei den unterschiedlichsten, besonders unsympathischen, negativ besetzten Gruppen zugeordnet, wie zum Beispiel Kommunisten, Sozialisten, Konterrevolutionären, Anarchisten, Faschisten, Rassisten oder Propagandisten.

Ich möchte nun aber zu einem völlig anderen Bereich kommen – zur Wissenschaft. Auch hier geht es um die Frage: „Was ist die Wahrheit?“. Wer in Menschen die Überzeugung wecken kann, dass ein bestimmter Sachverhalt wissenschaftlich erwiesen sei, der kann damit Einfluss auf ihr Leben nehmen. Ist Margarine gesünder als Butter? Kann Zucker beim Abnehmen helfen? Die Beantwortung solcher Fragen kann mit entscheiden, wer das Geschäft macht und Geld verdient und wer nicht. Da stellt sich unter anderem die Frage: In welchem Maße nimmt eigentlich die Wirtschaft Einfluss auf die Wissenschaft? Und: Nimmt dieser Einfluss zu?

Es lässt sich auf jeden Fall beobachten, dass viel Geld von der Wirtschaft in die Forschung fließt. Beim „Deutschen Stiftungszentrum“, gegründet vom „Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft“ werden allein 640 Stiftungen4 gezählt, die mit vielen Millionen die Wissenschaft unterstützen. In den 1970er Jahren gab es gut ein Dutzend Stiftungsprofessuren in Deutschland, 2011 gab es 1591, Tendenz steigend. Zu 41 % werden diese direkt von Unternehmen (in 2009) und zu 27 % von Stiftungen finanziert.5 Die geförderten Professoren haben gute Chancen, an den Hochschulen zu bleiben, auch wenn es kein Geld mehr von den Stiftungen gibt.

Durch das aktuelle, von mancher Seite kritisierte Hochschulranking erhalten Hochschulen, die viele Drittmittel von der Industrie akquirieren, zusätzlich öffentliche Gelder. Es werden immer mehr „An-Institute“ gegründet, die an die Hochschule angegliedert und von großen Unternehmen finanziert werden – sind sie wirklich unabhängig? Die Deutsche Bank finanzierte ab 2006 das „Quantitative Products Laboratory“ an der TU/HU Berlin mit drei Millionen Euro im Jahr. Zu dem Institut gehören zwei Stiftungsprofessuren. Dann wurde 2011 der Vertrag zwischen der Deutschen Bank und der Hochschule bekannt: Die Forscher sollten der Bank alle Ergebnisse 60 Tage vor der Weitergabe an Dritte zur Freigabe vorlegen. Im Lenkungsausschuss des Institutes hatte die Deutsche Bank das letzte Wort.6 Das Institut war auch angehalten, Bankmitarbeitern Lehraufträge zu ermöglichen. Es ist der fromme Wunsch des Autors, dass es beim „Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft“ (HIIG) keine Geheimverträge ähnlichen Inhalts gibt. Das Institut wurde u.a. von der Humboldt Universität (HU) sowie dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) aufgrund eines Kooperationsvertrages mit Google gegründet und wird hauptsächlich von Google finanziert.7 Wenn es keine gesetzliche Regelung gibt, die eine Offenlegung von Kooperationsverträgen verlangt, bleibt nur ein „fester Glaube“ an die Beteuerungen der Beteiligten übrig, dass das Institut völlig unabhängig sei.

In Nordrhein-Westfalen sah der Referentenentwurf zum Hochschulzukunftsgesetz von 2014 zunächst vor, dass die Öffentlichkeit vorab über privatwirtschaftlich geförderte Forschungsvorhaben, den Umfang der Mittel „Dritter“ sowie die Person dieses „Dritten“ zu informieren sei.8 Es wurde von verschieden Seiten Druck auf die Landesregierung ausgeübt, dies nicht Gesetz werden zu lassen. 2015 ging in zweiter Instanz ein Rechtsstreit verloren, in dem die Offenlegung des Vertrages zwischen der Bayer HealthCare AG und der Universitätsklinik Köln verlangt wurde.9 Es wurde bekannt, dass diese Kooperation Ende 2014 ausgelaufen sei. Die Bayer HealthCare AG hat aber das Recht, sie insgeheim wieder aufzunehmen, ohne dass die Öffentlichkeit darüber informiert wird.

Wer nicht so viel Geld hat, kann einen Professor überzeugen, für ein bestimmtes Projekt die Schirmherrschaft zu übernehmen. Auch wenn dieser Professor nie wieder mit dem Projekt zu tun hat, gibt er ihm doch ein bestimmtes wissenschaftliches Image.

1998 veröffentlichte der renommierte Professor Árpád Pusztai vorab Forschungsergebnisse, die er, als Leiter eines Teams von Wissenschaftlern, am schottischen Rowett Research Institute gewonnen hatte.10 Darin wurde bei Ratten, die gentechnisch veränderte Nahrung erhielten, ein stark verändertes Organwachstum und Schäden am Immunsystem nachgewiesen. Professor Árpád Pusztai wurde suspendiert und sein Team aufgelöst, nachdem auf die Institutsleitung starker politischer Druck ausgeübt worden war. Sicher gehört auch für Wissenschaftler Mut dazu,
bestimmte Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Auch Wissenschaftler unterliegen sozialen Einflüssen, wie zum Beispiel der sozialen Konformität.

Aber wie Professor Árpád Pusztai Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, die bei der starken Wirtschaftslobby und in der Politik absolut unerwünscht sind – daran darf man nicht mal denken!

Anmerkungen und Literatur:

1 Zum Beispiel: “Wer Allah verleugnet, nachdem er an ihn geglaubt, ... auf sie soll kommen Zorn von Allah, und ihnen soll sein schwere Strafe.“ 16. Sure 108 (106), Koran.

2 Mary Alice Chrnalogar: Der Weg in die Freiheit.:  http://www.sektenberatung.at/index.php?page=der-weg-in-die-freiheit (Anmerkung: Die Autorin hat diesen Weg offensichtlich selbst noch nicht vollständig gefunden)

3 Es gibt noch weitere verwandte Begriffe. In dem Roman 1984 von George Orwell geht es um „Gedankendelikte“ („Thoughtcrimes“) usw. – Denkverbote lassen sich aber nicht nur in besonders autoritären Gesellschaften finden.

4 Vgl. Deutsches Stiftungszentrum (2016): Stiftungen A-Z,
 
http://www.deutsches-stiftungszentrum.de/stiftungen/index.html.


5 Vgl. Christian Kreiß (2015): Gekaufte Forschung, Europa Verlag, Berlin S. 82, 83.

6 Vgl. Tilmann Warnecke (2011): Was Firmen an Unis bestimmen dürfen. In: Der Tagesspiegel online,   http://www.tagesspiegel.de/wissen/hochschulsponsoring-was-firmen-an-unis-bestimmen-duerfen/4235458.html.

7 Vgl. Christian Kreiß (2015): Gekaufte Forschung, Europa Verlag, Berlin, ab S. 105.

8 § 71a Absatz 1 des Referentenentwurfes: „Das Präsidium informiert die Öffentlichkeit in geeigneter Weise über Forschungsvorhaben nach § 71 Absatz 1, insbesondere über deren Themen, den Umfang der Mittel Dritter sowie über die Person des jeweiligen Dritten. §§ 8 und 9 des Informationsfreiheitsgesetzes gelten entsprechend.“ Vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung NRW, Hochschulzukunftsgesetz (HZG NRW).
(Anmerkung: Die Firmen erhielten aber per Gesetz das Recht, zu erfahren, welche Hochschulmitarbeiter an den von ihnen gesponserten Forschungen arbeiten.)

9 Vgl. CBG Network (2016): Uni-Kooperationen der Bayer AG,    http://www.cbgnetwork.org/2730.html.


10 Vgl. hierzu: UMG Verlag: Zu Verleihung des Whistleblower-Preises an Arpad Pusztai,   http://www.umg-verlag.de/umwelt-medizin-gesellschaft/206mag1a.html
Und: Denkmal Film Verhaag (2016): Árpád Pusztai – Whistleblower,    http://www.denkmalfilm.tv/index.php?l=de&page=whistleblower-4.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (04.06.17)
Glaube und Denkverbote waren schon immer eine unheilige Allianz. Du führst beeindruckende Beispiele auf.

 Dieter_Rotmund (03.02.23, 22:18)

Ich möchte nun aber zu einem völlig anderen Bereich kommen – zur Wissenschaft. Auch hier geht es um die Frage: „Was ist die Wahrheit?“. 
Nein, das wäre zu viel der Ehre für die Wissenschaft.
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