Das nahende Bittere

Predigt zum Thema Glaube

von  RainerMScholz

Stünden die Himmel auf dem Kopf, die Dächer der Häuser der Menschen wüchsen in den Boden, die Blumen, die Hecken, die Wälder hätten ihre Blüten und Kronen in der Erde versteckt und wurzelten in der Luft, wer würde mir folgen. Wenn die Welt verkehrt wäre und oben wäre unten und unten oben, wer käme mit, wer hätte den Mut zu sagen, ja, das ist mein Teil, das ist die Welt wie sie wirklich ist, wer wollte aus freien Stücken das Ende am Anfang beginnen und das Ziel als den Start nehmen. Wer wäre die Frau, die ein Mann sei, der Junge, der ein Mädchen wäre, wenn die Welt verkehrt ist. Hunger sei dann Saturation, Durst das Schwelgen in Wasser und Wein, das Nagen der Armut Reichtum und das ärmlichste Heim die strahlendste Burg. Wer wäre zur Tollkühnheit befähigt und wer fürchtete die Angst. Wer sei schwarz und wer weiß? Wenn die Himmel zur Hölle werden und die feuerspeienden Tiefen zur blauesten Weite, sollte dann nicht der Mindeste jauchzen, jubeln und frohlocken ob seines Daseins? Bin ich dann ich oder sei ich vielmehr nicht die Welt, die anzuschauen eine Freude ist. Das Schwarz sei weiß, böse und dunkel werde zu Güte und Helligkeit, und das Tier, das wir sind, das mit Wissen unbewusste, blöde blökende, wird zum Menschen. Teufel mäandere zu Gott, Gott diffundiere zu Nichts, das Nichts werde zum Wesen alles Seienden, und ich sah, dass es das Leben sei. Denn der Tod war gestorben, denn wir lachten über ihn und hießen ihn lächelnd willkommen. Denn es gibt ein Leben nach dem Leben. Wir wollten es so.
Im Ozean in den Lüften, da will ich traumsegeln.
Zitronenfalter verwirbeln zart umeinander, leuchtendgelb kontrastieren sie gegen das nahende dunkle Blau der Gewitterfront am Horizont, der gegen den Himmel fällt.
Glaubensbekenntnis der Atheisten.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 Habakuk (22.06.17)
Das liest sich geschmeidig, Rainer, aber meine Synapsen sträuben sich dagegen, dass dann Mutter Teresa zu Hitler würde und umgekehrt. Oder hab ich dich falsch verstanden? Wenn lediglich alle Gegensätze sich ins Gegenteil verkehren, wo bleibt in deinem Text die Gerechtigkeit, will sagen, das Prinzip von Saat und Ernte, oder anders ausgedrückt: Mit dem Maß, wie du anderen auf die Schnauze gehauen hast, bekommst du es zurück. Das Letztere wäre eher meine Predigt.

Gruß
H.

 RainerMScholz meinte dazu am 22.06.17:
Ja, vielleicht etwas zu geschmeidig. Das Beste wird sein, ich schreibe einfach die kontroversen Texte, die ich bisher geschrieben habe, und die der Erlösung auch nicht näher kommen.
Mutter Teresa und Hitler hatten womöglich das geschlossene Weltbild gemeinsam, und auch die Leidensmythologie, die aus dem Christentum entspringt.
Grüße,
R.
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