Im Gegenzug

Gedicht zum Thema Freizeit

von  Isensee

In den Kopf, noch denke ich, mit diesem kaputten Gesicht auf dem Boden liegen, das hellrote Blut, flockiges Hirn, Zahnsplitter im Gipskarton und Hautlappen, die sich über meinen Ohren kräuseln.
Ein ekliger Mensch, der ich nun mal bin, liegt da mit offenem Kopf.
Nichts, was zu bedauern wäre, im ersten Moment nur Ekel.

Der Umstand amüsiert mich, blasig vom Gas, scheint mir die Julisonne in das offene Gesicht.
Da ist nichts Grausames, sie scheint mich einfach an und zieht jeden Tag an mir vorbei, als erkundige sie sich über den Zustand des verwesenden Fleisches, prüft sogar, ob der Prozess den Regeln des Verfalls gehorcht.
Ein behütetes Verwesen, nichts zu verzeihen.

So stelle ich mir vor.
An einem Regentag, wütender Regen, wütend auf die Menschen, die Tiere, die Pflanzen und alles was lebt.
Drischt auf die Erde, auf Blüten auf Glas.

Ist da ein Herr von den Stadtwerken, bricht die Tür auf und vermischt den Fleischsaft mit dem Dreck unter seinen Stiefeln.
Er wird einen Moment brauchen, bis er die Nummer wählt.

Ich werde etwas Geld auf den Tisch legen, ob der Typ den Anblick bei 250 vielleicht leichter erträgt.
Verknüpft sich nach Möglichkeit als Belohnung im Geist.

Ich werde ihm einen Brief schreiben, soll er doch mal schön essen gehen, steht darin, oder eine Fossil Uhr kaufen.
Oh Menschlein Hör, aus deiner Wiege stammen meine Glieder und heute bin ich vogelfrei.

Doch schieß ich mir ins Herz, werde ich einen Ort unter freiem Himmel wählen, der Sonne dabei zusehen, wie sie abnimmt und verglimmt, als gäbe es da nichts besonderes an ihr.
Ja, ich werde lächeln und die Sonne verglimmen sehen.
Nur ein weiterer Stern, der da erlischt und nicht mehr existiert, nichts mehr existiert.

640g Stahl und Holz beschleunigen ein 7,65 x 17 mm Geschoss, das mir mit 294 Metern in der Sekunde ent­ge­gen­kom­mt.


Anmerkung von Isensee:

Oh Menschlein Hör, aus deiner Wiege stammen meine Glieder und heute bin ich vogelfrei.

Quelle: Unschuld Erde

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (15.08.17)
Ich denke, ein Großteil von uns hat schon mal mit dem Gedanken gespielt, gewaltsam, von eigener Hand zu sterben und sich vorzustellen, wie der Umstand auf die wirkt, die einen finden. Ist es Rache? Ist es Selbstmitleid, das einen dazu treibt?

Im Übrigen habe ich den Songtext, aus dem das Zitat stammt, gelesen - ist so gar nicht meine Musik, aber die letzte Zeile (meine Auslegung und aus dem Zusammenhang gerissen, klar) ist auch interessant: "...uns wird die Welt zu klein". Vielleicht ist es diese Aussage, die einem das Gehen verlockend erscheinen lässt. Wer weiß das schon außer einem selbst ...

 Isensee meinte dazu am 15.08.17:
https://www.youtube.com/watch?v=7bzIUCJLD5c

Was eine Energie da herrscht.
Leider ist das zehn Jahre her und heute ist er halt ausgebrannt.
Man muss die Musik nicht mögen aber die Vibes sind nur genial.

 Judas antwortete darauf am 15.08.17:
@Llu die Franzosen haben mal wieder ’nen Begriff dafür, L’appel du vide, die Engländer nennen’s wohl Call of the Void.

 toltec-head (15.08.17)
Schon auch irgendwie Adalbert White Suicide Stifter.
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