Betrug

Kurzgeschichte zum Thema Beziehung

von  StillerHeld

Er, der sonst die Pünktlichkeit in Person ist, ist heute ungewöhnlich spät dran. Warum, weiß er selbst nicht zu sagen. Zu viele Gedanken jagen durch seinen Kopf und das Zeitgefühl entflieht ihm. Schnell von der Frau, mit der er bereits seit 25 Jahren verheiratet ist, verabschiedet, dann steckt er im zähen Freitagnachmittagsverkehr fest und als er den Bahnsteig erreicht, sieht er, wie sich die Rücklichter des Zugs entfernen, höhnisch grinsen sie ihn an und verschwinden in der Ferne.

Heute ist ein seltsamer Tag. Es ärgert ihn nicht einmal, dass er nun die Anschlussverbindung versäumen wird. Er könnte genauso gut wieder nach Hause fahren und das unerwartet geschenkte Zeitguthaben sinnvoll nutzen.

Das Verkehrsaufkommen hat nachgelassen, alle Ampeln schalten auf Grün, sobald er sich ihnen nähert. Entspannt, wie von einer Last befreit, lässt er sich treiben. Er fährt nicht - wie üblich - in die Tiefgarage, sondern parkt vor seinem Haus ein. Das Geräusch des Motors erstirbt, Stille folgt.

Voll Elan schwingt er sich aus dem Fahrersitz, schließt das Haustor auf, läuft federnden Schritts die Stiegen hinauf in den zweiten Stock und öffnet die Wohnungstür.

Da schlägt ihm eine Wolke aufdringlichen Rasierwassers entgegen, noch wundert er sich, während in ihm bereits eine bittere Vorahnung erwacht, die ihn drängt, vor sich her treibt, von Raum zu Raum. Eine Spur achtlos hingeworfener Kleidungsstücken bestärkt seine Ahnungen, sie führt ihn ins Schlafzimmer. Als er die halb angelehnte Tür vorsichtig öffnet, nur seine Fingerkuppen berühren die Klinke, da sieht er, was all seine Sinne in den letzten Augenblicken bereits erspürt hatten, zwei nackte Menschen. Seine Frau ist mit einem anderen intim, dessen Gehabe noch dazu eine solche Vertrautheit ausstrahlt, als sei er hier schon mehrere Jahre zu Hause.

»Klick« macht es in seinem Kopf, als er die Szene erfasst hat. Und abgehakt. Soll findet Haben, das Gesehene und zur Kenntnis Genommene fügt sich konsequent ein in die Geschichte einer Beziehung, die schon lange Substanz vermissen ließ, hohl war.

Am Absatz dreht er sich um und verlässt die Wohnung, wiederum entspannt und voll des Gefühls wiedererlangter Freiheit, wie sie nur die Konfrontation mit der Wahrheit hervorbringen kann. Ob die beiden ihn bemerkt haben? Fast muss er lachen über die Kleingeistigkeit dieser Frage, die sich ihm nur der Vollständigkeit halber aufdrängt und die er lässig abschüttelt wie Staub von seinem Mantel.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (28.10.17)
Oft enden solche Geschichten dramatischer. Aber es gibt auch die hier schlüssig erzählte Variante, dass sie eine verfehlte Entwicklung beschließen.
Gruß
Ekki

 StillerHeld meinte dazu am 31.10.17:
Ich habe das Gefühl, das Drama wird den Protagonisten später noch einholen. Coolness ist auf Dauer nicht gut für die Seele.

 Dieter_Rotmund (28.10.17)
Die ersten zwei Sätze gefallen mit nicht, zuviel vorgekaut darin, ansonsten gerne gelesen.

 StillerHeld antwortete darauf am 31.10.17:
Möglicherweise ein überhasteter Einstieg in die Geschichte ... danke für deine Kritik!

 Pameelen schrieb daraufhin am 26.11.17:
Nein, dein Einstieg ist nicht überhastet, - selbst die klassische Moderne hält genügend Beispiele bereit.

Aber etwas anderes:
Ich frage mich derzeit ernsthaft, welchen Sinn Kommentare von Hans-Dieter (oder wie auch immer er genannt werden will) haben. Bei ihm ist auch in diesem Fall keine objektiv ernsthafte oder analytische Kritik zu sehen, die sich irgendeinem literaturkritischen Kanon verbürgt. Die Zielvorstellung seiner bemühten Kritik bleibt wie so oft nebulös. Eine echte, d.h., verwertbare Kritik gerade für neue Autoren, habe ich bislang nicht wahrnehmen können.

Ich bin heute erschrocken als ich feststellen musste, dass KV nur noch 853 Autoren umfasst und das gerade dann, wenn ich an die Zeiten denke, in denen mehr als 1500 Autoren gelistet waren. Ich vermute, Hänschen leistet hier sicherlich seinen bildungsbürgerlich verbrämten Beitrag!

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 27.11.17:
Lieber Pameelen,

dann geh' doch Du mit guten oder zumindest besseren Beispiel voran!

Verwertbare Kritik mache ich ständig, indem ich z.B. auf Rechtschreibfehler u.ä. hinweise. Noch verwertbarer geht's nicht. Und manchmal sage ich auch nur: Sorry, Text gefällt mir persönlich nicht. Das ist ebenso legitim hier.
Schachtfalter (39)
(28.10.17)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 StillerHeld ergänzte dazu am 31.10.17:
Wahrscheinlich wäre es auch ohne diese beiden Wörter gegangen. Danke für deine Rückmeldung!

 idioma (28.10.17)
Super geschrieben ! und sehr eindrucksvoll, wie sich dieser klick-geübte GschaftlmacherHeld überraschend durch lässiges Abschütteln seiner kleingeistigen vollständigkeisbeflissnen Spießigkeit vollends zum VollcoolHeld entwickelt........
Wenn er am Ende eines Tages begraben wird, gefriert die Erde rundum vor Coolness..................
idi

 StillerHeld meinte dazu am 31.10.17:
Chuck Norris hatte ich aber nicht als Vorbild gewählt
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