Lärcherei II

Text zum Thema Erkenntnis

von  Sylvia

»Hör mit dem Geächze auf, Lärche, mich nervt das extrem«, maulte Mahagoni. »Dir geht die letzten Tage alles aufs Brett«, mischte Fichte sich erbost ein. »Was kann ich dafür, dass wir nur langsam vorankommen?«, verteidigte ich mich. »Nimm die Schuld nicht auf dich, Lärche. Er will nur seine Launen versprühen, wie der Wind die Samen«, warf Fichte sofort ein. »Du hast schon mal keine Ahnung, dämliches Astloch«, fuhr Mahagoni Fichte an. »Ruhe jetzt«, schimpfte Teak, »merkt ihr nicht, dass die Flaute uns testet? Baum, oh Baum.« Verärgert schüttelte er sich. »Also, ich sage das nur ein einziges Mal«, bekundete Eiche im Oberlehrerton, »ohne Zusammenhalt wird unsere letzte Gemeinsamkeit der Untergang sein.« Strafend schaute sie uns an. Ich hörte, wie Mahagoni tief knarrte. »Deine Besserwisserei ist reine Arroganz«, provozierte er. »Ist es nicht«, widersprach Fichte. »Eiche spricht aus Erfahrung. Ziehen wir nicht an einer Wurzel, verstreuen sich unsere Einzelteile bald über den Atlantik«, brummte Teak gelassen. »Lärche, wir machen, was wir für richtig halten«, murmelte Mahagoni. »Bitte, lass es sein. Ich bin die Jüngste und hab keine Ahnung«, hauchte ich.
»Seht ihr die Wolken? Bald kommt eine steife Brise, ich rieche es«, versicherte Eiche. »Wie meinst du das?«, wollte ich wissen. »Die Wolken ziehen schneller, Lärche, das heißt, der Wind vertreibt die Flaute und pustet uns vorwärts. Unsere Segel richten sich danach aus«, erklärte sie. »Hey, schaut mal achtern«, ruft Baumwolle. »Was ist das?«, erkundigte ich mich. »Will es uns etwa auch rammen?«, ruft Fichte ängstlich. »Nein, das sind Wale«, beruhigte Eiche. Angestrengt starrte ich über die Wellen. Rasant tauchten die Wale unter und wieder auf. »Die sind ja irre schnell«, meinte ich bewundernd. »Und wunderschön, wir folgen ihnen weiter in den Norden, sobald ich mich aufplustern kann«, erklärte Baumwolle. »So schön und schnell sind sie nicht«, quakte Mahagoni mucksch. »Okay, du willst unbedingt streiten, das kannst du haben. Die Wale haben mehr drauf, als hundert von dir«, behauptete Baumwolle. »Du dumpfe Wolle kennst meine Fähigkeiten doch gar nicht. Es ist ein leichtes für mich, dich in Fetzen zu schlagen«, drohte Mahagoni. »Deine Boshaftigkeit kennt keine Grenzen. Mit dir rede ich nicht mehr«, schniefte Baumwolle. »Entschuldige dich«, raunte ich betroffen. »Pah«, wisperte er.
Plötzlich erfasste uns eine Böe. »Yippie«, schrie Baumwolle lachend. »Endlich geht es vorwärts«, freute sich Teak. »Baumwolle, häng dich voll rein«, rief Eiche. »Worauf du dich verlassen kannst«, entgegnete sie und wirbelte mit dem Wind um die Wette. Die Gischt belebte mich. Überglücklich spaltete ich das Wasser und genoss die Schaukelei, bis ich das Gefühl bekam, etwas würde uns bremsen. Verwirrt sah ich mich um. Mahagoni tat als würde er schlafen. »Hey, mach mit«, forderte ich ihn auf. »Nö«, weigerte er sich. Nachdenklich beobachtete Eiche ihn. »Teak, kannst du Linde aus der Kombüse mal bitte fragen, ob noch Holzwürmer da sind?«, erkundigte sie sich charmant. »Klar, sowas hat sie immer auf Vorrat, soweit ich weiß«, entgegnete er cool. »Ist ja gut, ich mach mit«, gab Mahagoni sich geschlagen.
Ohne nennenswerte Zwischenfälle rasten wir dem Norden entgegen. Selbst Mahagoni bekam bessere Laune und lachte. »Eisberg voraus«, schrie Baumwolle. »Sofort ausweichen nach Steuerbord«, befahl Eiche. Wir warfen uns auf die rechte Seite. »Schneller«, feuerte Eiche uns an, »das ist nur die Spitze. Unter Wasser ist der Berg breiter und kann uns aufschlitzen.« Schwer schluckend gab ich alles. Fichte bibberte erschüttert. »Wir schaffen das«, versuchte ich sie zu beruhigen. Auf einmal löste sich ihre Anspannung. Tatkräftig schmiss sie sich auf die Seite. »Achtung«, warnte Teak, »da lösen sich Eisbrocken.« Mehrere große Klumpen trafen uns. »Aua, aua«, jammerte ich schmerzverzerrt, als ein Brocken gegen mich schlug und mich quetschte. »Wie schlimm ist deine Verletzung, Lärche?«, sorgte sich Mahagoni. »Ich kann mich nicht bewegen«, heulte ich. »Gleich sind wir vorbei, Lärche, bist du gerissen?«, erkundigte sich Eiche ruhig. »Nein, nur eingedrückt«, erwiderte ich, wobei ich fühlte, wie ich mich, zwar sehr schmerzend, freier bewegen konnte. »Strike, dem sind wir entkommen«, rief Teak. Erleichtert bäumten wir uns zitternd auf. »Nun müssen wir sehr wachsam sein, weil wir dem Eis immer näher kommen«, erklärte Eiche. »Warum übertreibst du immer? So gefährlich war der Berg nicht«, ärgerte sich Mahagoni. »Junger Baum, hast du ansatzweise eine Ahnung, wie groß die Eisflächen sind, auf die wir zusteuern? Sie zerquetschen uns mit einem Wellenschlag«, parierte Linde. Überrascht drehten wir uns zu ihr. »Echt?«, entwich es mir. »Das stimmt, was Linde sagte«, bestätigte Eiche. »Dann ist es besser, wir kehren um«, schlug ich vor. »Das tun wir, wenn du die Polarlichter gesehen hast, dafür brauchen wir nicht ganz ins ewige Eis«, erklärte Teak. »Wegen mir sollt ihr nicht zerbersten«, gab ich bedrückt zu. »Schau, Lärche«, forderte Baumwolle mich sanft auf, »dort hinten ist die Aurora.«
Ich folgte ihrem Hinweis und entdeckte flackernde,
grüne Lichter, die sich ausbreiteten. Teilweise
mischten sich gelbliche, bläuliche und
rötliche Strahlen dazu. Niemals
sah ich etwas Schöneres.
So verlor ich mich in
der Stille und dem
irren Schimmern,
das mich nun
umgab.

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(27.12.17)
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 Sylvia meinte dazu am 27.12.17:
Der geeichte Räuber :) Kasperletheater finde ich immer noch prima, da kommt mein inneres Kind zum Vorschein :D
LG Sylvia

 EkkehartMittelberg (27.12.17)
„Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort.“ Das hatEichendorff 1835 in seinem Gedicht "Wünschelrute" gesagt.
Du greifst es auf und gibst den Hölzern Seele und Stimme. Eine schöne Idee, Sylvia.
LG
Ekki

 Sylvia antwortete darauf am 27.12.17:
'Wünschelrute' ist ein schönes Gedicht. Als ich Anfang der 90iger Jahre die Walt Disney Verfilmung von der Schönen und das Biest sah, berührten mich die Liedertexte :)
Ich danke dir, Ekki,
LG Sylvia
Gerhard-W. (78)
(27.12.17)
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 Sylvia schrieb daraufhin am 28.12.17:
Schön, dass die Heiterkeit mitgelesen wurde. Ich Danke dir, Gerhard und
LG Sylvia
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