Ottilienblindenheim Trio mit Engelbert und Erich.

Erzählung zum Thema Erinnerung

von  franky

In den Sommerferien hat Engelbert sich eine Klarinette angeschafft und sich ein Paar Melodien einstudiert. Er bad mich ihn mit meiner neuen Zieharmonikar zu begleiten. Es wuchs und wuchs zu einem passablen Duo, das sich sehen und hören ließ heran.
Wie aus dem Nichts gesellte sich eines Tages Erich Halper mit einer akustischen Gitarre zu uns. Ich konnte ihm die notwendigen Akkorde während des Musizierens ansagen.
Die steirische Musik besteht nur aus wenigen Akkorden, die Erich rasch gelernt hatte. 
Hauptsächlich gab es wunderschöne Melodiebögen, die zum Mitsingen einluden.
Im Weitläufigen Garten saßen wir drei in der Mittagspause  auf einem Baumstumpf, wo wir unsere Freude in die herrliche Natur hinaus posaunten. Unsere Musik war weit herum zu hören. Es war das unbewusste, erste kleine Open air Konzert von Erich, Engelbert und Franzi. 


War mir sicher, auch Luzia konnte es hören; Und das machte mich glücklich, ohne mich zu verraten. Mein Herz pochte jedes Mal etwas schneller, wenn ich intensiv an sie dachte. 

Das Schuljahr 47 48 zog sich schleppend über die Runden. Erfolge in der Schule waren mäßig. Das stellte mich nicht zufrieden, ich wollte ja glänzen! Etwas besonderes sein. Wollte nicht als „No Name“ in der Menge untergehen. 

Unser junger Pfarrer als Direktor hatte gute Beziehungen zu Oststeirischen Pfarrgemeinden, wo er ja auch als Seelsorger gewirkt hat. Diese Pfarrgemeinden kontaktierte er, um für Auftritte unseres Blindenheimchores unter Walter Kögler zu werben.
Wir bestritten Das Hochamt morgens um Zehn und Nachmittag, nach dem Essen ein Konzert mit uns Zöglingen. Hauptaktration war aber unser erfolgreicher Blindenchor. Walter Kögler hatte geduldig daran gearbeitet und ein ansehnliches Programm auf die Beine gestellt.
Auch die sakrale Musik war keineswegs zu kurz gekommen. Eine herrliche Messe von Josef Rheinberger „Ein erfolgreicher Komponist aus Liechtenstein um das neunzehnde Jahrhundert“, bereicherte unser Gesangsprogramm.
Aber bevor wir auf so eine Reise gingen, veranstalteten Kögler und Heimleitung in unserem eigenen Turnsaal einen Probedurchgang mit allen Darbietungen. für dieses anspruchvolle Nachmittagskonzert. Für eine Vorstellung am Samstagabend wurden Mitglieder von den umliegenden Pfarren eingeladen. Der Erlös von Eintrittskarten floss in die Ottilienblinden-Vereinskasse.
Zu dieser Vorstellung verzeichneten wir regen Zuspruch. Das Programm wurde in Blöcken eingeteilt. Und in den Zwischenpausen spielte vor der Bühne das Trio mit Engelbert, Erich und Franzi.
Im Nachhinein gesehen war das ziemlich gewagt; Engelbert war bei uns der Sager. Er legte erst nach jedem Stück die Reihenfolge fest. Ich war immer wie auf Nadeln, ob ihm doch das Richtige Stück einfallen würde. Am Ende waren alle glücklich und zufrieden.
Walter Kögler hatte die Organisation gut im Griff, so weit man es mit lauter Blinden im Griff haben konnte.

Dann am nächsten Sonntag, es war Mai  achtundvierzig ging es los nach Bischelsdorf in die Oststeiermark.
Wir mussten schon früh aus den Federn, um dort zur Hauptmesse um zehn in der Kirche zu Recht zu kommen. Für unsere Betreuung fuhren Mädchenschwester Juvitta und unsere Knabenschwester Kolianna mit. Der neue, junge Pfarrer Direktor hatte es ihnen angetan, was aber nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde. Mir hatte es Luzia angetan, vielleicht komme ich im Bus in der Nähe von ihr zu sitzen.

Neben Walter Kögler war auch Julia Schnabel, eine blinde Zitterlererin angestellt. Elisabeth und Anna aus unserer Schule nahmen bei Schnabel Zitterunterricht. Die beiden bestritten auch für dieses Konzert mehrere Beiträge. Was jedoch für mich höchst erfreulich war, Luzia sang mit eigener Gitarrenbegleitung ein Volkslied:
„Spinn, spinn, Spinnerin, sitzt am goldnen Radl.“
Für mich war das großartig! Sensationell! Diese Herrliche Stimme, mit Gold in der Kehle, 
sie zog mich unwillkürlich in ihren Bann.

Als das Kyrie Eleison aus der Messe von Josef Rheinberger verklungen war, ließ die Spannung in uns etwas nach. Die glühenden Kohlen auf denen wir anfangs saßen, haben an Feuer verloren. Die Predigt von unserem Heimdirektor war sehr moderat, hatte jedoch immer noch einen leicht pessimistischen Einschlag. Am Schluss erging ein Aufruf an die Ortsnahen Bauern von Bischelsdorf, Geld und Naturalien für das Ottilienblindenheim in Graz zu spenden. Dieser Aufruf blieb nicht ungehört.  Ottilienblindenheim hatte wieder für eine ganze Woche zu essen. Für die Küchenschwester Klara eine große Sorge weniger.

Das sonntägliche Mittagessen wurde vom Dorfwirt gespendet, in dessen großen Saal auch später unsere Nachmittagsvorstellung abgehalten wurde.
Nach dem reichlichen Mittagessen, auch mit einem Glas Bier, wurde ich müde und träge, hätte auf der Stelle einschlafen können, das hatte ich aber am wenigsten gebraucht.
Nach dem Mittagessen unternahmen die Blinden unter Führung von Schwester Juvitta und Schwester Kolianna einen ausgedehnten Spaziergang. Bis um 15:00 war noch reichlich Zeit übrig. Ich aber Platzierte mich auf eine Bank in der Wirtsstube, wo ich meine Müdigkeit zu überwinden suchte. Ab und zu näherte sich mir eine Person und wollte Einzelheiten über das Blindenheim wissen. Oder stellte Fragen über meine Blindheit. Darüber konnte ich schon etwas mehr erzählen. Man stelle sich vor: Zu dieser Zeit war noch eine Augenprotheseunbezahlbarer Luxus. So standen wir mit leeren tränenden Augenhöhlen auf der Bühne und sangen fröhliche Lieder.
Mir wurde das lange Stehen mit meinem Stelzbein zur Qual! Schwester Kolianna hatte mir dann einen Stuhl aus der Wirtsstube organisiert. Schweiß überströmt vor Schmerz nahm ich die Sitzgelegenheit gerne in Anspruch.
In den Pausen mussten wir vor der Bühne für das Zwischenspiel mit Engelbert und Erich Platz nehmen. Letzte Energie war gefordert.   

Auf der Heimreise mit dem Bus, konnten wir nur positive Eindrücke mitnehmen.
Vor allem hatte Unser Direktor Pfarrer ein zufriedenes Lächeln aufgesetzt, „Es war ein voller Erfolg.“ Solche Reisen wurden in nächster Zukunft noch öfters durchgeführt.

In diesem Frühjahr achtundvierzig wechselte ich von der blinden Klavierlehrerin Margarete zu Walter Kögler. Mir gefiel seine Burschikose Art. Die erste Stunde bekam ich im provisorischen Musikzimmer im zweiten Stock. Vorher hatte ich eine saftige Birne gegessen, meine Hände und Finger waren total klebrig, ich konnte sie nicht sauber bekommen, so viel ich sie auch an meinem Hemdärmel versuchte abzuwischen. Kögler durchschaute diese ergebnislose Mühe und sprach mich wirsch an: „Franzi, so sitzt du mir nicht ans Klavier, gehe dir die Hände waschen!“ Ich schlich mich geschlagen zum nächsten Wasserhahn links vor der Türe des Musikzimmers. Dann aber ging es richtig los. Mein musikalischer Weg führte steil nach oben. Walter Kögler gab mir nicht nur erfolgreich Klavierstunden, er unterrichtete mich auch im Kirchenorgelspiel. Das fand mein uneingeschrenktes Interesse.
So studierte er mir ein Paar Lieder aus dem Gesangsbuch: „Lobet den Herrn“ ein, damit durfte ich bald in Beisein von Kögler um sechs den Abendsegen spielen. Ich brannte schier auf neue Aufgaben.
Walter Kögler brachte mir bei, wie man nur mit einem Bein auf dem Fusspedal der Orgel, Bassläufe spielen kann. Das erforderte von mir schon konsequentes Üben. Und das tat ich auch. Mein steifes Stelzbein musste ich links vom Orgelkorpus hinausstrecken, so nahm ich gezwungener Weise eine schräge Sitzposition ein, die meinem Rücken gar nicht gut tat.
Ich spielte Orgel und Luzia sang mit ihrer glockenklaren Stimme dazu. Schwester Juvitta die gebürtige Wienerin, stach auch mit ihrer geschmeidigen Stimme wohltuend hervor.
Bei dem Lied: Süßer die Glocken sie klingen, sang Schwester Juvitta eine bravouröse Überstimme dazu, sie sorgte bei mir für permanente Gänsehaut. 

In den Sommerferien zu Hause in Laufnitzdorf beim Natzbauern besuchte uns Schwester Kolianna. Da klein Rudi noch immer nicht nachhause nach Marburg konnte, brachte sie Rudi wieder mit zu uns. Wir sechs Kinder und Papa als  Landwirtsschaftgehilfe mit kleinstem Einkommen, boten Schwester Kolianna bestimmt ein ärmliches Bild, doch Mitglieder vom Ottilienheim waren bei Mama stets willkommen. Trotz Plumpsklo im Freien, war der Aufenthalt für Schwester Kolianna etwas Besonderes.

In diesen Sommerwochen tat sich sonderbares mit meiner Stimme. Sie wechselte von Sopran zu Bassstimme. Es hörte sich beim Sprechen wie seltsames Krächzen an. „Nein! Hoffentlich bleibt das nicht für immer so!“ 

Walter Kögler lehrte uns nicht nur zu musizieren, er unterrichtete uns auch in Theorie. Was ein Intervall ist. Eine Sekunde, eine Terz, eine Quart und Quint, Sechst, Septime und Oktave. 
Unisono, Zweiklang, Dreiklang, vier und Mehrklang.
Theorielehre gestaltete sich für mich einfach interessant! Meine Wissbegierde war schier grenzenlos.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (05.01.18)
Danke, Franky. Dieser Text war für mich wegen deiner persönlichen Entwicklung interessant. Aber er wirft auch aufschlussreiche Schlaglichter auf die ländliche Steiermark der Nachkriegszeit.
LG
Ekki

 princess (05.01.18)
Lieber Franky,

deine Erinnerungen finde ich lebendig und berührend. Heute dürftest du froh sein, dass du dich damals vom Sopran zum Bass entwickelt hast. Oder?=

Herzliche Grüße
Ira

 AZU20 (06.01.18)
Erinnerungen, die ich gern gelesen habe. Sie geben eine Menge her. LG
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram