Dorf

Gedicht zum Thema Abschied

von  Isaban

Im Gefängnis deiner hellen Fenster
bewege ich mich brav nach Norm.
Nur ab und zu kneift mich ein kleiner Zorn
und abends wispern die Gespenster

dessen, was nur Ferne füllen kann.
Und doch: Hier bin und lebe ich
und will nicht mehr, auch heute nicht,
woanders leben. Dann und wann

vergesse ich

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Kommentare zu diesem Text


 W-M (24.01.18)
gut getroffen, liebe Sabine

 Isaban meinte dazu am 27.01.18:
Danke schön, W-M.

Liebe Grüße

Sabine

 claire.delalune (24.01.18)
Das Dorfleben mit seiner Ambivalenz zwischen Heimat und Enge gut verwortet.

Das Vergessen am Ende: ein innerer Abschied?
(Im Versuch, alle gegebenen Informationen zum Text zusammenzufügen.)

Liebe Grüße
Kathrin

 Isaban antwortete darauf am 27.01.18:
Eine Frage der Interpretation, liebe Kathrin. Für den einen ein innerer Abschied, für den anderen ein Vergessen, für den Dritten der Absprung, der Aufbruch, der Abschied vom Dorf, die Abkehr vom Leben etc.

Liebe Grüße

Sabine

 Irma (24.01.18)
Der schlichte Titel „Dorf“ bekundet sofort: Hier geht es um etwas Kleines, Begrenztes. Die kurze Gedichtform bringt das gut zum Ausdruck. Der umarmende Reim (abba) der beiden Strophen hat etwas Anheimelndes und Behütendes an sich (das einem Leben mit unbekannten Nachbarn in einer Großstadt entgegensteht). Aber bei genauerem Hinsehen zeigen sich Brüche im Dorfleben: Das Umarmte lässt sich anscheinend nicht so gerne umarmen, es bockt innerlich auf: (unreiner Reim: Norm-Zorn, ich-nicht im Inneren).

Angepasste Sittsamkeit, die sich auch im Metrum widerspiegelt: Beide Strophen beginnen trochäisch, gehen aber brav jambisch weiter. Beide Strophen sind zu Anfang fünfhebig, geben diese jedoch im weiteren Verlauf auf. Etwas aufgeben müssen (freiwillig oder unfreiwillig) - das scheint das Thema dieses Gedichtes zu sein. Jeder kleine Zorn und alle Verlockungen („Gespenster“) sowie Wünsche auf Individualität und Ablösung („Ferne“) müssen unterdrückt werden.

Wer will es schon wagen, aus einem streng umgrenzten Dorfleben auszubrechen und dem Fernweh zu folgen? Der Einfluss der Stadt und das Wirken der inneren Wünsche lassen zwar die Vision von einem neuen Leben in LyrIch aufkeimen, um diese aber sofort wieder im Keim zu ersticken: S.3 endet abrupt und ohne weitere Aussichten. Es bleibt nur das Vergessen / Verdrängen der eigenen Bedürfnisse. Alle Wünsche laufen in S.3 letzten Endes kurzerhand ins Leere.

LyrIch scheint in dem Widerspruch zwischen Angepasstheit und Ausbruchswunsch zu stecken. Das Haus von LyrDu (man weiß gar nicht so genau, ist ein Partner oder das gesamte Dorf angesprochen) ist immerhin eines mit „hellen Fenstern“, auch wenn es LyrIch als „Gefängnis“ erscheint. Getrimmt aufs Brav-Sein gibt es anscheinend nur ab und zu Momente, wo LyrIch einen Freiheitsdrang verspürt und sich in die Ferne gezogen fühlt (V.3-5). Es hängt weiterhin fest in den alten Mustern / Beziehungsmustern, alle Freiheitsgedanken erscheinen visionär („woanders leben / dann und wann“).

Würde man V.7 alleine lesen, so wirkt dieser recht depressiv: "und will nicht mehr, auch heute nicht, / woanders leben“. Erst das „Und doch: Hier bin und lebe ich“ der Vorzeile gibt den Grund an, warum LyrIch bereit ist, sich mit seiner Situation zu arrangieren. Was sollte es auch anderes tun? Hier ist sein Zuhause, in dieses Leben wurde es hineingeboren. Weglaufen und auf irgendwelche „Gespenster“ hören gilt nicht. Ein anderes Leben ist und bleibt unvorstellbar: „und will nicht mehr, auch heute nicht, woanders leben.“ (V.7-8)

Klar, knackig und gut! LG Irma

Kommentar geändert am 25.01.2018 um 00:15 Uhr

 Isaban schrieb daraufhin am 27.01.18:
Danke, liebe Irma, was für eine wundervolle und am Text belegte Interpretation! Es ist toll, wie du den stilistischen Mitteln nachspürst und sie nach und nach offenlegst und für dich ordnest - ich genieße jede deiner Rückmeldungen.

Liebe Grüße

Sabine

 AZU20 (24.01.18)
Im Dorf leben bleiben, auch wenn ein kleiner Zorn kneift. Doch ich denke, Ferne kann auch durch Reisen in das Leben aufgenommen werden. LG

 Isaban äußerte darauf am 27.01.18:
Oder durch die Realität,. wenn es sich um ein kleines KV-Dorf handelt. Oder durch den Sprung in die potentiell gefährliche und gewiss anstrengende Freiheit, bei der man all das, was vertraut und heimelig ist zurücklässt, wie z.B. den freundlichen, wohlmeindenden familiären Rückhalt, den Wohlbekanntes so zu bieten hat, auch wenn es einengt und die Entwicklung behindert.
LG Sabine
fdöobsah (54)
(24.01.18)
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 Isaban ergänzte dazu am 27.01.18:
Mach ich das? ;)

Auch hier wieder eine großartige und absolut am Text belegbare Interpretation! Grandios herausgetüftelt und in jedem Punkte nachvollziehbar.

"Und doch" beinhaltet immer eine Überlegung und Überlegungen haben es so an sich, dass sie in die eine oder andere Richtung tendieren oder aber plötzlich umschwenken. Vertraute, heimelige Enge hat so was vorhersehbares, wohliges, bequemes, sicheres, wer weiß, vielleicht könne so ein Sprung nach draußen die ganze Weltsicht oder die Sicht auf sich selbst verändern oder sogar zerstören.

Das Ende muss offen bleiben, am Ende muss eine Entscheidung anstehen, die jeder einzelne Leser für sich selbst treffen muss,

Vielen herzlichen Dank für deine Beschäftigung mit meinem Text und diese wundervolle fundierte Rückmeldung.

Liebe Grüße

Sabine
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