„Nimm Di nicks vör, denn sleiht Di nicks fehl!" (1)

Text zum Thema Menschen

von  GastIltis

„Bin ich ein Vogel, dass ich an zwei verschiedenen Orten zur gleichen Zeit sein kann“ (2)

Vor ein paar Tagen habe ich zwei Begriffe verwechselt: Simulanten und Simultanten. Versehentlich.
Simulanten muss man nicht erklären, gab es im Krieg, gibt’s bei der Arbeit, sie stehen beim Arzt Schlange und beim Fußball. Gut, da stehen sie nicht Schlange. Simultanten sind vom Begriff her eine Erfindung (angeblich) von Karlheinz A. Geissler, der von 1975 bis zu seiner Emeritierung 2006 an der Universität der Bundeswehr tätig war. Er hat schon 2003, editiert 2007, einen Beitrag zum Thema Simultanten, mehr noch zur Gleichzeitigkeit, geschrieben.

Die Gleichzeitigkeit, offenbar ein Begriff unserer Zeit, bedient die Prinzipien der zeitlichen Orientierung der Menschen neu. Das heißt, jeder moderne Mensch unternimmt mehrere Dinge gleichzeitig, ist also ein Simultant. Was man also früher nur hohen Persönlichkeiten, so Napoleon, nachsagte, dass er mehrere Briefe gleichzeitig lesen, diktieren und (wahrscheinlich vernichten) konnte, das tun wir heute so ganz nebenbei. Ich bezweifle das, aber ich habe kein Smartphone. Andrerseits, wer beim Bedienen des Smartphones gegen einen Laternenpfahl läuft, überzeugt mich auch von der These, dass Gleichzeitigkeit begrenzt möglich ist.

Folgender Satz von Geissler (das A. erinnert mich irgendwie an einen Namen mit einem W. mittendrin) hat mich aber irritiert:

„Auch die Planungen für die Irak-Invasion haben sich gleichzeitig auf Zerstörung, Regimewechsel und Wiederaufbau gerichtet.“ (3)

Das mag sein. Ein Professor an einer Einrichtung der Bundeswehr muss es wohl so schreiben. Dass der Krieg völkerrechtswidrig war, erwähnt er nicht, konnte er 2003 noch nicht wissen, die Editoren schon. Dass die Aggressoren - Achtung Gleichzeitigkeit! - sofort das Ölministerium geschützt und übernommen haben, wird ebensowenig erwähnt, wie die Tatsache, dass die Museen ohne Garantie und ungesichert geplündert werden konnten. Dass dabei Schätze der Weltkultur unwiederbringlich verloren gegangen sind, ist natürlich unbeabsichtigt gewesen. Ein Wiederaufbau? Der Erdölanlagen, ja. Infrastruktur? Wenn, dann ist das eine Sache der Europäer, vermute ich.

Eine weitere These des Professors machte mich ebenso stutzig:

„Viele ältere Menschen werden umlernen müssen. In welche Richtung, zeigt die originelle Antwort auf eine Frage am Schwarzen Brett einer Firma: Was lässt sich tun, damit alle Mitarbeiter pünktlich beim Klingelzeichen am Arbeitsplatz sind? »Lasst den, der zuletzt kommt, klingeln!«“
Flexibles Handeln ist angesagt.
„Die Morgenkonferenz wird dann einberufen, wenn auch der Letzte am Arbeitsplatz eingetrudelt ist.“

Der Arzt am OP-Tisch fängt mit der OP an, wenn der Anästhesist eingetroffen ist. Oder umgekehrt. Der Simulant ist dann gerade verstorben. Macht nichts, die Organspende war gleichzeitig im Stau stecken geblieben.

Und noch ein Satz, aber leicht abgewandelt:

„Der … Simultant ... ist, privat wie beruflich, im Frieden wie im Krieg, ein Abhängiger der Versofortigung des Zukünftigen.“ (3, gekürzt), (Original: Junkie = Abhängiger: von mir)

Hier zwangsläufig noch eine Bemerkung zum Krieg: 1917 haben die Westmächte (Briten) die deutschen Stellungen an der Westfront bei Messines (Belgien) bergbautechnisch untergraben und gleichzeitig in 8 km langen Stollen Minen gezündet, die neunzehn riesige Krater hinterlassen haben. Auf einen Schlag gab es 10.000 Tote (zehntausend) GLEICHZEITIG!

Damit wurde der lauteste Knall (nach den Atombomben) der Geschichte von Menschen erzeugt, der bis London zu hören war. Welch ungeheure Schande!
   
Gleichzeitigkeit kann etwas Gutes bedeuten, Beispiele sind nicht vonnöten.
Gleichzeitigkeiten, um anderen Schaden zuzufügen, andere zu missachten, die Natur und die Umwelt nachhaltig mit Füßen zu treten, sind verwerflich und sollten beim Namen genannt und an den Pranger der Gegenwart gestellt werden.

Der Simultant ist ein Abhängiger der Versofortigung des Zukünftigen. Ein merkwürdiger Satz! Vielleicht sollte man ihn mal simulieren.


Quellen;
(1) Fritz Reuter: „Dörchläuchting“ Verlag Buchhandlung Vorwärts GmbH Berlin
(2) Jutta Janke: „Von armen Schnorrern und weisen Rabbis“, Verlag Volk und Welt 1975
(3) Karlheinz A. Geissler: Zeit Online Nr. 15/2003 vom 3.4.2003 „Alles zu jeder Zeit“


Anmerkung von GastIltis:

Empfohlen von: AZU20, Graeculus, LottaManguetti, TassoTuwas, wa Bash.
Vielen Dank!

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Kommentare zu diesem Text

LottaManguetti (59)
(21.02.18)
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 GastIltis meinte dazu am 21.02.18:
Liebe Lotta, zuerst zum zweiten Teil: Anlass war wieder mal deine Gegend. Weil ich mehrfach von der Abfahrt Spandau nach Brandenburg gefahren bin, musste ich immer wieder durch Weseram. „nicht weiter schlimm“ (siehe Verse vom 16.2.), dachte ich und dann fiel mir die Tante aus Meck-Pomm mangels eines anderen Reimes ein (ja, wo lebe ich denn?). Und nun kommt der große Walther (was ist bloß in ihn gefahren!) und fängt eine Diskussion um allerlei Tanten, Groß-, Erb-, Sextanten an, denen ich dann noch Mu- und Simultanten nachlege. Am nächsten Morgen (schlaflose Nacht) habe ich festgestellt, dass ich eigentlich Simulanten meinte. Peinlich! Bis Wikipedia dann half. So bin ich zu dem Text gekommen. Eine unbefleckte geistige Empfängnis quasi.

So, jetzt der nächste Teil: als ich beim Erdöl anfing, damals, nach dem Studium, lernte ich meinen Freund Helmut kennen. Er beherrschte fünf Sprachen: D, Russisch, Englisch, Französisch, Polnisch (drei Wochen Polenurlaub), Arabisch (als Student hatte er sich in Freiberg mit einem Araber aufs Zimmer legen lassen). Er war Messi. Sein Haus, das älteste Backsteinhaus auf dem Darß, steht heut nicht mehr. Zwei Jahre war ich beim Erdöl. Da fing er an, Japanisch zu lernen. Als ich vom Erdöl weg war, habe ich meine Campingsachen im Winter bei ihm eingelagert. Dann sagte er mir: Jetzt kann ich japanische Fachtexte perfekt übersetzen. Nur: eine Lizenz und Aufträge hat er nie bekommen. Aber sollte ich ihn jetzt mal benötigen, Festnetz und Handynummer habe ich. Danke dennoch für den Hinweis.

Was bleibt noch: danke + viele liebe Grüße von Gil.
Graeculus (69)
(21.02.18)
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 GastIltis antwortete darauf am 21.02.18:
Hallo Graecu, danke für die Ergänzung. Sie hätte aber mehr zwischen die -tanten von Walther und mir gepasst, also in die Kommentare von „nicht weiter schlimm“. Soll keine Werbung sein! LG von Gil.

 TassoTuwas (21.02.18)
Dascha gediegen! (der Titel ist gemeint)
Bei den unzähligen Dingen, die gleichzeitig um uns herum passieren, habe ich die Hoffnung, dass ein paar davon vernünftig sind!
Huch,, ich bemerke an mir einen Optimismus
LG TT

 GastIltis schrieb daraufhin am 21.02.18:
Hallo Tasso, wie schon Fontane sagte: Ein Optimist ist ein Mensch, der ein Dutzend Austern bestellt, in der Hoffnung, sie mit der Perle, die er darin findet, bezahlen zu können. Am besten wäre eine schwarze. Allerdings müsste man dann 15.000 Austern bestellen. Wer kann das schon?
Danke und sei gegrüßt von Gil.

 Dieter_Rotmund (21.02.18)
Flott geschrieben, ist mir im Kern aber zu moralinsauer. Und die Geschichte mit der Mega-Bombe im 1. Weltkrieg kommt mindestens einmal im Monat als Wehr-Doku auf N24 (oder ntv, ich kann die nicht auseinanderhalten). Ist also ein altbekannter Hut.

 GastIltis äußerte darauf am 21.02.18:
Hallo Dieter, danke für dein „flott geschrieben“. Sauer oder nicht, das ist u.U. eine Frage des Alters und der persönlichen Schicksale, die sich mit einem oder beiden Weltkriegen verbinden. Wenn man kriegsbedingt als Halbwaise aufwächst und die abgewetzten Fotos Anfang der Fünfziger als Beleg dafür zurück erhält, dass der Rückkehrer, (einer der wenigen), Zeuge eines Endes war, dann bekommt man bei der Nüchternheit und etappenhaften Versachlichung des Krieges so von oben herab im Artikel des Herrn Geissler schon einen „Hals“; was vor zwanzig bis dreißig Jahren an Wahrhaftigkeit im Sinne von Wehrfähigkeit gelehrt worden ist, bekommen wir jetzt fast täglich zu hören. Und die „Mega-Bombe“ waren Minen, vielleicht Mega-Minen, von denen einige noch nicht entschärft worden sind und jederzeit losgehen können. Die letzte, durch ein Gewitter ausgelöste Explosion, hat „nur“ eine Kuh getötet.
Übrigens hatte ich einen Fehler drin, Graecu hat ihn festgestellt; ich bin schon froh, dass der Begriff schlampig nicht erschienen ist. Ach so, Geissler war kein Journalist, ich schon lange nicht, also, du bist es, sei nachsichtig. Nicht mit mir, mit Berufeneren. LG von Gil.
wa Bash (47)
(21.02.18)
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 GastIltis ergänzte dazu am 21.02.18:
Hallo Bastian, du bist doch (im positiven Sinn) ein Super-Vertreter der Gleichzeitigkeit, quasi der Simultant von KV. Du schreibst hervorragend und fotografierst noch besser oder umgekehrt. Nein, das soll kein Scherz sein. Es ist, das weißt du, ehrliche Anerkennung. Wenn dein Satz oben stimmt, warum sollte er nicht, freut es mich umso mehr. Danke und viele Grüße von Gil.
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