Darf's ein Scheibchen Meer sein?

Alltagsgedicht zum Thema Geheimnis

von  Isaban

Mir wurde schon als Kind recht zeitig klar,
was gut ist, ist meist wertvoll und sehr rar,
was lange halten soll, wird dünn geschnitten.

Mit meinem Bruder habe ich gestritten,
wer Wurst und Marzipanbrot schneiden sollte.
Wer nicht schnitt, durfte wählen, dafür grollte

der andere, der auch das Größte wollte.
So lernte man, die Scheibchen fein zu schneiden,
um Gram und Ärgernisse zu vermeiden.

Ich hab ein großes Herz mit vielen Kammern.
Inzwischen sind die meisten längst belegt.
Obwohl dort ab und an ein Sturmwind fegt,

die Stammbelegschaft wohnt dort unbewegt.
Was immer Kammern baute, ist verreckt.
Sein letztes Bauwerk halte ich versteckt.

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Kommentare zu diesem Text


 Isensee (27.02.18)
Okay.
Hat das lyrische ich Herzkammern aus Wurst."Ich hab ein großes Herz mit vielen Kammern.
Inzwischen sind die meisten längst belegt."
Herzkammern belegt wie Brötchen.
Also das waren die ersten Gedanken dazu und nun ist es mir unmöglich das Gedicht ernst zu nehmen.
Kann man natürlich sagen, dass es an mir liegt.
Oder es liegt an der doch unvorteilhaften Reimwut.
Schneiden vermeiden.

 keinB meinte dazu am 27.02.18:
Liegt an dir, Isi. Warte ein paar Stunden, ich erklärs dir dann. ;)

 Isaban antwortete darauf am 27.02.18:
Hallo Isensee,

die Interpretation eines Textes obliegt immer dem jeweiligen Leser und wird durch dessen Erleben, seine persönlichen Erfahrungen, seine Ansichten, seine eigenen Assoziationen, seinen persönlichen Geschmack, seine Empathie und natürlich von seinem Wissensstand beeinflusst. Aufgrund ihrer Subjektivität gibt es keine falschen Interpretationen. Ich gratuliere dir zu deiner. Sie ist spannend und sehr aufschlussreich. Vielen Dank, dass du uns an deinen Gedankengängen teilhaben lassen mochtest.

LG Isaban


@ keinB: Garstigen kleinen Kindern schenkt man keine Honigdrops. ;)

Liebe Grüße

Sabine

Antwort geändert am 28.02.2018 um 09:27 Uhr

 TassoTuwas (27.02.18)
Hallo Isaban,
mir kommt es vor als lese ich zwei Gedichte und noch suche ich "the missing link" zwischen oben und unten!
Liebe Grüße
TT

 Irma schrieb daraufhin am 27.02.18:
Ja, ich stehe auch noch etwas ratlos da. Der erste Teil (S.1-3) ist ein rundes Bild. Auf diese Weise haben mein Schwiegervater und seine Schwester auch ihr Erbe aufgeteilt. Bei Immobilien ist sowas ja immer nicht so einfach, da neben dem Geldwert auch immer der ideelle Wert mit reinfließt. Erst wollten sie zwei Teile schaffen und dann losen. Aber vielleicht hätte dann einer hinterher doch gemurrt, dass er das Pech hatte, den 'falschen' Anteil zu bekommen. Dann hat einer geteilt und der andere durfte wählen. Eine gerechte Methode.

Den Titel bekomme ich allerdings schon schwer damit zusammen: "Ein Scheibchen Meer"? Geht es in den letzten beiden Strophen vielleicht ums Meer? Nein, da geht es um Herzenskammern. Hier hat jemand zwar ein großes Herz, aber es ist bereits belegt. Lyrich ist nicht mehr bereit, da noch jemanden einziehen zu lassen. Obwohl noch eine Kammer frei ist, hält es diese verwahrt. Herz verschlossen, Schlüssel weg. Hier kommt keiner mehr rein. LyrIch will seine Liebe nicht mehr weiter teilen. Aber inwieweit sich dieses Nicht-mehr-teilen-Wollen mit den dem ersten Gedichtteil verbindet, habe ich noch nicht recht ergründen können. Grübelnde Grüße, Irma

Antwort geändert am 27.02.2018 um 10:45 Uhr
Marjanna (68) äußerte darauf am 27.02.18:
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 Irma ergänzte dazu am 27.02.18:
@ Marjolaine: Das mit dem Erbe war nur ein Beispiel, das ich anführte, um zu zeigen, warum mir diese Art des Verteilens von Begehrtem sehr vertraut ist.

Das "sein" bezieht sich anscheinend auf "Was immer Kammern baute". Und dieses scheint wohl ein Teil von LyrIch selbst zu sein, der aber nun nicht mehr zum Teilen bereit ist und, wie du schreibst, die letzte freie Kammer unter Verschluss hält.

Antwort geändert am 27.02.2018 um 12:09 Uhr
Marjanna (68) meinte dazu am 27.02.18:
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 AZU20 meinte dazu am 27.02.18:
Ich habe ähnliche Probleme wie Tasso und rätsle. LG

 Isaban meinte dazu am 27.02.18:
Hallo, ihr vier!

@ Tasso: Schau in Tinas Kommi, sie trifft sehr viele meiner Intentionen und erklärt manche besser, als ich es hätte tun können, lieber Tasso.

Viele Grüße

Sabine

@ Irmchen:

Liebe Irma,

wie mir die Kommentare zeigen, habe ich meine roten Fädchen wohl zu subtil eingebaut und euch der Grübelei überantwortet, sorry. ich dachte, gerade durch den Titel würde sich der Zusammenhang deutlicher zeigen. ich freue mich dennoch, dass du dich mit dem Text beschäftigen mochtest. Herzlichen Dank für deine Rückmeldung.

Liebe Grüße

@ Marjo:

Hallo Marjo,

ja, das "sein" bezieht sich auf den Baumeister - oder wa auch immer diese Kammern gebaut hat, aber die Sturmwindinterpretation gefällt mir auch sehr. Vielen Dank.

Liebe Grüße

Sabine

@ AZU20:

Lieber Armin,
du befindest dich in guter Gesellschaft. Verzeih, dass der Text ein wenig kryptisch geraten ist.

LG Sabine

Sabine

 keinB (27.02.18)
Der Titel war zuerst so ein: Boah, ne, echt jetzt? Uuuuuraltes Wortspiel, was is denn in Isaban gefahren?

Das Gedicht besteht aus zwei scheinbar nicht zusammenhängenden Teilen, erst die Kindheitsgeschichte, dann das Herzstück (sogar im doppelten Sinn).

Die ersten drei Strophen erzählen, wie das LI zu teilen gelernt hat. Dabei handelt es sich nicht um gerechtes Teilen (was ich zuerst annahm), sondern um ... ich nenn es jetzt mal: rechtschaffenes Teilen. Es geht nicht darum, dass jeder bekommt, was und so viel er will oder braucht, sondern das alle das Gleiche kriegen. Zack, sind wir auch schon bei den Herzkammern. Mir fehlt hier, ehrlich gesagt, ein bisschen ein Hinweis auf die einheitliche Größe der Dinger(, die ich vielleicht auch nur unbedingt interpretieren möchte). Das LI teilt seine Liebe zu gleichen Teilen auf - an wen, ist dabei weitgehend irrelevant. Die Stammbelegschaft ist die (Kern-)Familie, besonders Kinder sind darauf angewiesen, dass sich keines zurückgesetzt und/oder vernachlässigt fühlt, was aber bei unterschiedlichem Geliebtwerden oft nicht zu vermeiden ist. Das schlägt den Bogen zurück in die Kindheit, es ist der Bruder, mit dem gestritten wird und die elterliche Restriktion, dass der, der schneidet, nicht aussuchen darf, ist ein überaus cleverer Schachzug, um genau diese (Fehl-)Empfindung bei Kindern zu unterbinden.
Die meisten Kammern sind belegt, das LI ist schon älter, hat selber Kinder (die Stammbelegschaft), hat schon einige Menschen kommen und gehen sehen (freundschaftlich wie amorös) und den ein oder anderen auch schon stürmisch hinausgefegt.

Die Kammern hat das Kind aus den ersten drei Strophen gebaut, dem wurde es so (und nicht anders) beigebracht. Es ist leider verreckt - (innere) Kinder, besonders hochsensible, 'zerbrechen' oft an Restriktionen, in dem Fall vielleicht auch an der permanenten Gleichbehandlung der Eltern. Unterschiedliche Charaktere haben unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe, Liebe, usw. Wären die Eltern diesem nachgegangen, hätte sich der Bruder vielleicht zurückgesetzt gefühlt ... (wie man's macht isses falsch).
Sein letztes Bauwerk. Mhja. Vielseitig. Auf den Sturm bezogen vielleicht die letzte Kammerruine, die neueste fehlgeschlagene Beziehung oder Freundschaft. Aber das will ich nicht glauben. Bauwerk impliziert mir was Größeres als so ein doofes Unisex-Kämmerchen. Ah! Da kriegt also einer ein größeres Stück vom Kuchen. DIE eine große (vielleicht heimliche) Liebe, die man nie so ganz vergisst. Aber das würden wir natürlich nienie zugeben. Deswegen versteckt.
Liebe ist aber kein Kuchen. Liebe ist auch nicht endlich. Liebe muss man nicht, wie die Wurst und das Marzipanbrot früher, portionieren und spärlich austeilen. Kann man auch gar nicht - Liebe lässt sich nicht in Scheiben schneiden. Das Meer übrigens auch nicht. Und schon finde ich den Titel besser. Das LI begeht Selbstbetrug, da es sich das mit dem Portionieren einredet.

Ich überlege schon die ganze Zeit, ob es vielleicht irgendeine Frucht gibt, deren Kerngehäusekammern exakt die gleiche Größe haben. Wie ich die Natur einschätze, bestimmt. Hätte mir als Titel mit dem Zusatz"herz" dann auch gefallen.

Einiges von obig aufgeführtem lässt sich wahrscheinlich auch formal belegen. Hier muss und werde ich aber wie immer passen. :)

Diese völlig unstrukturierte und springende Interpretationsweise hat mich früher übrigens viele Punkte gekostet. Vieleviele. :(

Liebe Grüße
Tina

 Irma meinte dazu am 27.02.18:
Klasse Kommentar, Tina! Und ganz und gar nicht unstrukturiert oder springend, sondern sehr erhellend. LG Irma

Antwort geändert am 27.02.2018 um 13:18 Uhr
Marjanna (68) meinte dazu am 27.02.18:
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 keinB meinte dazu am 27.02.18:
Danke Euch :)

 Isaban meinte dazu am 27.02.18:
Mausi,

jetzt bist du verraten und verkauft, jetzt weiß hier endlich absolut j e d e r , das du kommentieren kannst. Du glaubst doch wohl selbst nicht, das du dich noch mal mit "Lyrik? Mit Lyrik hab ich so absolut gar nix am Hut" rausreden kannst, oder?

Ich muss dir gar nicht mehr erzählen, wie toll dein Kommentar ist, ich schließe mich einfach Irma und Marjo an. Meine Intentionen hast du zum sehr großen Teil rausgefischt aus meinen Versen und deine Interpretation ist - ach, sei ehrlich, das weißt du schon längst. So bleibt mir nichts, als mich noch einmal sehr herzlich zu bedanken und in Höchstlautstärke "Weiter so!" zu trillern.

Liebe Grüße

Sabine

 keinB meinte dazu am 27.02.18:
Mist!
Echo (34)
(27.02.18)
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 Isaban meinte dazu am 27.02.18:
Hallo Echo,

jeder darf seine ganz eigene finden, genau so funktioniert Lyrik.
Danke für deine Rückmeldung.

 Lala (27.02.18)
Moses hat es gekonnt. Zumindest mit dem roten Meer.
Nu aber: das Meer ist der Ursprung allen Lebens, Ist die große Mutter und ich las es so, dass sich hier eine Mutter (Meer) an ihre Kindheit erinnert und explizit daran wie olle Wurst und feinstes Marzipan geteilt wurde. Aber Liebe kann man ja eben so wenig teilen, aufschneiden wie das Meer (außer s.o.).

Es gehen Stürme drüber, aber es bleibt das Meer, die Liebe zu den Kindern, der Familie ungebrochen. Auch wenn die selbst scheinbar ungerührt gegenüber dieser unteilbaren, bedingungslosen Liebe geworden sind. Unteilbar ist es , wie schon festgestellt, aber scheinbar auch endlich (verreckt). Es baut keine Kammern mehr, es spendet, gebiert kein Leben mehr. Das ist vorbei. Tja, aber was ist mit dem letzten Bauwerk? Eine Fehlgeburt? Welches aber auch Teil der nicht teilbaren Liebe der Mutter ist, aber mit der die anderen niemals Wurst oder Marzipan teilen müssen? Meine 5 Cent.

 Isaban meinte dazu am 27.02.18:
Hallo Lala,

und das von dir und dann noch unter Lyrik! Yeah!
Da steckt verflixt viel von dem drin, was ich in meinem Text verstecken wollte. Sie gefällt mir ausgesprochen gut, deine Interpretation. Du bist sehr viel empathischer als du immer tust.
Deine Rückmeldung war mir eine Freude.

Herzlichen Dank.

(Hieß das nicht früher" ein Penny für deine Gedanken"? Inflation, sage ich da nur, Inflation! Bei dir sind es auf jeden Fall gut angelegte 5 Cent. ;) )

Liebe Grüße

Sabine

 Cathleen (27.02.18)
Interessant. Obwohl ich mit den letzten beiden Zeilen nichts anfangen kann. Den "Rest" kenne ich aus Kindertagen nur zu gut. ;) LG Cathleen

 Isaban meinte dazu am 27.02.18:
Hallo Cathleen,

es freut mich, dass du dich auf den Text einlassen mochtest. Danke für deine Rückmeldung.

LG Isaban

 Fritz63 (27.02.18)
na da schneide ich mir doch glatt eine Scheibe davon ab, wenn es gestattet ist und sage Dankeschön, auch beim lesen ist es so bequem sich hier und da eine Kammer für sich zu belassen, denn irgendwo da stapeln sich Teller, Schüsseln und auch Tassen.

Vielen dank für das schöne Gedicht, habe es sehr gerne gelesen und es gefällt mir sehr gut - LG von Fritz

 Isaban meinte dazu am 28.02.18:
Hallo Fritz,

das freut mich sehr. Lieben Dank für deine Rückmeldung.

Viele Grüße

Isaban
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