Die Stimme des Kartoffelmanns

Tagebuch zum Thema Heimat

von  kirchheimrunner

Die Stimme des Kartoffelmanns


Es passiert immer dann, wenn es dämmert, wenn ich alleine in meinem Zimmer bin und wenn es ruhig im Haus ist. Dann ziehen all die Jahre an mir vorbei; - viele Jahre sind es, die nun  vorbeiziehen und jedes von ihnen ist Abschiedstränen wert.

Bei einem Glas Rotwein, wenn der quittengelbe Mond ins Zimmer scheint, kommen meine Erinnerungen wieder; - genauso wie die Schwalben im Frühling kommen.
Sie kommen und nisten sich ein. Sie bleiben und ziehen wieder fort.

So werden Erinnerungen wieder lebendig. Sie erwecken Gedanken, und malen unscharfe Bilder vor meinen Augen, die aussehen wie vergilbte schwarz - weiß Fotografien. Es sind Bilder aus unendlich weiter Ferne, Bilder die längst vergessen waren, Bilder von Menschen deren Lachen und Weinen, deren Stimme für immer verloren war. Jetzt kommen sie wieder, die Gestaltenr aus vergangenen Zeiten. Es ist meine Jugend, die wiederkommt, immer wenn es dämmert. Wenn der Rotwein im Glas funkelt, und wenn ich alleine bin.

Meine schwarzen Haare sind grau geworden; - vor vielen Jahren schon.
Die Zeit geht an niemandem vorüber. Nichts bliebt wie es einmal war. Auch meine Heimat nicht. Münchens Isarvorstadt, das Giesinger Glasscherbenviertel, die Ramersdorfer Häuserzeilen und die Haidhauser Tagelöhner - Häusel, alles das hat sich verändert, es wurde kaputt saniert und restauriert; - auf Teufel komm raus!

Nichts erkenne ich wieder. Fremd ist mir meine Heimat geworden. Kauzige Häuserecken wurden abgerissen, die schiefen Spitzgiebelhäuschen in der Preysingstrasse, die den II. Weltkrieg unbeschadet überstanden hatten, wurden von Abbruchbirnen zertrümmert, von Baggern niedergewalzt. Schäferwiesen, Erdhügel mit Bärlapp, Gestrüpp und Queckengras; - alles wurde planiert.
Das was einmal meine Heimat war, ist versunken und verbaut, eingegossen in mindestens zehn Millionen Kubikmeter Beton. Vierspurige Strassen haben die geheimen Schleichwege gefressen; die Trampelpfade für Vorstadtindianer.
Überall steht: Betreten verboten!  Oder Kurzparkzone!
Und Geiz ist geil im Einkaufscenter!
Hochmodern, klimatisiert, Rolltreppen und grelles Neonlicht.

Früher verkaufte hier, an der Ecke Prinzregenten- Grillparzerstrasse, die die alte Senfmüller Therese - der liebe Gott hab sie selig - an uns Schulkinder frische Brezeln und Buttermilch. Einen halben Liter zu 40 Pfennige. Die Senfmüllerin gibt es nicht mehr, und auch keine durstigen Schulbuben mit Milchbärten; - sie sind erwachsen geworden und sitzen nun bestenfalls in Münchens Biergärten und machen auf Schickeria.

Meine Kinder sagen: Die Zeiten haben sich geändert! Gestern und Vorgestern; - das ist nicht mehr. Heute spielt die Musik anderswo. Sie spielt im Internetchat, und tönt gedämpft, gurgelnd und hämmernd aus den Mikrolautsprechern der MP3- Player.

Keiner von den coolen Kids von heute hat Lust, am Auer Mühlbach entlang zu pirschen, über die rostbraunen Ziegelmauern zu klettern, durch die Hinterhöfe, der alten Traditionsbrauereien von Hacker – Pschorr und Paulaner zu schleichen um die leeren Bierflaschen kistenweise zu klauen. Diese Vorstadtstrolche sind ausgestorben, genau so wie die Pförtner, die sie mit Drohungen und erhobenen Fäusten vom Werksgelände gejagt hatten.

Ich bin ich stolz auf mich. Ich war ein solcher Vorstadtindianer. Wenn meine Kinder wüssten, wie viele eingeschlagene Glasscheiben auf mein Konto gehen. Du liebe Zeit!

Aber all zu schnell verblassen diese Erinnerungen wieder und verschwinden im grauen Nebel der Vergangenheit.
So scheint alles verloren, verloren für immer.

Wäre da die Stimme nicht, die Stimme des Kartoffelhändlers. Ich höre ihn schon vom Weitem. Wie er seine Kartoffeln anpreist. Es war Immer Montags Nachmittag um halb vier; - im Winter etwas früher.

Kraftvoll, schwang er die Glocke in seiner Hand,
kraftvoll und wohl tönend schallte seine Stimme in unserem im Hinterhof:

Kartoffelmann, Kartoffelmann,
Kartoffeln; - schöne gelbe Kartoffeln
sechs Pfund; - eine Mark.

Wir Kinder rannten die Treppe hinunter, den Eimer in der Hand. Eine Mark im Strumpf. Und rote Wangen.
Wer als erster vor dem Kartoffellaster war, bekam einen Apfel. Einen schönen roten Apfel. Er bekam ihn geschenkt, direkt aus der Hand des Kartoffelbauern. Rau war die Haut, seiner Hand, rau war seine Stimme, aber groß war sein Herz. Und groß war auch seine Geldtasche, die an seiner Schürze hing.

Sechs Pfund, gelbe, schöne Kartoffeln rollten und polterten in meinen Eimer. Viele Jahre lang jeden Montag um halb vier; - im Winter etwas früher.

Kartoffeln,
Kartoffeln; - schöne gelbe Kartoffeln
sechs Pfund; - eine Mark.

Gäbe es diese Stimme nicht; - ich hätte fast meine Heimat vergessen. Die grauen Hinterhöfe, eine kleine enge Welt. Eine graue, Welt. Eine wunderbare Welt. Vergessen wären die kühlen Bierkeller, die Garagen mit den hölzernen Flügeltüren, die Wäscheleinen an denen alles lustig flatterte, alles Bunte, alles Weiße, lange Unterhosen und gestopfte Socken.

Vergessen wäre der Leierkastenmann; -
der einarmige Kriegsversehrte, mit seinem Zylinder und seiner Verbeugung vor seinem kleinen Publikum, vor uns Kindern,
vornehm und elegant; - verneigte er sich
als wären wir Könige.

Lili Marleen spielte er für 5 Pfennige,
Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh`n,
das gab es als Draufgabe.

Und dann, wenn die Straßenlaternen brannten, wenn es für uns Zeit war nach Hause zu laufen, dann kam für mich der eindrucksvollste Moment:Die offenen Fenster zum Hinterhof, Schwanden von Wirsinggeruch kräuselten durchs Treppehaus und machten mir Appetit. Aber nicht auf Wirsing, - pfui Teufel – sondern auf die würzige Speckschwarte, die mein Vater nicht mehr beißen konnte.

So ging Tag der zu Ende; - um sechs Uhr ging er zu Ende.
Im Winter etwas früher. Konrad der Hausmeister, sperrte das Hoftor ab. Dann ging er hoch zu seiner Frau. Alle lachten über ihn. Sie war größer als er; - mindestens einen Kopf! Er wackelte mit seinen kurzen Säbelbeinen die Holztreppen hoch; hinauf in den 4. Stock, hinauf zu seiner Gerda. Er ging langsam, immer eine Hand am Geländer, nach jedem Absatz musste er verschnaufen. Konrad war herzkrank. Seine Frau hatte ihn um viele Jahre überlebt.

Ich aber stürmte die Treppe hoch. Zwei Stufen auf einmal. Wie immer war ich zu spät.

"Wo hast du dich wieder herumgetrieben; - jetzt aber schnell, du Strolch: "deck den Tisch und wasch dir die Hände, du Schmutzfink, du!"
Jeden Tag das Selbe!

Von 1964 bis 1980, genau 16 Jahre wohnten wir in Ramersorf, in der Rosenheimer Strasse Nr. 216. Wir wohnten im dritten Stock, direkt unter dem Dach.

Ich bin sehr glücklich, dass es heute wieder passiert ist, als es dämmerte, als ich alleine in meinem Zimmer war. Hoffentlich höre ich sie noch oft, die laute Stimme des Kartoffelmanns, um die Jahre meiner Jugend retten, vor dem Urteil unserer schnelllebigen Zeit.

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Kommentare zu diesem Text


 princess (04.03.18)
Hallo Hans,

gerne bin ich eingetaucht in diese lebendigen Erinnerungen an den Kartoffelmann, an Lili Marleen, Vorstadtindianer, Wirsing und Speck. Natürlich haben sie mich zugleich auf eigene innere Pfade gelockt. Ist schon eine ganze Menge Leben, dieses gelebte Leben.

Liebe Grüße
Ira
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