M Punkt

Kurzgeschichte zum Thema Ausbrechen

von  eiskimo

Sie hatte seine Zettel gesammelt.
Nicht alle. Nicht systematisch. War es dunkle Vorahnung?
„Bin zum Tennis! Kuss, M.“
„Habe dein Auto genommen. Hole Sprudel. Bis nachher! M.“
„Gehe mit Olaf noch einen trinken – musst nicht auf mich warten, Kuss! M.
Die Zettel lagen mal auf der Anrichte in der Küche, mal auf dem Wohnzimmertisch.
Meist waren es ausgediente  Briefumschläge, die er auf der Rückseite noch benutzte.
Handy nehmen, SMS schreiben – das war nichts für ihn. Elektronische Fußfessel nannte er das. Darum Zettel.
Fahre noch ne Runde Rad, bin gegen 18 Uhr zurück. Freue mich..  M.
„Das Essen steht im Kühlschrank. Habe dir eine Hackfleischsoße gemacht. Lass
es dir schmecken!  M.“
„Muss nochmal bei meiner alten Firma vorbeischauen – kann dauern. Schlaf ruhig! M.
Meist schrieb er „Kuss“, manchmal malte er auch ein Herzchen – es waren nie
Schönschreib-Versuche, aber es war auch nicht lieblos gekrakelt.
„Besorge das Geschenk für Peter und hole auch deine Fotos ab. Kissi, M.“
„Dein Bruder hat angerufen. Habe ihm gesagt, du rufst zurück. Komme um fünf, M.“
Jeder Zettel ein Stück Zusammenhalt, Rücksichtnahme. Aber auch ein Stück Freiheit, 
das er sich nahm, das er brauchte.
„Habe meinen Arzt-Termin verpennt, soll kurz vor 12 noch hinkommen –  musst ohne
  mich essen, sorry!  M.“
Auch wenn er sie auch manchmal überraschte, sie hatte nie das Gefühl, dass er sie mal versetzen würde.  Es gab für sie einen Zettel, es gab das Signal: Ich habe dich auf dem Schirm. Ich komme zurück, mach dir keine Sorgen.
„Ich hab deinen Whisky alle gemacht, sorry. Kaufe morgen neuen.“ Dahinter wieder dieses geschwungene M. Kein zackig-markantes M. Er malte es rund, harmonisch. Punkt.

Seit drei Jahren hat sie schon keinen Zettel mehr vorgefunden. Seit jenem Samstag Morgen im Juni.
Da lag der Brief auf der Anrichte. Ein längerer Brief. In Kurzform: Er müsse weg.
Was Neues, was Eigenes aufbauen. Nicht mehr Anhängsel sein..
Verrückt. Beim Betreten ihrer Wohnung geht ihr Blick immer noch gleich hin zur Küchenanrichte.
Und dann auf den Wohnzimmertisch. Auch jetzt noch.

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (07.04.18)
Ha, bis zum letzten Abschnitt dachte ich noch: Wie süß!
Aber dann.

Dem "das" hinter "Freiheit" würde ich den Restsatz nahe bringen, den „Juni“ würde ich rauf zum „Morgen“ packen, dem "Freue mich" und dem "Anhängsel sein" jeweils eine der vier Auslassungspünktchen rauben und die beiden letzten Sätzchen könnte man ersatzlos streichen, lieber eiskimo, das kapiert der Leser auch ohne den Zaunpfahl. Ich würde auf jeden Fall nach "Auch jetzt noch." einfach aufhören.

Ein Text wie ein Frühlingsgewitter: Erst jede Menge blauer Himmel und dann kommt der eiskalte Guss, wenn man auf gerader Strecke ist.

Liebe Grüße

Sabine

 eiskimo meinte dazu am 07.04.18:
Super, Dein Fein-Tuning! Danke. Die komischen Zeilenbrüche waren in meiner Fassung nicht. Muss nächstens vor dem letzten Button noch einmal gegen lesen.
Tut mir Leid, wenn das Ende traurig stimmt.
lG
eiskimo
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