I saw the light

Tragödie zum Thema Wünsche

von  Ina_Riehl

Auf dem Bügel hing das Kleid: Ein edelmatter Jerseystoff in einem tiefen, fast schwarzen Blau.
Halsnaher Ausschnitt.
Knielänge.
Die Ärmel stießen perfekt an den Daumenballen an, so dass Ihre großen Gesten elegant wirken würden, ohne  einen Blick auf nackte Handgelenke freizugeben.
Kein Schmuck -  nur die teure Uhr. Ein zerkratzes Geschenk ihres geschiedenen Mannes, von vor etwa 1000 Jahren. Auf die Entfernung würde man das nicht wahrnehmen können.
Sie hatte das Kleid  in einem Edel-Second-Hand erstanden,
Es ließ die teure Abstammung, die weit über den Möglichkeiten ihrer Gehaltsklasse lag, nur sehr dezent sprechen.

Die bernsteinfarbenen Ledertiefel brachen das etwas zu frauliche Outfit eigenwillig. Ein gewünschter Effekt. Die zur Alternative stehenden dunkelblauen 7cm- Pumps bärgen die Gefahr, ihr die Souveränität, die sie sich mit Lautübungen im Treppenhaus eratmen würde, durch einen Wackler auf dem Weg zum Mikrophon wieder entgleiten zu lassen. Gleichzeitig demonstrierte ihre Wahl  auf eine etwas überhebliche Weise, dass sie auf das Add-on, ihrer immer noch schönen Waden, problemlos verzichten konnte.

Vier Stunden Recherche und dreimaliges Überarbeiten -  vor allem der Textpassagen, die den Zuhörern Gelegenheit geben sollten ihre angespannte Langeweile durch ein paar kleine Lacher abzubauen - hatten sich zu ihrer Zufriedenheit auf die Moderationstexte ausgewirkt.
Ein paar nicht vollständig ausformulierte Stichworte für die ungeplanten, vorhersehbaren Zwischenfälle (Referent Nr. II steht im Stau ...etc.) hatten die Vorbereitung ergänzt.

Gut.

Sie begab sich auf den Weg hinter die Kulissen, die natürlich keine Kulissen waren, sondern nur die Stunden "davor", in denen sie mit den Kolleginnen im Bequem-Outfit die Blumenarrangements positionieren, das Catering arrangieren und die Mikrophonprobe absolvieren würde. Im kalten Licht der Toilette geriet ihr das reduzierte Make-up perfekt.

Ein lächelnder Blick, der vermutlich aufmunternd wirken sollte, von der Lieblingskollegin.
Sie sah, was er wirklich sprach: "Gottseidank, habe ich nicht die Ehre".

Lippen schon jetzt in die professionellen Grübchen gehängt, grüßte sie mal hier mal da, ohne sich auf ein Gespräch einzulassen. Der Eröffnungssatz hing ihr schon in den Zähnen - deshalb!

50 Jahre - Die schon bekannte Begrüßungsrede der derzeitigen Vorgesetzten ließ ihr Raum den Blick über die Kolleginnen, die Sponsoren und Politiker, die Geladenen der Konkurrenz, die Angehörigen und die Mitglieder, sowie die 23 Jahre ihrer eigenen Mitwirkung schweifen zu lassen.

In ihrem Inneren begann unwillkürlich und diametral entgegengesetzt zur im Hintergrund intonierten Erfolgsgeschichte, eine andere Stichwortliste zum gleichen Thema zu funken:
zu kleine Budgets, Energieverluste im Konkurrenzkampf, unergiebige Gehaltsgespräche, Einöde der Nebenschauplätze, undsoweiterundsoweiter...

Höfliches Klatschen zollte den ausgesprochenen Worten angemessenen Respekt,

Fresh - die geschmackvoll-jazzige erste Musikeinlage, während derer sie ihren Platz hinter dem Rednerpult nun mit festem Schritt ansteuerte. Sie blickt auf das gräßliche Ölgemäde eines lokalen Künstlers, das ein aufgewühltes Meer zeigte. Es war ihr, als hätte sie es vorher niemals wahrgenommen.

Sie wendete in Richtung Publikum, hob den Kopf und für einen kurzen Augenblick hing in ihren Augen noch der Ausdruck, der von der Gischt auf den Kronen der Wellen herrührte, die der Maler theatralisch in  Szene gesetzt hatte.

Sie hatte sich vorgenommen, diesen Augenblick intensiv zu erleben. Sie hatte sich vorgestellt, sie stünde hier, als die, die sie damals als 25-jährige Berufsanfängerin war -  auf ein ähnliches Podium, einer ähnlichen Organisation, eines ähnlichen Jubiläums, einer ähnlichen arbeitsreichen Erfolgsgeschichte blickend.

Sie spürte in sich hinein, um die Quelle in sich zu finden, die damals ihren Idealismus gespeist hatte, ihren Geist, mit dem sie hinter dem Podium einer solchen NGO* hatte stehen wollen und mit blauen Haaren und geballten Fäusten für Gerechtigkeit hatte kämpfen wollen - aber sie rann ihr durch die Wahrnehmung!

Sie hier und das Meer des Publikums dort -  waren in die Farbpalette des Künsterls getaucht und es erschien ihr plötzlich absurd diese Szene in ihr Gedächtnis eintragen zu wollen.

Die reinweiße Gischt, die eben noch auf der im Vordergrund festgehaltenen Welle tanzte, würde im nächsten Augenblick von einer anderen Welle überrollt werden. Unmöglich dann zu unterscheiden, was eben noch vorne-oben oder hinten-unten gewesen war.

Sie wurde in das  Licht eines Kamerablitzes und die Wahrheit dieses Moments getaucht, der ihre Quelle vermutlich nur zufällig ausgesucht hatte.

"Wasser eines einzigen Wassers", schoß es ihr noch durch den Kopf, bevor sie anhob zu sprechen.



Der Raum war voller Menschen die (lediglich) ihre Arbeit taten -  sie eingeschlossen.

*Abk. Non-Government-Organisation


Anmerkung von Ina_Riehl:

It´s wonderful :))))
https://www.youtube.com/watch?v=BZOObJjjiOA

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (22.06.18)
Hier und ein paar kleine Fehlerchen, ansonsten recht gerne gelesen, obwohl alles ein wenig zu unkonkret ist.

 Ina_Riehl meinte dazu am 23.06.18:
Kannst Du dich erinnern, an welcher Stelle Du das Gefühl hattest, es müsste konkreter werden oder hinterlässt Dich der Text insgesamt in einem "unbestimmten Gefühl"?

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 25.06.18:
Nein, es hinterläßt das Gefühl, dass der Autor in seiner Schilderung ohne Not unkonkret geblieben ist, vor allem, was die Akteure betrifft. Die Über-Fokussierung auf die Kleidung gefällt mir hingegen zu, aber ein kleines Gegengewicht fehlt (Menschen).
Man erfährt zu wenig über die Motive/die Herkunft/die Situation der Protagonistin, da könne man doch schön was andeuten! Vielleicht auch die Branche nennen?

Aber zuallerallererst würde ich die Fehler korrigieren, die z.T. recht peinlich sind! (z.B. "bärgen")

 Ina_Riehl schrieb daraufhin am 04.07.18:
Moin Dieter, vielen Dank für Deine konstruktive Kritik. Ich habe noch mal drübergearbeitet.
Eine "kleine Not" hatte ich dann doch, wie weit ich mit der näheren Bestimmung der Organisation gehen soll. Das Motiv habe ich versucht etwas näher zu bestimmen.
"Bärgen" habe ich nicht korrigiert, weil ich das Präteritum für die richtige Konjugation halte, auch wenn es zugegebenermaßen etwas komisch aussieht.
MercIna_Riehl

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 05.07.18:
Achso, Konjunktiv 2, na gut, finde ich zwar etwas umständlich und sieht in der Tat komisch aus, aber kann man so machen.
michaelkoehn (76)
(22.06.18)
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 Ina_Riehl ergänzte dazu am 23.06.18:
;)
mannemvorne (58)
(22.06.18)
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 Ina_Riehl meinte dazu am 23.06.18:
Dieser Iatz-Stuff , so dämmert es mir allmählich, ist der perfekte Klangteppich für das Lebensgefühl 50+ Stimmts? Er groovt so im Einverständnis mit allen Höllen...:) und ansonsten:
Schäm Dich mal ordentlich für zweidrei Minuten, ob der expliziten Inhalte Deiner Kommentare.
"Schlürf!"
mannemvorne (58) meinte dazu am 23.06.18:
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 Ina_Riehl meinte dazu am 23.06.18:
:)
mannemvorne (58) meinte dazu am 29.06.18:
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