Logbuch des diensthabenden Offiziers der E.S.S. Hunger

Dokumentation zum Thema Täuschung

von  Inlines

--- Ich hoffe, dass die Kabelbinder aus dem Billig-Baumarkt halten. Und der Schlag genügend Schmackes hatte. Die Jungs sind extrem trainiert, verfügen über eine Physiologie, die nur wenigen beschieden ist. Einzig die Person, welche die Kameras überwacht, war leicht zu überwältigen. Um die mache ich mir keine Sorgen. Das war so ein typisches Müller-Exemplar.

--- War der rechte Hebel für die Steuerdüse oder die Zündung der 3. Stufe? Wie soll jemand diese englischen Beschriftungen verstehen können? Heutzutage sollte doch eine multilinguale Übersetzung möglich sein. Und Touchscreens Standard. Überhaupt: Wo ist diese Alexa, wenn man sie einmal wirklich braucht? Egal. Mein Ziel bietet ein optisches Erscheinungsbild genügender Größe. Irgendwie komm ich da schon hin.

--- Vielleicht werden sie mich bei der Arbeit vermissen. Vielleicht werde ich eine Abmahnung erhalten. Der Müller hat mir nie gegönnt, den Fensterplatz bekommen zu haben. Was wird der sich freuen... Wahrscheinlich geht er mit seinem Kumpel heimlich in den Pausenraum und stößt auf den Erfolg an. Hoffentlich erwischt ihn der Chef dabei... Dann hat er auch einen Verweis zu befürchten. Wäre nur gerecht...

--- Zu blöd, dass ich letztes Jahr so zugenommen habe. Eigentlich hätte ich mir einen Raumanzug von den Crew-Mitgliedern abgeknöpft, die jetzt im Behinderten-WC vor sich hin dösen. Aber da dies alles Mini-Menschen sind, war da leider nichts zu machen. Immerhin passt der Helm und die Hose. Am Oberkörper wird mir die Fettschicht helfen, die Strahlungsausstöße zu verkraften. Früher half das manchmal im Freibad. Zu irgendwas ist diese Kugel sicher nützlich. So wie unsre Erde auch.

Zündung - Wow. Jetzt haut es mich aber in den Sitz. Ganz schön heftig dieses Starten. Das muss man erlebt haben, um das nachfühlen zu können. Der Müller hat immer mit seinem Jeep geprahlt... Wenn der bloß wüßte... Der würde vor Neid platzen. So wie damals, als ich das letzte Schnitzel in der Kantine gekriegt habe, und er sich mit dem Hühnerstreifen-Salat zufrieden geben musste. Andererseits war das, was sein Magen da durchmachen musste, sicher nichts im Vergleich zu dem hier. Moment... Sind wir schon im Orbit?

3 Minuten nach dem Start - Ok, da ist der Mond... Jetzt noch ein bißchen rechts, dann ist der direkt vor mir. Ich fliege direkt darauf zu. Was diese Theoretiker bisher an Wegstrecke verschwendet haben, geht auf keine Kuhhaut. Ich werde allen beweisen, dass dieses Rumgeeiere keinen Sinn macht. Von wegen Landeanflug und Neigungswinkel. Als ob man da nicht auch ein wenig spontan sein könnte.

10 Minuten... - Sie werden mir alle dankbar sein. Auch wenn sie jetzt noch nichts davon wissen. Lange genug haben diese Astronauten die Menschheit vernarrt und Lügen gestraft. Bald wissen alle, dass der Mond in Wirklichkeit doch aus Käse ist, und ersten Siedlern wunderbar als Nahrungsquelle dienen würde. Ich werde der Erste sein, der dort eine Emmentaler-Hütte baut, und in Einheit mit der Umwelt ein zivilisiertes Leben führen wird. 5 Jahre habe ich auf Milchprodukte verzichtet, um meine Lust darauf zu steigern. Was für ein Labsal wird das sein. Was für ein Triumpf!

5 Tage - Komischerweise wird es immer heißer. Und auch heller. Wahrscheinlich ist der Käse warm. Praktisch verzehrfertig. Wie ein Fondue. So wie an Silvester vor 6 Jahren. Mann, war das lecker! Gabi meinte, dass sie sich am liebsten reinlegen würde. Aber hinterher hätte sie sich bestimmt darüber beschwert, was das für ein Aufwand bei der Wäsche gewesen wäre. Manchmal denkt sie nicht darüber nach was sie sagt. Hat irgendwas im Kopf, das nichts mit der Realität zu tun hat, und meint, sie könne sich darauf verlassen. Trotz ihren Fehlern vermisse ich sie sehr.

20 Tage - Auch wenn ich es nicht gerne eingestehe, aber die Temperatur lässt keinen Raum für Zweifel: Ich fliege auf die Sonne zu. Den angeblichen Lebensspender. Der mich bald schon töten wird. Die Anziehungskraft ist bereits zu groß geworden. Natürlich ist dies depremierend. Beinahe so depremierend, wie wenn der Müller von einer Gehaltserhöhung schwärmt. Aber ich nehme es wie ein Mann. Wie der Kapitän eines Schiffes, der bereit ist mit dem Krabben-Kutter an den Grund der Nordsee abzutauchen. Ich habe etwas Außergewöhnliches gewagt, weil ich an etwas geglaubt habe. Weil ich den Traum vor Augen hatte, der Käseindustrie die Schranken aufzuweisen. Weil ich vorhatte, einen kleinen Bissen zu mir zu nehmen, der ein großer für die Menschheit gewesen wäre. Welches edlere Ziel könnte einem Mensch Trost in einer solchen Stunde sein?

Machts alle gut. Euer Willi.

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