Der Mann und die Amsel.

Erzählung zum Thema Erinnerung

von  franky

Der Mann saß bei schönem Wetter täglich am Tisch vor seinem Haus und strich sich dick Schweineschmalz auf sein Brot. Dann schälte er drei vier Zehen Knoblauch, die er dann klein geschnitten über das geschmierte Brot verteilte. Er war an die fünfzig, hatte eine Gesichtsfarbe wie ein Lerchenbaum, so rötlich braune von Wind und Wetter gegerbte Haut, die an den Augen schon kleine Fältchen aufwiesen. Für das Militär war Herr Grassecker vorerst zu alt. Mit stoischer Ruhe trank er Most aus einem Krügel, den er bei einem Bauern in der Nachbarschaft eingekauft hatte. Man könnte meinen, den kann nicht so rasch was aus der Ruhe bringen.
An sechs Tagen ging er mit ebenso stoischer Ruhe, Schritt für Schritt wie eine Maschine in die (Sechse-Zwei, oder Zwei-Zehneschicht) in die Papierfabrik Carl Schweizer zur Arbeit.
Dort war er eingeteilt, Holzstämme für die Papierfabrikation parat zu machen. Diese Arbeit musste bei jeder Witterung verrichtet werden. Herbst und Winter, Frühling und Sommer, bei Hitze und Kälte.
Bei (Zwei-Zeheneschicht) kochte ihm seine ebenso robuste, aber im Gegenteil zu ihm, eine herzliche, temperamentvolle Frau ein schmackhaftes Essen, das ihm seine Frau dann in die Papierfabrik als Abendessen Nachreichte.
Im zweiten Weltkrieg waren wir alle, mehr oder weniger gezwungen, uns als Selbstversorger zu betätigen.  Auch Ehepaar Grassecker pflegte einen hübschen Garten, wo alles Mögliche von Gemüse, Salaten  und Gewürzen gedeihten.
In einem, ihrem Haus anschließendem Stallgebäude  züchteten sie Hühner und Hasen, um sie zur gegebener Zeit auf ihren Speiseplan zu setzen. Die Legehennen sorgten in den langen, hellen Tagen des Jahres für stets frische Eier.   
Wenn es so weit war, Ging Herr Grassecker in den Stall und fing einen Hasen aus seinem Bau.
Mit geübten Fingern wurde das Geschlecht des Tieres festgestellt. Meist traf es die Männchen. Ein Bock in den drei Abteilungen war genug. Mit meinen sechs, sieben Jahren stand ich unauffällig hinter seinem Rücken und beobachtete Grassecker bei der Schlachtung des Hasen. Alles passierte so rasch, mit flinken Händen wurde das Prozedere abgewickelt, da war kaum ein Laut des Tieres zu hören.

An einem freundlichen Sommertag, stand Herr Grassecker am Eingangstürl des Weidezauns und lehnte sich an dem uralten Zaunpfahl. Spitzte seine Lippen und gab einer Amsel, die auf dem Dachgiebel der Scheune saß und ihr wunderschönes Werbelied für sein Weibchen trällerte, Antwort. Ich war wie gebannt! Hing an seinen Lippen und konnte dieser Vogelstimme, die so echt aus dem Mund von Herrn Grassecker drang, gar nicht genug bekommen. 
Keiner von dem Ehepaar Grassecker konnte Radfahren, sie gingen alle Wege zu Fuß.
Im Ernstfalle nahmen sie für längere Reisen den Bus, oder den Zug. So auch an jenem Tag, als Herrn Grasseckers geschiedene Frau in Pirkfeld verstorben war. Das war für das, schon einige Jahre glücklich zusammenlebende Ehepaar ein Glücksfall. Nun konnten sie nach der Standesamtlichen, auch die kirchliche Trauung vornehmen. Als Trauzeugen hatten sie meine Mama und meinen Papa angefragt, die dem auch gerne zustimmten.
Für die Fahrt zur Kirche in Frohnleiten engagierten sie von Bauern Reisinger, die weiße Kutsche mit den schönen zwei weißen Pferden. Wir, Franziska und ich standen am Rande des Schulweges, wo dann das herrliche geschmückte Gefährt Mit Ehepaar Grassecker und Mama und Papa vorbeifuhren. Sie alle waren festlich gekleidet, was in den trostlosen Kriegstagen nicht Sehr oft vorkam.

Die zwei Söhne, Leopold und Franz aus der geschiedenen Ehe von Grassecker waren nicht anwesend. Der Ältere Leopold stand bei einem Metzger in Frohnleiten in der Lehre. Der Jüngere Franz ging noch in die Hauptschule.
Franz hatte aber damals schon im Hinterkopf, dass er sich freiwillig bei Militär melden werde. Nun aber war er erst vierzehn und noch zwei Jahre bis sechzehn zum Eintritt ins Militär. Zur Marine wollte er, die hatten so schöne blaue Anzüge, das wäre der Traum des furchtbar romantischen jungen Burschen gewesen.
Wie aber sollte er sein Vorhaben den streng konservativen Ältern beibringen; 

Als Franz nach den Schulferien keine Anstalten machte, sich einen Job zu suchen, hatte er verständlicher Weise öfters Zoff mit Vater und Ziehmutter. Dann aber ließ er die Bombe platzen! Und erklärte sein äußerst riskante Vorhaben. Beide Elternteile versuchten den Jungen umzustimmen.
„Mit sechzehn freiwillig zur Marine;“ Franz war jetzt noch ein Kind und mit sechzehn wird das nicht viel besser sein.
Deutschland benötigte dringendst Kanonenfutter, da waren die freiwilligen Kinder willkommen.

Ehepaar Grassecker war von ihrem Sohn so enttäuscht, dass sie ihn kurzwegs vor die Türe setzten. Kein Job, kein Einkommen, „Du hast bei uns nichts mehr zu suchen, Für uns bist du gestorben!“
Das war für Sohn Franz so ein derber, unerwarteter Schlag ins Gesicht, dass er sich lange davon nicht erholen konnte. Gedankenversunken saß er lange Zeit auf dem Hügel hinter dem Haus. „Kein gesichertes Einkommen, keine Familie kein Essen, kein Bett zum schlafen. 
Für die Nacht richtete er sich im Schuppen über den Hasenställen im Heu ein Lager ein. Er fand in einer Ecke der Scheune ein uraltes Bettgestell, das Franz mit Heu füllte und an eines der Luken der Wand platzierte, so konnte er wenigstens am Abend und Morgen durch die kleine Öffnung den Himmel beobachten. 

Zu Mittag durfte Franz in die Küche kommen und sich ein Stück Brot abschneiden, dazu ein Glas Wasser trinken. In dieser Zeit wo er sein Brot kaute, klopfte er mit dem Brotmesser den Takt eines Militärmarsches. "Von Finland bis zum Schwarzen Meer!" Seine Gedanken waren bereits weit weg, er fuhr schon mit Kameraden auf hoher See,
in den Kampf für seinen Führer.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (13.07.18)
Eltern sind und waren stolz auf ihre Kinder - bis die machen was sie selbst wollen. Und das ist völlig unabhängig von Zeit, Umständen und gesellschaftlichem Stand.
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