Zeitwaffel

Erzählung zum Thema Zeit

von  Carlito

Schwalben verzierten den Frühlingshimmel. Der Wind spielte sanft mit den Blättern der Bäume, die sich dies freudig gefallen ließen. Und diese Brise machte aus der Wiese einen dahingleitenden Ozean, auf dem Margeriten, Mohn und Löwenzahn als Schaumkronen der Wellen tanzten. Kinder lachten und tobten, Menschen sausten auf Drahteseln, andere sprinteten, wieder andere spazierten langsam, ganz langsam. Die Wesen im Park waren außerhalb der Zeit.
‚Zeit‘, dachte er, ‚was ist das eigentlich?‘
Die Hände in den Hosentaschen vergraben schlurfte er den Weg entlang. Seit er die Vierzig überschritten hatte, hatte er oft über die Zeit nachgedacht. Über die Lebensspanne, die vergangen war; über die Jahre, die noch vor ihm lagen und über die Menschen, denen er begegnet war. Allzu oft war er nur dahin gerast und hatte die Wirklichkeit kaum wahrgenommen.
‚Zeit‘, dachte er weiter, ‚gibt es die überhaupt?‘
‚Wenn man sich das Universum als riesigen Computer vorstellt, der seine Daten nur abspielt, könnte es doch sein, dass alles was wir wahrnehmen, nichts weiter ist als die Projektion eines kontinuierlich ablaufenden Programms oder einer ähnlichen Struktur.‘
Er blieb stehen, kratzte sich am Kopf und zerzauste seinen dunklen, mit grauen Strähnen durchsetzten Scheitel.
‚Ist alles vorherbestimmt? Haben wir einen eigenen Willen? Oder ist es gleichgültig, was wir tun? Haben wir überhaupt eine Wahl?‘
Seufzend ließ er seinen Blick umherschweifen.
Links vom Weg residierte der kühle Wald, rechts davon gab es eine von einigen Bäumen behütete Wiese, die von einer wenig befahrenen Straße gesäumt wurde. Die Wiese wurde von einem  Spielplatz begrüßt, auf dem Kinder unter der Obhut ihrer Eltern  ihren Abenteuern nachgingen.
‚Wenn die Kleinen wüssten, was ihnen noch alles bevorstehen könnte‘, dachte er.
‚Für sie kann die Zeit nicht schnell genug vergehen. Das Warten auf Weihnachten ist eine Qual, die Schule meistens auch. Wann bekomme ich mein Eis, wann sind wir endlich da? Nichts kann schnell genug gehen. Für mich rast die Zeit nur noch dahin. Aber tut sie das auch wirklich?‘
Er blickte auf den mit Asche gepolsterten Weg.
‚Wenn ich meinen Fuß hebe, um den nächsten Schritt zu machen, muss der Weg in der Zukunft ja schon existieren, sonst könnte ich den nächsten Schritt nicht machen, oder?‘
Gedankenverloren hob er den rechten Fuß an und hielt ihn in der Luft.
‚Ebenso muss mein Fuß, also auch ich schon in der Zukunft existieren? Gebe ich Informationen nun weiter, wenn ich meinen Fuß auf den Weg setze? Hinterlasse ich eine Spur, die gelesen wird und interpretiert wird? Schreibe ich Geschichte oder bin ich nur Geschichte? Gibt es Variationen und Möglichkeiten oder einfach nur einen vorgezeichneten Weg? Ist die DVD meines Lebens schon gepresst?‘
Er starrte versonnen auf seinen schwebenden Fuß und grübelte weiter. Plötzlich bemerkte er, dass der Kinderlärm verstummt war. Verdutzt wandte er seinen Blick zum Spielplatz. Alle starrten ihn an.
Er lächelte verlegen. Langsam senkte er seinen Fuß hinab und wie erwartet, lösten sich weder Fuß noch Weg noch sonst irgendetwas etwas in Luft auf. Gemäßigten Schrittes setzte er seinen Weg fort.
‚Vielleicht habe ich aber auch einfach nur einen an der Waffel‘, dachte er.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (15.07.18)
Liebe kV-Gemeinde,

da Carlito die Gesamtmenge alle heute fürs Schreiben zur Verfügung stehende Adjektie verbraucht hat, dürfen alle anderen bis 0:00 nur ohne die sog. Wie-Wörter Texte verfassen. Wir bitten um Verständnis.

 Lluviagata meinte dazu am 24.01.20:
@ D_R:
Amen.
Für mich hast du jedenfalls nicht gesprochen.
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