Braune Erde

Groteske zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  RainerMScholz

Ich schleppe die Leichen aus dem Keller, ineinander verstrickte Körper und Gliedmaßen, verworren wie verunglückte Spinnen, verrenkt und gebrochen, und beinahe eigenständig sich bewegend, baumelnd, grazil und gewalttätig; ich schleife die knochigen Hautsäcke an das Licht im Hof, das fahl von einem bleichen Mond scheint und beginne sie zu zählen; es ist nicht einfach, weil die Gewesenen so zerstückelt und zerfleddert sind, Arme und Beine und Köpfe fehlen und rollen durcheinander, schlackern an fremden Leibern, krallen ineinander, winken, haken und greifen starr. Ich will sie zählen. Es sind viele. Und sie sind alle mir. Sie sind aus meinen Gewölben, Schächten und Gruben. Ich weiß nicht mehr, wie sie alle dahin gekommen sind. Aber es sind meine.
Die Fratze des Mondes lacht pausbackig. Ich habe diese Nacht gemacht.
Ich öffne meine Keller, und achtbeinig, vielgliedrig laufen meine Leichen hinter mir her, das verkohlte, graue Fleisch, die Halbbegrabenen; einige winken, manche haben Tränen in den toten blinden Augen, andere recken scheinbar den Arm in die Höhe. Ich reibe mir die Augen, aber es ist dennoch alles meine Kreatur.
Und dann laufen sie, sie laufen alleine, lachen, kreischen und krakeelen, als wären sie nie vergangen, als seien sie nicht tot. An diesen Wesen wird die Welt genesen.
Der Mond glänzt weiß, der Mond scheint rot, er hat eine Armbinde mit einem Hakenkreuz um. Dann bläkt er in den anbrechenden neuen Tag.
Ich krauche ermattet in den Keller zurück, schließe die knarzende Türe und sitze in dem feuchtkühlen Dunkel.
Ich bin so müde. So müde, dass es sich nahezu leichenhaft anzufühlen scheint. Stein um Stein mauere ich mich ein. Vor dem Setzen des letzten Ziegels lache ich still hinaus in den beginnenden Tag. Dann schließe ich die letzte Lücke, und ich bin nicht mehr da. Als wäre ich schon immer weg gewesen, absent, bedeutungslos. Und da draußen – das sind alles meine. Meine Leichen, die tanzen und singen und schreien.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text

Jack (36)
(31.07.18)
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 Dieter_Rotmund meinte dazu am 01.08.18:
Ich erkenne keine Sozialkritik, sorry.
Jack (36) antwortete darauf am 02.08.18:
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 RainerMScholz schrieb daraufhin am 04.08.18:
Eine nicht vergehende Vergangenheit - Gruß + Dank.
R.
LottaManguetti (59)
(31.07.18)
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