Goethe in die Mottenkiste?

Text

von  EkkehartMittelberg

Kein Schüler damals ihn vermisste,
als ein Lehrer ihn verkannte,
sodass ich in Zorn entbrannte,
er sollte in die Mottenkiste.

Es ritt mein Herz mit ihm zu Pferde,
und fieberte mit Werthers Leiden,
„Prometheus“, „Ganymed“, den beiden,
ich fühlte Himmel und auch Erde.

Goethe ist heute weit entrückt,
ob Schüler noch von ihm entzückt,
schert Deutschlands Bildungsplaner nicht.

Sie drücken ihnen „Faust“ aufs Auge,
als ob dies ohne Liebe tauge,
man sollte wählen, was entspricht.


Anmerkung von EkkehartMittelberg:

Anmerkung: !954 – ich war 16 Jahre alt - entdeckte ich Goethe im Bücherschrank meiner Eltern und las ihn begeistert. Damals unterrichtete uns ein junger Deutschlehrer, der unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs Goethe wohl als museal und verteufelt human empfand und meinte, dass er in die Mottenkiste gehöre. Ich hatte Goethes Lyrik des Sturm und Drang, den Werther und „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ gelesen und verteidigte Goethe, den ich sehr schätzte. Bald änderte sich die Bildungspolitik und die Klassiker hatten wieder ihren festen Platz im Bildungskanon. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Aber ich halte nichts davon, Goethe um jeden Preis zu lesen, wenn die Schüler kein Verhältnis zu ihm finden.

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Kommentare zu diesem Text


 Habakuk (01.12.18)
Wer nur die Gegenwart bedenkt, den nenn’ ich lyrisch arg beschränkt. Über den Brillenrand zu schauen, welche Epoche führt die Feder, ein’ solchen Weitblick hat nicht jeder.
Daher rühren viele Fehlurteile.

BG
H.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.12.18:
Merci, Habakuk, es wird dich nicht wundern, dass ich dir zustimme.
BG
Ekki

 TrekanBelluvitsh (01.12.18)
Ich liebe Goethe. Vor allem seine Opern.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 01.12.18:
Danke, kennst du die Operetten aus Sesenheim. Du würdest sie überleben,
fdöobsah (54)
(01.12.18)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 01.12.18:
Ja, für alle, die "Faust" nicht mögen, die Inszenierung von Gustav Gründgens, höchstselbst als Mephisto in der Hauptrolle, könnte ihre Meinung ändern.
Nimbus† (45) äußerte darauf am 01.12.18:
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fdöobsah (54) ergänzte dazu am 02.12.18:
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 Dieter Wal (01.12.18)
Ich hatte wie du großes Glück mit Goethe. Denn ich entdeckte ihn, bevor er in der Schule totgeritten wurde. So fand ich mich in Faust, kurz darauf bemerkte ich den historischen Faust aus Knittlingen und dass dieser legendäre "Teufelsbündler" wohl neben dem spätmittelalterlichen Medizingenie Paracelus und teilweise Revolutionär der damaligen galenischen universitären Medizin die wohl mit großem Abstand bedeutendste magische Gestalt war, die je dieser dürre Boden, aus dem sich im 1800 erst der Begriff "Deutschland" schälte, hervorbrachte. Dass "Faustus" der Gesegnete bedeutet und die Selbstbezeichnung für "Simon den Magier" aus der Apostelgeschichte war, eine gnotisch-magische Figur der hellenistischen Antike, die mutmaßlich wie Faust aus Knittlingen Erstaunliches bewirkte, ja dass Goethe selbst noch vom Geist der Erde oder wessen auch immer wirklich ergriffen war, entdeckte ich für mich und seitdem lese ich Goethes Schriften mit der Dankbarkeit eines Menschen, der sie für einen schriftellerischen "Spiegel" des lange vor ihm lebenden Leonardo da Vinci hält, beide Universalgenies auf ihre Weisen. Das sind völlig verschiedene Männer in völlig verschiedenen Zeiten, doch Brüder im Geist. Ich werde hoffentlich noch viel von Goethe lesen. Er ist immer hilfreich und öffnet Welten. Will Dichtung und Wahrheit irgendwann zuende bringen. Wilhelm Meister kenne ich nur diagonal. Das sollte sich ändern. Vielen Dank für dein Sonett mit Anmerkung!

Kommentar geändert am 01.12.2018 um 07:58 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.12.18:
Hallo Dieter, in deinem Anmerkungen spürt man den Goethe-Kenner, der seinen Kommentar sicher mühelos mit weiteren lesenswerten Erkenntnissen hätte anreichern können.
Goethe als schriftstellerischer Spiegel von Leonardo da Vinci, das leuchtet mir ein. Danke.

 drmdswrt (01.12.18)
Ja, Faust aufs Auge. Das treibt Tränen in selbige, und das schon am Morgen.
"Sodass" werde ich nie mehr aus dem Kopf bekommen, wegen der rhythmusbedingten Betonung. Als Gag würde es in meinem Umfeld aber nicht funktionieren. Man würde mich schief ansehen. Zu Recht.
Unabhängig davon: Literatur gefällt selten allen. Ich ließe mit lieber Faust "aufs Auge" drücken als Buddenbroocks. Ersteres blieb mir zu Schulzeiten verwehrt, letzteres habe ich nach etwa 50 Seiten beiseite gelegt und mich Bukowski zugewandt.
Das Leben war noch nie ein Ponyhof. Wohl auch nicht zu Deinen Schulzeiten.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.12.18:
Danke drmdswrt, ich hatte weder mit "Faust" und den "Buddenbroocks" noch mit Bukowski Schwierigkeiten. Aber vielleicht sollte ich bei der Wahl mehr Charakter zeigen.
Piroschka (55)
(01.12.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.12.18:
Liebe Piri,
deine Erlebnisse mit Goethe ähneln meinen. du warst freilich noch bedeutend jünger als ich und hast trotzdem Zugang zu Goethe gefunden. Das beeindruckt mich.

Falls du aus meinem Gedicht herausgelesen hast, dass ich persönlich Reserven gegenüber "Faust" habe, das Gegenteil ist der Fall. Ich meine nur: Ein Deutschlehrer sollte vorher testen, ob seine Lerngruppe bereit ist, sich darauf einzulassen. Das gilt besonders für den zweiten Teil des Dramas.
Liebe Grüße
Ekki
Piroschka (55) meinte dazu am 02.12.18:
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 AZU20 (01.12.18)
Mit Goethe habe ich so meine Mühen. Auf und ab, aber ich mühe mich weiter. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.12.18:
Danke, Armin, gut, dass du nicht vorschnell den Stab brichst. Ich bin als Lehrer gut damit gefahren, dass ich nicht versucht habe, meine Schüler für einen Autor zu missionieren, den ich gemocht habe.
Sätzer (77)
(01.12.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.12.18:
Hallo Uwe,
vielleicht war auch deinem Lehrer wie meinem die Auseinandersetzung mit den Kriegserlebnissen wichtiger als schöngeistige Bildungserlebnisse, die Goethe vermittelt. Ich kann das nachvollziehen. Mein späterer Deutschlehrer schaffte beides ohne faulen Kompromiss.
LG
Ekki
Sätzer (77) meinte dazu am 01.12.18:
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 GastIltis (01.12.18)
Hallo Ekki, leider kann ich mich an Goethe in der Schule überhaupt nicht erinnern. Ich weiß, dass ich einen Aufsatz geschrieben habe, und mit Hilfe lexikalischer Infos gut zurecht gekommen bin. Später, beim Abi, ist mir jemand aufgefallen, der den Prometheus mit Dialekt und schlechter Betonung, aber voller Begeisterung, aufgesagt hat, was ein wenig clownesk wirkte. Den Faust habe ich mir später aus eigenem Drang selbst erworben (Reclam), und daraus sogar ein Lied, „Sei mir heute nichts zuwider, fühle mich so frank und frei ...“ vertont. Mignon z.B. ist ein Text, den ich nach wie vor auswendig kann, was ich nicht mal bei eigenen Texten beherrsche. Und natürlich war ich in Weimar und Frankfurt, Ehrensache. Schön, dass du ihn da zeigst, wo er steht, stehn müsste und wie weit man, bei allem Respekt, entfernt ist.
LG von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.12.18:
Merci, Gil, ich denke, dein Kommentar zeichnet eine realistisches Bild des Ansehens, das Goethe heute in der Gesellschaft hat. Mit Schönfärberei tut man ihm keinen Gefallen.
G
Ekki

 TassoTuwas (01.12.18)
Hallo Ekki,
in einer Zeit, in der Pragmatiker fordern die alten Zöpfe abzuschneiden und die jungen Menschen auf die Anforderungen der geänderten Welt vorzubereiten, also, was z.B. muss ich bei einem Mietvertrag beachten, wie fülle ich die Anträge auf Arbeitslosengeld richtig aus, welche Rechte, kann ich wie geltend machen etc., ist die Schule eine der letzten Institutionen, die eine kulturelle, lebenslang begleitende Allgemeinbildung vermitteln kann. Sie sollte es bleiben!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.12.18:
Grazie, Tasso, Allgemeinbildung gilt als zweckfrei und nur eine solche Betrachtung wird den Klassikern gerecht.
Herzliche Grüße
Ekki
Echo (34)
(01.12.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.12.18:
Da bin ich deiner Meinung. Schon wegen der Handlungsspannung kommen sie bei einigen Schülern gut an. Merci.

 Dieter_Rotmund (22.12.18)
1954 – ich war 16 Jahre alt - entdeckte ich Goethe im Bücherschrank meiner Eltern

Hat der da nicht furchtbar gestunken?

Ich persönlich stehe mehr auf E.T.A. Hoffmann, um mal einen von Goethes Zeitgenossen zu nennen. Gedicht dennoch gerne gelesen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 27.12.18:
Merci, Dieter, ich mag das Odeur von alte, Büchern. E.T:A. Hoffmann habe ich erst nach der Schulzeit entdeckt, aber dann mit Begeisterung gelesen. Hier ist ein Sonett von mir dazu

Sonett zum Thema Lebensbetrachtung

von EkkehartMittelberg

Du warst ein genialer Tausendsassa,
Romantik-Nacht belebt die Fantasie
mit Dichtung, Bildern, Tönen wie noch nie.
Du machtest dennoch niemals richtig Kassa.

Beim Trunk in Weinlokalen ganz allein
entfesselst du Dämonen aus den Wänden,
und die Visionen wollen gar nicht enden
sich spiegelnd in der Gläser Widerschein.

Beim Morgenlichte hast du sie bezwungen,
hast den Philistern Ärger stets gemacht,
Novellen sind bis Petersburg gedrungen,

Satiren schriebst du, von Berlin belacht,
Erzählungen, von Offenbach besungen:
Du hast Bewusstsein für die Nacht gebracht.

© Ekkehart Mittelberg, Mai 2012

 Oggy (23.12.18)
Hatte den Geheimrat im Abitur mit dem vollen Programm:
Faust I + II, Gründgens-Film. Er bewegte sich so in meinem Geschmacksmittelfeld, war ein dankbares Thema, mag das Werk deutlich mehr als die Person.

Die Meinungen der Bildungspolitiker dazu sind ja nach wie vor nicht einheitlich.
Während man in Hessen seitens eines früheren Kultusministers (1995) die Parole in die Welt setzte:
"Es geht mit Goethe besser, aber es geht auch ohne Goethe", [1]
meint die heutige Staatsministerin für Digitalisierung vielmehr:
"Besser die Schüler lesen Goethes Faust auf dem Tablet als irgendeinen Schund auf Papier." [2]

Ob sich das Niveau aktueller Äußerungen von Politikern nun durch einen jahrelangen, notorischen Goethemangel verschlechtert hat oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls stehe ich bzgl. Goethes Auftritt in Lehranstalten der Frau Digitalministerin zwar eindeutig nahe, bzgl. billigster, diskriminierender Polemik ("Schund auf Papier") aber keineswegs.
_______
Quellen
[1] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9158241.html
[2] https://www.mittelbayerische.de/politik-nachrichten/schueler-brauchen-tablet-sportsachen-und-schulbrot-21771-art1632565.html

Kommentar geändert am 23.12.2018 um 13:12 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 27.12.18:
Merci. Oggy. zerzeih, dass ich jetzt erst antworte, war über Weihnachten ohne Computer und Handy. Ich habe die beiden von die angegebenen Quellen von Kultuspolitikern mit großem Interesse gelesen. Den hessischen Kultusminister Holzapfel kannte ich persönlich gut. Ich fände es bedauerlich, auf Goethe in der Schule total zu verzichten. Wie ich schon sagte, muss es nicht unbedingt "Faust" sein. aber nach meiner Erfahrung kann man mit guten Tonträgern Goethes Sesenheimer Lyrik und "Prometheus sowie "Ganymed" fast jeder Klasse nahebringen.

 harzgebirgler (03.08.21)
Goethe wusste viel, zum Beispiel dieses:
"Es ist nicht immer nötig, daß das Wahre sich verkörpere; schon genug, wenn es geistig umherschwebt und Übereinstimmung bewirkt; wenn es wie Glockenton ernstfreundlich durch die Lüfte wogt." (Maximen und Reflexionen).

LG
Henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.08.21:
Merci, Henning, es tut gut, wenn die Ansprüche an das Wahre nicht so hoch geschraubt werden.
LG
Ekki
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