Deutschlehrer Georg E. und der Bamberger Reiter.

Anekdote

von  Willibald

Illustration zum Text
Aus dem Archiv der Anekdoten: 2


In einer Zeit, in der die Sprache zunehmend verwildert, verflacht und ihre Ausdruckskraft zu verlieren droht, mag es berechtigt erscheinen, den Schüler zum Verständnis für sprachliche Vorgänge - auch seiner Muttersprache -, zu logischem Denken und zu sprachpsychologischen Empfinden zu erziehen und ihm dadurch nicht nur das Erlernen des Altgriechischen und Lateinischen wesentlich zu erleichtern, sondern zugleich einen dauernden Gewinn für seine geistige Entwicklung zu verschaffen. Möge die Arbeit vielen den Zugang zu unvergänglichen Werken antiker Autoren erleichtern, auf deren Schultern das Abendland ruht.
Hans Lindemann: Griechische Grammatik. München: Bayerischer Schulbuchverlag  1998

Meine Schreibtischlampe, die  hat ´nen Marmorfuß.
Willibald W.

Der Deutschlehrer Georg E. schaltete im  leicht abgedunkelten Klassenzimmer der 10c ("c wie Caesar" -  der humanistische Zweig mit Latein, Griechisch und dann erst Englisch)  zum Abschluss der Stunde den Beamer ein -  der niedrige Wert  von 300 Lumen pro Quadratmeter erforderte Dämmerlicht im Raum -  und es erschien ein Bild des Bamberger Reiters.

Ich saß damals in der zweiten Reihe rechts vorne  und fühlte mich dort auch heute  nicht recht wohl. Herr E. wollte gerade zu sprechen beginnen, als plötzlich die Tür aufging: Der  großgewachsene Direktor der Schule schritt eindrucksvoll über die Schwelle, bedeutete  ohne Worte  dem Kollegen mit einem freundlichen Lächeln und der jovial halbhoch gehaltenen Hand, er möge doch bitte einfach fortfahren, nahm den freien Lehrerstuhl und  setzte sich vorne links ans Fenster, wo er das Unterrichtsgeschehen recht gut überblicken konnte.  Nun war man gefordert.

Thematisch ging es in dieser Stunde bei uns Sechzehnjährigen, die erstmals vom Lehrer gesiezt wurden,  um das Menschen- und Herrscherbild des Mittelalters. Herr E. forcierte angesichts der neuen Gesamtsituation  seine Stimme ein wenig: „Ein Mysterium wird diese Reiterstatue manchmal genannt, der Reiter sitzt auf einem Pferd hoch oben, hält die Zügel in der Hand, ganz entspannt. Selbst auf uns Heutige macht diese Gestalt Eindruck. Schauen sie sich das Bild genauer an. Was sagt es uns, was vermittelt es uns?“

In die entstehende und sich vertiefende Stille  vom  Lehrer beim Beamer vorne ein Lächeln, es sollte uns ermutigen.  Ich zog die Schultern hoch und  den Kopf leicht ein. Vorne im Klassenzimmer,  hinten und in der Mitte nichts als glimmende Unbehaglichkeit. „Jetzt denken Sie sich halt in die Figur hinein. Das ist doch möglich. Und haben Sie den Mut zu sagen, was Sie dabei empfinden.“ Der Direktor vorne links, ein Altphilologe namens Färber mit einer besonderen Vorliebe für die fragende Mäeutik, die Hebammenkunst sokratisch-platonischer Gesprächs- und Unterrichtsführung, hatte den Kopf gesenkt und schien zu meditieren. „Sagen Sie es, auch wenn es Ihnen vielleicht etwas komisch vorkommt.“ Stille. Dann vernahm  man  von hinten  eine gemurmelte Antwort :  "Er wartet vielleicht ",  minimale Pause , "auf Grün?"  Im einsetzenden Losprusten, Quieken, Quietschen, Gackern, Frohlocken war die Schulstunde kurz vor dem Abschluss  als ganze abgestürzt,  versenkt, geplatzt, abgemurkst. Eine komische Katastrophe.

Dann folgt eine lange Sekunde. Fast unmerkbar und  ganz kurz öffnete sich  Direktor Färbers Mund, ein Lippenleser hätte wohl ein kurzes, rundes  „tot“ entschlüsseln können. Färber stand  auf, hob schmunzelnd die Hand, es trat Stille ein. Er habe, sagte er, gestern nachmittag  einen Kollegen aus Karl-Marxstadt im Wittelsbacher Gymnasium herumgeführt. Der habe die Beamer an der Decke bewundert, aber betont, dass man bei ihnen schon vor der Wende in jedem Klassenzimmer einen Overheadprojektor, einen „Polylux", installiert hatte. Ein Name, der ihm, Direktor Färber, sehr gefalle. Man könne sich sicher denken, warum?

Wir kannten das Spiel aus der achten  Klasse noch, vier Wochen damals Unterricht beim Färber, der Lateinlehrer war im Krankenhaus.  Also alles klar, jetzt das rituelle Spiel spielen. Weg von dem gekippten Stundenschluss, weg vom eventuellen Gesichtsverlust des Pädagogen. Entspannung. Aus dem Griechischen das „πολύς“ für „viel, mehrere“. Aus  dem Lateinischen  das „lux“ für „Licht“."Ja, Carissimi, brav, sehr brav",  sagte Direktor Färber, "und vor allem:  Latein und Griechisch sind lebendig, leben sogar im Osten immer noch weiter." Man höre und lese immer, Latein und Griechisch seien tote Sprachen. Aber selbst wenn das stimme, so: gelte – hier grinste der Direktor - , dass nur eine tote Sprache eine gute Sprache sei. Und dann zu Herrn E.: „Eine gute Stunde, Herr Kollege.“ Herr E. stutzte kurz. Dann lächelten beide.

*

Der  gleiche Deutschlehrer übrigens - er wird jetzt gleich korrigieren mit "derselbe Deutschlehrer" - wollte einmal in einem Abschlussgespräch  eine griffige Formel ("Schein und Sein")  mit den Schülern sokratisch-mäeutisch finden lassen Es ging  um die  Novelle "Kleider machen Leute" des Dichters  Gottfried Keller und deren Hauptfigur Wenzel Strapinsky. Als wir partout nicht draufkamen, worauf er hinauswollte, rief er: „Nun, es  gibt da doch  eine bekannte Formel mit drei Wörtern." Als wir immer noch nicht  mehr wussten, rief er voller  Verzweiflung: „Es.., die Formel ..., sie reimt sich auf Schwein.“
Nicht um´s Verrecken kamen  wir darauf,  was er wollte.

*
Übrigens: Wirkung und Erinnerungswert dieser Gottfried-Keller-Stunde  waren  der Stunde mit dem Bamberger Reiter voll adäquat.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (13.01.19)
Hallo Willibald, ich empfinde die beiden Anekdoten als komisch und frage mich, woran es liegen mag, dass ich dies als erster feststelle.
Ich vermute, dass deine Überschrift als ;Leseanweisung gelesen wird und das mögen die meisten Leser nicht so gerne.
LG
Ekki

 Willibald meinte dazu am 14.01.19:
Salute, Ekkehart.
Gratias für die Anregung.
Greetse
ww

Antwort geändert am 14.01.2019 um 15:52 Uhr
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