Bundesrepublikanische Nazi-Literatur im Netz - Die Autorenporträts des Arnshaugk Verlags

Absurdes Theaterstück zum Thema Vergangenheitsbewältigung

von  toltec-head

Das hätte sich ein Roberto Bolaño nicht schöner ausdenken können. Gestern laut gelacht, als ich die Autorenporträts auf der Homepage des Arnshaugk Verlags, dem Flaggschiff der Neuen Rechten, durchgegangen bin. Während Rowohlt & Co. mit der Auflistung von Literaturpreisen und Gesichtern freundlich einher blickender Nachrichtenansagesprecher_innen nerven, findet sich hier - was Literatur doch eigentlich sein sollte! - ein groteskes Troll-Stelldichein. Nein, von diesen bösen, durchgehend hässlichen und zu meist auch noch sehr alten Autoren, wird niemand jemals in seinem Leben der Stadtschreiber von Friedberg, Tuntenhausen oder Schaumburg werden. Mit was sich Leute herumschlagen müssen, die sich so linkisch anstellen, dass man es partout nicht zulassen kann, sie durch die allgegenwärtigen Staatströge durchgefüttert zu sehen, ist witzig zu lesen. Nehmen wir ein besonders absurdes Beispiel, das zudem auch noch prominent ist: Hans-Dietrich Sander.

Der am 17. Juni 1928 in Grittel (Mecklenburg) geborene Sander gehört zu den wenigen Angehörigen der Flakhelfergeneration, die ohne ein gestörtes Verhältnis zu Politik und Nation aus dem Zweiten Weltkrieg hervor gingen. Wegweisend für seinen weiteren Lebensweg steht folgende Szene, die sich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen Sander und einem seiner Lehrer abspielte. Der Lehrer, innerlich bereits ins Lager der Sieger wechselnd, erklärte ihm wie großartig die Demokratie sei, die jetzt kommen werde. Jeder könne machen, was er wolle. Der damals Sechzehnjährige antwortete: „Das finde ich aber bedenklich.“

Als er im Jahre 2017 starb, schrieb eine neurechte Propaganda-Plattform in einem Nachruf:

"Auf den ersten Blick erscheint Sanders Leben ausgesprochen konfus. Es war jedoch das Ergebnis einer Haltung, die sich grundsätzlich nicht um Denkblockaden scherte."

Fügen wir hinzu, dass sein Leben (und seine Schriften) auch auf den zweiten Blick noch ziemlich konfus erscheinen (was aber in einer total konfusen Welt nicht unbedingt ein Mangel sein muss).

1948 schrieb sich Sander in West-Berlin für das Studium der Theologie ein. Er wollte nach dem Krieg raus aus Europa und als Missionar nach Afrika gehen. Bereits ein Jahr später brach er dieses Studium ab. Die bigotte Atmosphäre, in welcher man darüber informiert wurde, dass man in feiner Gesellschaft nicht über Bertolt Brecht spreche, hatte daran ebenso ihren Anteil, wie sein Beharren auf dem Standpunkt, dass altes und neues Testament nicht zusammenpassen.

1952 übersiedelte er nach Ost-Berlin. Dort war er bis 1956 als Dramaturg im Henschelverlag und als Theaterkritiker für die Zeitschrift Theater der Zeit tätig. Seit 1957 wieder im Westen, war er Journalist und Literaturkritiker bei der Tageszeitung Die Welt. In seiner Promotion im Jahre 1969 in Erlangen bei Hans-Joachim Schoeps über "Marxismus und allgemeine Kunsttheorie“ befasste er sich mit den jüdischen Ursprüngen des ortlosen Marxismus der Frankfurter Schule. 

1972 erschien das Buch "Geschichte der Schönen Literatur in der DDR". Hätte er nicht schon allein für den Titel den Nobelpreis verdient? 

1975/76 war er Lehrbeauftragter an der TU Hannover (wo sonst?). Die Entdeckung und Publikmachung eines riesigen Hakenkreuzes auf dem Boden des Maschsees geht hauptsächlich auf ihn zurück (siehe seinen Festschriftbeitrag für Friedrich Gottlob Nagelmann).

Ein Corollarium zur zweiten Ausgabe von „Marxismus und Allgemeine Kunsttheorie" wurde zum Grund Sander die Bedingung zu stellen, er müsse für ein Stipendium der Volkswagenstiftung die Unterstützung eines prominenten jüdischen Gelehrten vorweisen können. Sander gelang es die Fürsprache des Kunsthistorikers Raymond Klibanskys zu gewinnen und erhielt das benötigte Stipendium. Professor Christian Ludz sagte ihm jedoch aufs Gesicht zu: "Herr Sander, geben Sie auf. Ich werde ihre Habilitation mit allen Mitteln zu verhindern wissen." Die Habilitation scheiterte daraufhin tatsächlich.

In diese Zeit fällt auch seine Mitarbeit an der Zeitbühne unter der Herausgeberschaft von William S. Schlamm (nicht fiktiv!). 1980 erschien sein Buch "Der nationale Imperativ – Ideengänge und Werkstücke zur Wiederherstellung Deutschlands", eine Sammlung politischer Essays. Von 1983–86 war Sander Chefredakteur der Deutschen Monatshefte. Danach folgte noch bis 1988 eine ständige Mitarbeit bei Nation und Europa. 1988 erschien Sanders Buch "Die Auflösung aller Dinge – Zur geschichtlichen Lage des Judentums in den Metamorphosen der Moderne". Zwei Jahre später gründete er die Zeitschrift Staatsbriefe, deren Titel sich auf die Erlässe des Stauferkaisers Friedrich II. bezieht. Die Publikation erschien bis 2001. Leitgedanke der Zeitschrift war die Belebung der ghibellinischen Reichsidee.

In seinem Geisterdialog "Hitler im Castell Fiorentino" mußte sich der "Führer" von Friedrich II. als "guelfischer Tropf" beschimpfen lassen, nicht ohne gleichwohl auf Erlösung hoffen zu dürfen. Die Diskriminierung der deutschnationalen Juden, unter denen sich viele dekorierte Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs befanden, war für Sander eine politische Todsünde ersten Ranges, zumal er die sogenannte Endlösung der Judenfrage als mit "deutschem Rechtsempfinden und germanischem Gastrecht" absolut unvereinbar empfand.  Am Ende ließ sich für Sander der 8. Mai 1945 allein noch als gottgesandte Prüfung begreifen:"Gott hat Hitler geschlagen, weil er die Deutschen für verbesserungsfähig und -würdig hielt."

Nirgends vertrat Sander auch nur ansatzweise "negationistische" Ansichten, wenn auch  manche seiner Glossen den Eindruck erwecken mögen, er halte die "Holocaust-Industrie" für schlimmer als den Holocaust selbst. Von seinem "caustischen Witz" – er unterzeichnete eine satirische Zerpflückung der Legende, die Nazis hätten aus Juden Seife gemacht, mit "Ole Caust" – zeigte sich der Staatsanwalt jedenfalls nicht amüsiert genug, um ihm eine Geld- und Bewährungsstrafe wegen "Volksverhetzung" zu ersparen.

Sander selbst lehnte seine offiziöse Zurechnung zum "intellektuellen Rechtsextremismus" dankend ab, da ihm als ideellem Gesamtdeutschen jeder politische Extremismus fremd war. Und doch beruhte seine Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten auch in seinen Augen keineswegs auf einer Fehleinschätzung. Indem Sander die Überlegenheit des preußischen Verwaltungsstaates gegenüber dem westeuropäischen Verfassungsstaat behauptete, bekannte er sich in einem viel grundsätzlicheren Sinne als Verfassungsfeind. 

In seinen letzten Jahren machte er ein verwildertes Grundstück in einem Neubaugebiet in Fürstenwalde urbar, bevor er dort am 23. Januar 2017 nahezu unbemerkt verstarb.

http://www.arnshaugk.de/index.php?autor=Sander,%20Hans-Dietrich%20(Hg.)
https://www.blauenarzisse.de/radikal-und-weltoffen-zum-tod-hans-dietrich-sanders
https://sezession.de/59665/der-letzte-ghibelline-ueber-werk-und-wirken-hans-dietrich-sanders

Man schaue sich beim Lesen auch das Gesicht des Mannes wie von einem 500Mark-Geldschein an. Radikal und weltoffen. Zum Vergleich dann noch das Gesicht, den Lebenslauf und die Publikationsliste von Claas Relotius.


Anmerkung von toltec-head:

 Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

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Kommentare zu diesem Text

michaelkoehn (76)
(27.01.19)
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