Steckrübenfeld

Sonett zum Thema Abhängigkeit

von  Irma

Bemüht ihr Tagwerk zu verrichten,
melkt sie, dann füttert sie die Kühe
und hackt noch Rüben in der Frühe.
Als Stallmagd hat sie viele Pflichten.

Am Abend liegt sie brach. Doch spät
wird sie vom Bauerssohn als Feld
nach seinem Gutdünken bestellt:
durchpflügt, besät und abgemäht.

Zu Lichtmess gibt's ein Schürzenkleid
zum Lohn, denn ihres ist verschlissen.
Derweil verdingt sie sich beflissen

und dient getreu als Ruhekissen,
macht Nacht für Nacht die Schenkel breit.
Sie wartet auf die Schlenkelzeit.

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Kommentare zu diesem Text


 LottaManguetti (05.02.19)
Steckrübenfeld! Was für ein Titel!
Die Abhängigkeit ließe sich auf unterschiedliche Ebenen übertragen, muss nicht wortwörtlich verstanden werden. Das finde ich toll an deinem Gedicht.
Allein die Reimworte erzählen schon eine Geschichte.
Ihr beharrliches Warten auf die Schlenkelzeit ist nachfühlbar wie auch das sich Ergeben in die Situationen, die ihr unangenehm sind, aber eine gewisse Sicherheit versprechen.

Es grüßt
Lotta

 Irma meinte dazu am 08.02.19:
Die Mägde waren in jedweder Hinsicht von ihrem Dienstherren abhängig, Lotta, das stimmt. Nicht nur finanziell, sondern überhaupt von seinem Wohlwollen. Denn sie waren ihm komplett ausgeliefert, er durfte regelrecht über sie bestimmen, sie arbeitsmäßig und sexuell ausbeuten, züchtigen usw.

Der per Handschlag geschlossene Dienstvertrag galt immer für ein Jahr, bis Lichtmess (ein willkürlich gesetztes Datum). Dann hatte die Magd für drei Tage frei (Schlenkeltage), konnte ihre Familie besuchen oder sich nach einem neuen Dienstherren umsehen. Vor Lichtmess zu gehen, war nicht möglich. Das galt nicht nur als Schande, sondern wurde sogar strafrechtlich (Vertragseinhaltung) verfolgt.

Insofern blieb einer Magd gar nichts anderes übrig, als sich ihrem Schicksal zu ergeben. Sie musste warten, auch wenn "die Situationen", wie hier beschrieben, nicht nur "unangenehm", sondern schier unerträglich für sie waren.

Gefreut habe ich mich besonders darüber, dass du den Titel durchleuchtet und erkannt hast, was da für eine Rübe ins Feld gesteckt wird.

Grüße dich lieb, Irma.

Antwort geändert am 08.02.2019 um 11:32 Uhr

 Didi.Costaire (05.02.19)
Hallo Irma,
das ist ja eine brutale Leibeigenschaft, die du da (recht wortwitzig) beschreibst. Da muss man ja bekloppt werden oder fromm.
Liebe Grüße, Dirk

 Irma antwortete darauf am 08.02.19:
Didi, ich erzähle da kein Märchen - so war die ungeschönte Realität der Mägde auf den Bauernhöfen. In "sich verdingen" steckt ja das "Ding" drin. Nichts anderes waren die Angestellten für ihren Dienstherren. Und entsprechend wurden sie auch (in den allermeisten Fällen) so behandelt:  "Für manche Magd war Lichtmess auch Erlösung".
"Bekloppt" sind die jungen Frauen sicherlich trotzdem nicht geworden. Und "fromm" erst recht nicht. Höchstens hart im Nehmen.
LG und Dank, Irma.

Antwort geändert am 08.02.2019 um 11:34 Uhr

 plotzn (05.02.19)
Ich weiß nicht, ich finde das Gedicht trotz des Doppelreims am Ende und der eingesetzten Stilmittel weder wort"witzig" noch empfinde ich die Situation der Magd nur als "unangenehm". Für mich wird hier recht schonungslos brutale sexuelle Ausbeutung und Abhängigkeit beschrieben.

Macht betroffen und lässt einen fassungslos zurück.

Liebe Grüße,
Stefan

 Lluviagata schrieb daraufhin am 05.02.19:
Ja, danke für diesen Kommentar, lieber Stefan! ♥

 LottaManguetti äußerte darauf am 05.02.19:
Bitte, liebe Llu. *Herzchen*

 Lluviagata ergänzte dazu am 05.02.19:
Immer gern. Wenn es sich um Stefan handelt.

 loslosch meinte dazu am 05.02.19:
Irmchen hat das alles nicht gewollt.

 Irma meinte dazu am 08.02.19:
Ja, lieber Stefan, auch ich habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut, weil das Ausgeliefertsein und die Ausbeutung der Frau unumwunden erkannt und herausgekehrt hast. Da gibt es nichts Beschönigendes. Die Frau wird zum Objekt, zu einem Ding (sie muss sich "verdingen", wird selbst zum Feld).

Der Doppelreim am Ende? Ja, ich wollte vor allem eine lange Spanne setzen (die Verse spreizen) zwischen dem Lichtmess-Vers ("Schürzenkleid") und dem "Schenkel breit", um zu zeigen, wie unerträglich weit es noch hin ist bis zur erlösenden "Schlenkelzeit".

Ganz lieben Dank für dein Einfühlen, und natürlich auch für die Empfehlung!

Liebe Llu, liebe Lotta, ich herze euch jetzt mal beide zusammen, euch zwei Herzchen. ♥♥

Lo - was bitte soll ich nicht gewollt haben?

Antwort geändert am 08.02.2019 um 13:56 Uhr

 Dieter_Rotmund (05.02.19)
Was ist ein "Schlenkel"?

Ansonsten gerne gelesen. Früher war eben doch nicht alles besser. Nur anders.

 Irma meinte dazu am 08.02.19:
Lieber Dieter, ich freue mich, dass es dich auch mal auf das Feld der Lyrik verschlagen hat und mein Sonett deinen Gefallen fand.

Den Schlenkel gibt es so nicht, aber das Verb "schlenkeln". Warum googlest du nicht einfach mal nach "Schlenkelzeit" oder  "Schlenkeltage"? Liebe Grüße, Irma.

Antwort geändert am 08.02.2019 um 11:35 Uhr

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 08.02.19:
Bitte nicht dieses ewige "googel's doch!", das ist - mit Verlaub - ein Armutszeugnis für jeden Autor.
Nichts für ungut, den Rest finde ich super.

 Irma meinte dazu am 08.02.19:
Also wenn mein Interesse groß genug ist, google ich schon nach Begriffen, die ich nicht auf Anhieb verstehe. Damit breche ich mir keinen Zacken aus der Krone. (Ist übrigens bei journalistischen Texten auch nicht anders).

Aber vielen hier scheint der Begriff auch vertraut gewesen zu sein (siehe Jorge, der ihn sehr schön erläutert hat).

Danke trotzdem für deine nochmalige Rückmeldung.

 EkkehartMittelberg (05.02.19)
Das Gedicht bringt besser zum Ausdruck als die Überschrift, um was es eigentlich geht. Es handelt sich um Ausbeutung.
LG
Ekki

 Irma meinte dazu am 08.02.19:
Lieber Ekki, du hast vollkommen Recht, es geht um Ausbeutung. Der Titel "Steckrübenfeld" mag erst einmal harmlos rüberkommen, aber im Verlauf des Gedichtes, wenn es um das 'sich verdingen zum Feld' geht, dürfte seine ganze Tragweite klar werden. Der Bauer steckt mit im Titel.
LG und Dank, Irma
Paulila (55)
(05.02.19)
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 Irma meinte dazu am 08.02.19:
Hach, wieder so ein toller, einfühlsamer Kommentar von dir, Paulila. Ich freue mich!

Ja, die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft geschieht sowohl durch Ausdehnung ihrer Tätigkeitsbereiche (vom Stall zum Feld) als auch durch Verlängerung ihrer Arbeitszeiten (vom frühen Morgen bis in die Nacht). Entlohnt wurden Mägde und Knechte tatsächlich überwiegend mit Sachleistungen wie Kleidungsstücken.

Der Wert einer Magd für den Dienstherren war gering. Sie war ein Ding ("sich verdingen"), das man sich eben auch abends "bestellt" und beackert ("Steckrübenfeld"). Nur durften daraus keine Früchte entstehen. Eine schwangere Angestellte wurde sofort gekündigt. Ein Grund, warum die Frauen selber versuchten abzutreiben oder ihre Schwangerschaft unter langen Röcken versuchten zu verbergen, um das Neugeborene dann nach der Geburt sofort zu ertränken.

Die Frauen waren dem Dienstherren auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, und das Warten auf einen Wechsel ist, wie du so schön erkannt hast, auch nur mit einer kleinen Hoffnung auf eine Verbesserung verbunden. Dass du die Wirkung der nüchternen Beschreibung als "beklemmend" empfindest, freut mich sehr.

Und ja, es waren oft noch sehr junge Mädchen, Kinder, die auf den Bauernmärkten zum Dienst angeboten wurden. Kennst du den beeindruckenden Film "Schwabenkinder" mit Tobias Moretti?

Ein ganz herzliches Dankeschön für den tollen Kommentar und die Empfehlung, Irma.
Paulila (55) meinte dazu am 08.02.19:
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 Jorge (05.02.19)
Abhängigkeiten kann man in so kurzer Form kaum besser beschreiben.
Ich will kaum glauben, dass sich solche Verhältnisse heute noch finden.
Die Schlenkelzeit ist ein gut gefundenes Wort für erfüllte Freizeit, Urlaub und das Rentenalter.
So, wie im Sonett, sollte heute keine Frau mehr ihr Tagwerk verrichten müssen.
LG
Jorge

 loslosch meinte dazu am 05.02.19:
hahaha...

papst franziskus im interview: nonnen seien als sexsklaven gehalten worden, sogar von bischöfen. in manchen kulturen immer noch.

o heiliger bimbam.

 Jorge meinte dazu am 05.02.19:
Ein aktueller Aufschrei und eine päpstliche Anklage von Franziskus. Dennoch meine ich, dass das Leben einer Stallmagd sich doch deutlich vom Leben einer Nonne unterscheidet.

 loslosch meinte dazu am 06.02.19:
stimmt. das nönnchen hat sich im moment der begattung vom heiligen geist überschattet gefühlt, wie weiland maria.

 Irma meinte dazu am 08.02.19:
Lieber Jorge, die Stellung der Angestellten in einem landwirtschaftlichen Betrieb ist heute zum Glück eine andere. Aber meine Großmutter hat noch ähnliches (zum Glück nicht so schlimm) erlebt. Ich freue mich, dass du die Bedeutung der "Schlenkelzeit" näher erläutert hast. Der zweite Februar war einst der wichtigste Tag im Bauernjahr, weil dann die Schlenkeltage folgten (die kurze freie Zeit für die Dienstangestellten):  "Handel mit Mägden und Knechten an Mariä Lichtmess".

Aber es stimmt, "Schlenkelzeit" war auch ein Begriff für das Rentenalter. Insofern sehnte die Magd sich wohl in mehrerer Hinsicht nach der Schlenkelzeit: Sowohl nach Freizeit und der Möglichkeit der Beendigung des aktuellen Dienstverhältnisses als auch nach dem kompletten Ende ihres Arbeitslebens.

Ganz lieben Dank dir, für Kommentar und Empfehlung, Irma.

Lieber Lo, nur weil hier "Mariä Lichtmess" als christlicher Feiertag auftaucht, witterst du gleich eine päpstliche Botschaft? Tut mir leid, ich kann hier absolut kein "nönnchen" im Stroh entdecken. Da müssen deine Augen "vom heiligen geist überschattet" gewesen sein. LG Irma
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