Min Souria

Kurzprosa zum Thema Tod

von  Regina

Dieser Text gehört zum Projekt    Texte vom Tod.
Zuerst bewegte ich noch meine Beine, wie es nötig ist, wenn man seinen Körper nach vorne schieben will, später stellte ich die Bewegung ein und schwebte dennoch vorwärts. Die Stadt bestand aus Ruinen. Dort waren Häuser aus rot gebranntem Backstein, auf einer Seite aufgerissen. Ausgebrochene Fenster gab es überall. Kaum ein Haus hatte noch ein Dach. Ich lenkte um eine Ecke und fand mich zwischen fensterlosen Mauern, die bis hoch in den Himmel zu ragen schienen. Lebende Menschen waren nirgends, aber auch keine Tiere, weder Vögel noch Hunde. Zu hören war nichts. In einer engen Gasse lag hier und dort ein toter Körper auf dem Gehsteig oder hing über einem Stuhl. Ich roch aber nichts, so dass ich mich nicht ekelte. Auch empfand ich keine Angst vor Gespenstern, und ich dachte auch nicht an Verwandte oder nahestehende Personen, von denen ich nichts mehr wusste. Aber ich wünschte mir, aus dieser Öde fortzukommen. Langsam fing ich an zu ahnen, dass ich wohl auch gestorben war, während die meisten anderen schon vor der Zerstörung die Stadt verlassen hatten. Etwas außerhalb des Zentrums sah ich ein paar besser erhaltene Häuser und erhaschte einen flüchtigen Blick auf Bäume und einsame Gärten. Dort befand sich ein Hügel aus Geröll und Sand. Die ruhelose Vorwärtsbewegung konnte ich nicht stoppen. Immer neue Plätze der Verwüstung zogen unaufhaltsam an mir vorbei oder auch ich an ihnen. Wollte diese Eintönigkeit niemals enden? Ich wäre gern mit den Einwohnern zusammen fortgezogen und hätte mich an einen anderen Ort begeben, wo ich Leben angetroffen haben würde. Aber es schien mir nicht vergönnt zu sein, die gefallene Stadt verlassen zu können.


Anmerkung von Regina:

Titel: "Min Souria" (arab.), Übersetzung: "Aus Syrien"

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (16.05.19)
Sehr einfühlsam und trotzdem unaufdringlich beschrieben.

Liebe Grüße
der 8.

 Regina meinte dazu am 16.05.19:
Ja, danke für deine Einschätzung

 EkkehartMittelberg (16.05.19)
Hallo Gina,
dein beeindruckender Text zeigt, dass ein Albtraum nicht unbedingt aus sensationellen ekelhaften Eindrücken bestehen muss, sondern dass es genügt, die monotone Ödnis einer leblosen Stadt zu spiegeln.
LG
Ekki

 Regina antwortete darauf am 16.05.19:
Danke, ja, so habe ich es gemeint.

 AZU20 (17.05.19)
Ein Albtraum, der unter die Haut geht. LG

 Regina schrieb daraufhin am 17.05.19:
Huh.

 harzgebirgler (25.05.22, 08:58)
...und des schlächters tyrannei
ist trotz alldem nicht vorbei.
Apfelmus (22) äußerte darauf am 20.10.22 um 16:09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 harzgebirgler ergänzte dazu am 21.10.22 um 07:19:
nein, apfelmus, daher stamme ich nicht,
doch schrieb über das aas hier schon manch gedicht!
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