Die Stufen des Vergessens

Kurzgeschichte zum Thema Eigene Welt

von  Jorge

Egal, ob er von oben kommt, oder ob er sich hoch schleppt,
diese Marmorstufen rauben ihm seine Gedanken.
Auf halber Treppe murmelt er noch im Flüsterton, das was er sich merken sollte.
Leichter wird es für ihn, wenn er sich drei Sachen zum Merken einprägt.
Dann hilft die Zahl 3 seinem Gedächtnis  auf die Sprünge. 
Auf der Mitte seines Weges hilft ihm manchmal ein alter Teddybär seine Gedanken zu ordnen. Er sitzt brav auf einer Korbtruhe. Keiner im Haus weiß, was in dieser Truhe aufbewahrt wird, nur der alte Staubwedel aus Vogelfedern darf sich ihm nähern.  Das einseitige Gespräch mit diesem Teddy hilft seinem Kurzzeitgedächtnis oft.
Vor Jahren, als das Vergessen einsetzte, schrieb er sich noch kleine Zettel, sogenannte Gedankenstützen. Die vergaß er aber mit der Zeit. Seine Frau räumte sie immer wieder fort, weil sie gerne Ordnung machte.
Er selbst gab der Marmortreppe gar nicht die Hauptschuld. Er schimpfte häufig mit sich selber, weil er zum Beispiel in die Stadt fuhr und nicht wusste, wohin er wollte.
Wenn er dann klammheimlich wieder ins Haus trat, erfand er Leute, denen er in der Stadt begegnet sei und plauderte geschickte Notlügen über die Konversation mit diesen fiktiven Menschen.

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (26.07.19)
Lieber Jorge,

dein Text hat mich an ein empfehlenswertes Buch erinnert, dass ich dereinst las:

Einfach unvergesslich - von Rowan Coleman

Liebe Grüße
Llu ♥

 Jorge meinte dazu am 26.07.19:
Schön, dass du dich an eine zurückliegende Lektüre erinnerst, Llu.

LG
Jorge

 FrankReich (26.07.19)
Hallo Jorge,

ich denke, dass der Protagonist an Alzheimer oder Demenz leidet. Interessant finde ich daher den letzten Abschnitt, denn mir war bisher nicht bekannt, dass Phantasie und Gesprächigkeit bei derart Betroffenen noch geraume Zeit funktioniert.

Ciao, Ralf

 Jorge antwortete darauf am 26.07.19:
Ich bin für solche Patienten auch kein Spezialist - halte aber Augen und Ohren offen in meinem Umfeld.
LG
Jorge

 AZU20 (26.07.19)
Du scheinst ihn zu kennen, da Du sehr mitfühlend über ihn schreibst. LG

 Jorge schrieb daraufhin am 26.07.19:
Ja, ich habe einen konkreten Bekannten im Hinterkopf.
Solche Entwicklungen sind tragisch und machen traurig.

LG
Jorge

 AchterZwerg (26.07.19)
Hallo Jorge,
sehr anrührend und liebevoll beschrieben.
In letzter Zeit frage ich mich öfter, ob es tatsächlich so schlimm ist, zu vergessen ...

Liebe Grüße
der8.

 Jorge äußerte darauf am 26.07.19:
Manchmal kann Vergessen auch ein Segen sein.
Aber jeder Fall von Vergessen ist ein besonderer.

LG
Jorge

 loslosch (26.07.19)
der "großartige" philosoph heidegger hat sich über das vergessen ausgebreitet und zwei stufen des vergessens, ja so nannte er sie, unterschieden. die erste stufe besagt, dass man etwas vergessen hat. wird man daran erinnert, kehrt der gedanke ans vergessene zurück. die zweite stufe lautet: man hat vergessen, dass man etwas vergessen hat.

so ein schlauer hund war heidegger. ))

 Jorge ergänzte dazu am 26.07.19:
Leider habe ich nichts von Heidegger gelesen. Meine Philosophen fand ich in anderen Büchern.
Mein Text basiert vor allem auf die schlichten Stufen einer Marmortreppe in einem Ferienhaus im Süden von Spanien.
Einer meiner Bekannten sollte auf diese schlichte Weise nicht dem Vergessen anheimfallen.

LG
Jorge
Stelzie (55)
(27.07.19)
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 Jorge meinte dazu am 27.07.19:
Vielen Dank für deinen Kommentar Kerstin.

LG
Jorge
Aha (53)
(28.07.19)
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