Ist Handball erzählbar? Ein Versuch

Kurzprosa zum Thema Literatur

von  eiskimo

Im Duell des gastgebenden Tabellenführers gegen den Zweiten steht es 26:26.  Die Uhr zeigt 59:52, also noch acht  Sekunden reine Spielzeit. Der Gast hat einen Siebenmeter zugesprochen bekommen.  Gellendes Pfeifkonzert des heimischen Publikums, das glaubt, die drohende Niederlage durch sein Wüten verhindern zu müssen.
Die Fernsehkameras fangen hochdramatische Bilder ein – das Entsetzen der bestraften Mannschaft, die Fassungslosigkeit bei ihrem Trainer. Als Gegensatz  den stoisch-entschlossenen  Blick des Feldschiedsrichters, der immer wieder herrisch auf den „Punkt“ zeigt. Es gibt kein Zurück. Das Schicksal waltet.
Und dann, nach  hektischem Hin und Her, endlich die Ausführung. Der relativ schmächtige Gäste-Spieler mit der Rückennummer 7 greift sich den Ball. Er prellt ihn noch drei, vier mal, umfasst ihn dann fast beschwörend noch einmal mit beiden Händen, geht zur 7-Meter-Marke. Den linken Fuß setzt er in zwei Zentimeter Abstand dahinter. Den Oberkörper mit der rechten Wurfhand verwringt er nach hinten. Noch kein Blickkontakt zum Tor.
Kameraschwenk.
Im Tor de Heimmannschaft tänzelt sich der, den sie auch den „Hexer“ nennen, locker. Der Zwei-Meter-Mann hüpft auf der Stelle, rudert zu Auflockerung mit den Armen, postiert sich mit hochkonzentriertem Blick. Er saugt seinen Gegenüber förmlich an. Bannt ihn, bannt den Ball.
Letzte Anweisung des Schiedsrichters, die vorgeschriebenen Abstände einzuhalten. Er hebt den Arm, um den Wurf freizugeben -
„Ich biete ihm links unten an. Seine ersten zwei Siebenmeter hat er oben an meinem Kopf vorbei versenkt. Das macht er nicht wieder. Und jedes Mal die Finten vorher – da bleibe ich  diesmal stehen, bloß nicht zucken. Ha, links unten kannst du haben, Bursche! Von mir aus als Aufsetzer. Ja, da staunst du. Und jetzt bist du verunsichert – schau mich doch an, Bursche. Sieh, wie groß ich mich machen kann. Den hol ich mir, deinen Wurf. Den halte ich ich!“  So oder so ähnlich funkt es im Kopf des Torwartes, der seine ganze mentale Überlegenheit ausreizen will.
„Nicht denken! Nicht verunsichern lassen!“ sagt sich der Schütze. „Ich werde dich austanzen. Und im allerletzten Moment erst  kriegst du das Ding serviert. Flach diesmal. Vielleicht durch die Beine. Ich habe dir schon zwei Dinger verpasst, Hexer.  Mach ruhig deine Psycho-Spielchen. Das Tor ist groß genug für diesen Ball.“
Die hoch auflösende Kamera zeigt den Wurf dann drei, vier Mal. Auch in Zeitlupe. Auch aus der Decken-Perspektive. Die zweifache Finte des Schützen, der damit fast wie ein Tänzer wirkt. Betörend. Dann das seitliche Ausstellen der Wurfhand. Der Ball wird nach unten beschleunigt, linke Torwartseite. Links am Tor vorbei? Nein, der Ball hat Rotation, ist stark unterschnitten, bekommt mit dem Aufsetzen  einen Effet nach rechts und springt gefährlich in Richtung Innenpfosten. - das Ding passt!
… passt nicht!  Die Fußspitze des Hexers lenkt den Aufsetzer noch so eben an den Pfosten, von wo er ins Tor-Aus wegspringt.  Massen-Aufschrei. Extase. Die Halle explodiert förmlich,
Die Kamera ergötzt sich dann an  den Jubelsprüngen des Torwart-Helden, an seinen zum Himmel gereckten Fäusten, an der Traube seiner glücklichen Mitspieler, die ihn schier zu Boden reißen, am begeisterten Publikum, das wilde Gesänge anstimmt.
Der gescheiterte Gegenspieler sitzt derweil völlig kraftlos am Wurfkreis, sein Blick geht ins Leere. Er schüttelt immer wieder den verschwitzten Kopf. Seine Lippen sind erst zusammen gepresst. Dann formen sie Worte, einen ganzen Schwall von Worten.  Der Blick geht zur Hallendecke, als ob ihm da oben jemand zuhörte.


Anmerkung von eiskimo:

In Anspielung auf meinen letzten Text und die "körperfeindliche Literatur"

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Kommentare zu diesem Text


 Elén (11.09.19)
Feines Tempo. Schön zu lesen.
LG

 eiskimo meinte dazu am 11.09.19:
Danke! Ist auch ein feines Spiel, schön zuzuschauen
ciao
Eiskimo

 LottaManguetti (11.09.19)
Mitfühlend, Lotta, vor 100 Jahren Handballtorwart.

:D

 eiskimo antwortete darauf am 11.09.19:
Wauww! Damit steigst Du kometenhaft hoch in meiner Achtung! Habe vor 100 Jahren allen Torwarten der Verbandsliga Mittelrhein das Fürchten gelehrt. Wer sich da zwischen den Pfosten abschießen ließ, der war schon was Besonderes....
hochachtungsvoll
Eiskimo

 LottaManguetti schrieb daraufhin am 11.09.19:
Auf mein Tor zirkelten nur Mädchen ihre Bälle (Bezirksliga), kaum ein Aufsetzer. Wenn aber doch mal einer sich verirrte, war ich stolz wie Bolle, falls ich ihn hielt.
Und mein Spagat war berühmt! Heute aber ... ach, schweigen wir!


Antwort geändert am 11.09.2019 um 09:14 Uhr

 eiskimo äußerte darauf am 11.09.19:
Bei den Männern zogen die Spagat-Torwarte sich vor dem Spiel immer noch das an, was wir "Eierbecher" nannten. Ihr Gesicht hielten sie den Wurf-Monstern ungeschützt hin...
Heute sollten wir das ruhig weitererzählen!
Cora (29)
(11.09.19)
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 eiskimo ergänzte dazu am 11.09.19:
Danke! Dann habe ich ja ein bisschen von dem erreicht, was ich zuvor bei den "körperfeindlichen Literaten" moniert hatte.
Sport ist ein Wahnsinns-Terrain für Geschichten.
Cora (29) meinte dazu am 11.09.19:
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 eiskimo meinte dazu am 11.09.19:
Nein, nicht gesehen - und das ist gut so, wenn man in so drastischer Form vorgeführt bekommt, welchen Stellenwert der eigentliche Sport noch hat. Der ist vielfach zu einer Ware verkommen. Wenn die Händler wenigstens sähen, dass diese Ware verderblich ist...
Kreuzberch† (66)
(11.09.19)
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 eiskimo meinte dazu am 11.09.19:
Da sind wir einer Meinung - Handball ist auch athletischer, sportlich und mental anspruchsvoller. Ich habe beides aktiv gespielt und habe das so erlebt.
LG
Eiskimo

 AZU20 (11.09.19)
Sehr intensiv. Gern gelesen. LG
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