Stolpernde Worte

Liebesbrief zum Thema Abgrund

von  Xenia

Dieser Text ist Teil der Serie  Panda
Du lebst, hat mir deine Mutter vor ein paar Tagen mitgeteilt, und dass du mal wieder in Therapie warst und abgebrochen hast. Da bin ich zusammengebrochen, glücklicherweise hat mich niemand dabei gesehen, es sah bestimmt schlimm aus, so arg hab ich schon lange nicht mehr geweint.

Ich vermisse dich. Ich vermisse, wie du riechst. Ich vermisse es, mit dir zu leben, deine kleinen, weichen Hände. Ich vermisse dein Lachen. Du bist weg, von einem auf den anderen Tag warst du einfach verschwunden.

Vorhin habe ich Papier gekauft, weil ich dir einen Brief schreiben wollte. Deine Mutter erzählte mir, dass du kein Handy hast, dabei habe ich dir vor einem Jahr eins geschickt, als ich dich zwischendurch bei einem Kumpel postalisch erreichen konnte. Wahrscheinlich hast du es verloren, oder für ein paar Euro versetzt. Ist ja auch egal, du lebst ja noch.

Fuck, du hast ja keine Ahnung, wie oft ich geweint habe, weil du mir so sehr gefehlt hast in diesem Moment, und weil ich Angst hatte, so verdammte Angst, dass du tot bist. Es ist alles egal, was geschehen ist, wir haben beide genug Scheiße gebaut, da geben wir uns gar nichts, ich bin nur einfach froh, zu wissen, dass es dich da draußen noch irgendwo gibt und du den selben Himmel über dir hast wie ich. Du fehlst mir so.

Es ist viel passiert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich erinnere mich noch genau daran. Ich habe dir dieses hässliche Tattoo gezeigt, dass ich mir für dich gestochen habe. Das Teil an meinen Unterarm. Heute Mittag habe ich es dir wieder geschickt, als Foto über WhatsApp. Plötzlich standen dort, wo ich normalerweise mit deiner Mutter schreibe, stolpernde, unsichere, kleine Worte.

Ja. Natürlich will ich dich wieder sehen, wie konntest du nur eine Sekunde daran zweifeln? Weißt du denn nicht, was du mir bedeutest, kleiner Bruder vom anderen Stern? Ich will noch einmal mit dir tanzen, als wäre es das letzte Mal. Wer weiß, ob es das nicht ist. Ich mach mir Sorgen um dich. Ich habe Angst, dass du drauf gehst, denn dann würde ich dir folgen, das weiß ich.

Wie soll ich ohne dich das Licht dieser Welt noch erkennen?


Aber du lebst.
Du lebst ja noch.

In Liebe,
Deine Schwester.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (08.11.19)
Ungewissheit tötet, während man am Leben bleibt. Alles andere ist besser. Alles...

 Xenia meinte dazu am 08.11.19:
Ja.

 Dieter_Rotmund (08.11.19)
Kleines Junkie-Drama.
Reisst einem nicht wirklich vom Hocker, aber ist ordentlich gemacht.
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