Ist Tugend lehrbar?

Fabel zum Thema Betrachtung

von  EkkehartMittelberg

Der Fuchs war auf seine alten Tage weise geworden und sprach in Talkshows zu Fragen sittlichen Verhaltens. Das ärgerte seinen alten Konkurrenten, den Dachs, der ihn in einer Expertenrunde zur Rede stellte: “Sagen Sie, Meister Reineke, glauben Sie, dass Tugend lehrbar ist?“. Der Fuchs antwortete lächelnd: “Bruder, es gibt erfolgreiche Versuche. Doch würde ich niemals eine Katze zur Äbtissin in einem Mäusekloster machen.“

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (11.01.20)
Das stimmt und stimmt wiederum nicht.
Denn ist es nicht gerade das Unpassende, das Schmerzende, das die Kreatur belehrt?
Bei Tieren genügt ein Vorfall. Beim Menschen indes ...

Viele Grüße
Pico

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.01.20:
Merci, lieber Pico,
ich finde deinen Hinweis auf den Schmerz sehr interessant. Ich glaube auch, dass er ein besserer Lehrmeister ist als Apelle an die Ratio, auf die Sokrates in seinen Dialogen setzte.. Vernünftige Einsichten kann man verdrängen. Mit dem Schmerz ist das viel schwieriger.
Liebe Grüße
Ekki

 monalisa (11.01.20)
Lieber Ekki,
die Vorstellung einer kKtzenäbtissin im Mäusekloster hat mich jetzt erst einnmal vordergründig verblüfft schmunzeln lassen. Das ist schon mal sehr gut für eine Fabel dieser Kürze.

Zur titelgebenden Frage:
Ich glaube nicht, dass Tugend, wenn man sie als innere Haltung versteht, wirklich lehrbar ist, wohl aber tugendhaftes Verhalten, was immer das ist. Und das am besten durch das entsprechende Vorbild.
Reneke Fuchs scheint auch seine Zweifel zu haben, wie tiefschürfend sich Pädagogik hier auswirken kann, den Versuch aber immerhin für vielversprechend zu halten. Und da halte ich es ganz mit ihm.

Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 11.01.20:
Grazie, Mona, kann es sein, dass Tugend als innere Haltung deshalb nicht lehrbar ist, weil sie nicht überprüfbar ist?
Ich denke auch, dass für die Lehrbarkeit von Tugend Vorbilder entscheidend sind, deren Authentizität nicht bezweifelt wird, Das weiß auch Reineke und er wählt das negative Beispiel der Katze, weil es sicher ist, dass sie das Mausen nicht lässt.
Ich habe übrigens das Beispiel der Katze auch gewählt, um mich ein wenig von traditionellen Fabeln abzusetzen, die meistens staubtrocken moralisierend sind.
Liebe Grüße
Ekki

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 11.01.20:
Und auch deswegen nicht überprüfbar, weil sie sich wohl für jeden anders definiert.
Bleiben wir im Tierreich, wird dem Erdmännchen Vorsicht eine Tugend sein. Unter Löwen gilt jene vielleicht als extreme Weicheierei,

ahnt
der8.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 12.01.20:
Hallo Lilli, (angeblich reicht dein Stammbaum bis Lilliput zurück) mir scheint auch, dass sich in der Moderne der Begriff "Tugend" immer mehr relativiert. Aber vielleicht hilft dein Hinweis auf Erdmännchen und Löwen weiter. Demnach wäre es eine Tugend, die Fähigkeiten möglichst zu verbessern, die die Art erhalten .

 TrekanBelluvitsh (11.01.20)
Da steht zu vermuten, dass der alte Fuchs der Katze die Mäuse einfach nicht gönnt. Listig, nicht tugendhaft.
;-)

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 11.01.20:
Gracias, Trekan, genau so sehe ich ihn auch. Er ärgert sich, weil man ihn noch nicht zum Abt eines Gänseklosters gemacht hat. :)

 Momo (11.01.20)
Hallo Ekki,

der Tugend(Bildung) sind Grenzen gesetzt, lese ich aus deiner Fabel. Beim Tier ist es der Instinkt, der durchbrechen kann, da mag die Erziehung noch so vorbildlich gewesen sein, und beim Menschen ist es wohl der Charakter, das Wesen.
In meinem Katzenkalender steht eine kleine Anekdote über eine Katze, die einem Mäuschen so viel über Liebe und Freundschaft zu ihr erzählt, dass diese schließlich einwilligt, bei ihr einzuziehen. Ob das wohl gutgeht? :)

Liebe Grüße
Momo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.01.20:
Genau, Momo, der Charakter kann die Schutzmauern von Erziehung und Bildung durchbrechen und deshalb muss er immer wieder aufs Neue kultiviert werden.
Die Katze ist ein gutes Beispiel für die Stärke des Instinkts, der sogar den Intellekt zur Überredung instrumentalisieren kann.
Danke und liebe Grüße
Ekki

 Graeculus (11.01.20)
Da stimme ich, wie so oft, dem Fuchs zu.
Du hast das schön beschrieben: kurz, prägnant, treffend, auf angenehme Weise unterhaltsam.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.01.20:
Danke, Graeculus, zu Äsops Zeiten sollen Fabeln auch eine subversive Funktion gegenüber den Mächtigen gehabt haben. Heute sind sie nur noch unterhaltend. Wenn mir das gelungen sein sollte, freue ich mich.

 Graeculus meinte dazu am 11.01.20:
Weiß man noch, daß es von Plutarch eine Abhandlung zu genau diesem Thema gibt? In seinen "Moralia".
Nur am Rande sei es erwähnt - für solche, die das Thema interessiert.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.01.20:
Vielen Dank, ich hätte das wissen müssen.

 TassoTuwas (11.01.20)
Hallo Ekki,
es gibt ja die landläufige Meinung, die Tugend stellt sich im Alter von selbst ein. Das ist aber nur augenscheinlich, hinter manchen Falten lodert noch das Feuer
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.01.20:
Hallo Tasso, ein amüsanter Kommentar, der Wahrheit enthält. Die Alten, zum Beispiel Aristoteles, definierten Tugend als die Einhaltung der Mitte zwischen Extremen. Nach dieser Definition ist es im Alter wohl leichter, tugendsam zu sein. Aber weil manche nicht altern wollen, sollen noch alte Scheunen brennen. :)
Herzliche Grüße
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(11.01.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.01.20:
Vielen Dank, Sigi, was die Vorbildfunktion angeht, sollte man mit Blick auf die Katze auch an die doppelte Bedeutung des Wortes "mausen" denken.. Manche Führungspersönlichkeiten der Kirche stehen diesbezüglich ja in einem schlechten Licht.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (11.01.20)
Es gibt also wohl kaum gelungene Versuche, oder? LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.01.20:
Danke, Armin, rigoros moralisch betrachtet ist vielleicht die Liste von Verfehlungen größer als die tugendhaften Verhaltens. Aus meiner Sicht ist die Geschichte der Franziskanerorden eine Geschichte des Erfolgs. (Siehe Wikipedia: Franziskanerorden)

Antwort geändert am 11.01.2020 um 17:44 Uhr

 GastIltis (11.01.20)
Hallo Ekki, nun steht offenbar die Frage im Raum, was hat ein Mäusekloster bzw. Kloster schlechthin mit Tugend zu tun? Was hat Tugend mit Scheinheiligkeit zu tun? Was Scheinheiligkeit mit Unterwürfigkeit, und die mit Unter- oder Einordnung? Das sind alles Fragen, die auf deinen Titel gar nicht eingehen. Warum sollten sie auch. Wie ist Tugend überhaupt definiert? So vielfältig, dass, um ein Beispiel zu nennen, die Klugheit, die zu den Tugenden gehören soll, natürlich nicht lehrbar ist. Tugend kommt von „taugen“. Und da gibt es in der Lehrbarkeit Grenzen. LG von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.01.20:
Hallo Gil, ja, es ist eine spannende Frage, welche Tugenden lehrbar sind. Deren Beantwortung hängt von der Definition von Tugend ab. Ich halte mich immer noch an die von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik, nach der Tugend die Mitte zwischen extremen Verhaltensweisen darstellt. Mut ist beispielsweise eine Tugend zwischen den Extremen der Feigheit und Tollkühnheit. Halten wir uns an diese Definition, wäre auch Klugheit eine lehrbare Tugend. Sie erwüchse aus dem Training zwischen extremen Verhaltensweisen die Mitte zu erkennen und diese einzuhalten. Aber das Einhalten der Mitte ist oft mit Entbehrungen und auch Schmerzen verbunden. Der Feige zahlt vielleicht in der Gefahr weniger als der Mutige. Er taugt nicht dafür, Blessuren zu ertragen. So betrachtet hat jede Tugend ihren Preis und ihre Lehrbarkeit Grenzen. Vielen Dank für deinen anregenden Kommentar.
LG
Ekki
Sätzer (77)
(12.01.20)
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 AchterZwerg meinte dazu am 12.01.20:
Stimmpt!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.01.20:
Merci, Uwe, wenn Schlauheit sich als Weisheit tarnt wie bei dem Fuchs, ist das besonders schlau.
LG
Ekki

 JDvGoethe (13.01.20)
Mir stellt sich spontan die - nicht ganz ernst gemeinte - Frage, gibt sich der sittliche Fuchs nur plakativ "geläutert", weil er für die Jagt zu alt geworden ist?
...nach dem Motto:
Die Weisheit kommt mit dem Alter. Aber manchmal kommt das Alter ganz allein.

Herzlichst
JDvGoethe

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 13.01.20:
Merci, JD, du hast den cnusus cnacticus erkannt, denn man könnte frei nach La Rochefoucault sagen: Die Tugend ist die Schwester des Alters.,
Herzliche Grüße zurück
Ekki

 eiskimo (30.01.20)
Wie so vieles sittliche Gut ist Tugend unbedingt lehrbar - allein: Wer mag sie schon lernen?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.01.20:
Vielen Dank, Eiskimo, nur wenige mögen sie lernen, weil sie ihnen nutzt.
LG
Ekki
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