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Erzählung zum Thema Ende

von  RainerMScholz

„Was ist nur los mit ihnen, Herr Dietrich? Sie kommen jeden Morgen ekla­tant zu spät, sie sind unmotiviert und insubordinieren die gesamte Klasse mit ihrer rebellischen Attitüde.“
„Ich insub-was?“
„Sie tun’s doch schon wieder!“
„Also erstmal tu ich’s jetzt nicht schon wieder, sondern ich hab’ eher das Gefühl, dass sie es mit mir tun, und dann, Frau Oberstudentenrätin, was is’n das für`n Wort: Alditüte? Oder eher Adi-Tröte? So `was wie `ne Posaune für kleine Hitlers oder wie. Ich bin `mal kein Skinhead; soviel Haare wie sie hab´ ich schon lange auf`m Kopf. Oder auf den Zähnen?“
Stefan B-Bop-Bone Dietrich war damit die Staatsstütze erst einmal wieder los. Mutwilliger Abbruch nennt sich das. Ungenügende Leistungsbereitschaft. War nicht die erste arbeitsmarktwirtschaftlich orientierte Weiterbildungsmaßnahme, die er abgebrochen hatte, nachdem er die Lehre zum Druckformhersteller mangels Nachfrage aufgeben musste. Für diesen Berufszweig gab es keine Verwendung mehr: man hatte versäumt, ihn zu Beginn seiner Lehrlingslaufbahn darauf­ aufmerksam zu machen, dass er eigentlich für`s Museum lernte.
Was soll`s schon, dachte er, und marschierte um neun Uhr dreißig in der Frühe wieder aus dem Ausbildungszentrum hinaus und geradewegs zum Kiosk an der Kleinmarkthalle. Einige von den Säufern, Pennern und Nichtstuern kannte er, sie begrüßten ihn lachend, schwankten auf ihren dürren Beinen, als bliesen Sturmböen durch die Schwingtüren der Halle, wo der gehobene Mittelstand unbekannte Gewürze, exotische Gaumenkitzler und Eselswurst für den Gourmet einkauft, Käse aus Frankreich, der Schweiz, Burgund, erlesene Bioanbauweine aus Italien, türkisches Hammelfleisch, Kuskus aus Massakeralgerien zur Bereicherung der faden Schweinshaxenküche.

Und Henninger Bier für Bone und seinesgleichen. Anker-und-durchschossene-Herzen-Tätowierte, stachlige, kranke Seelen, die sich beim Aufwachen den Jägermeisterschuss setzen, damit die eitrige Sonne wieder aufgeht, um sie ein wenig zu wärmen. Bone wusste, dass sie im Grunde allzu verletzlich sind, dass die rauhe ungeschlachte Schau nur Selbstschutz ist gegen ein Äußeres, das sie nicht verstehen wollen, nicht verstehen können. Dass sie schon durch den Wolf sind oder eine Todesangst davor haben. Deshalb blieb er gewöhnlich auf Distanz zu solchen Orten, diesen Menschen. Es war traurig, aberwitzig, grotesk und er hatte Angst. Angst stehenzubleiben an solch einem gefrorenen Ort. Zusehen zu müssen, wenn sie offen weinen, wenn sie nicht weiterwissen und genug Alkohol hatten, um die Wunden ertauben zu lassen, hilflos gestikulierend, schutzlos dem Beton und dem Asphalt und den Blicken der Vorbeieilenden ausgesetzt. Das war ihre Stärke, wusste er, und ihr Tod. Deshalb war er hier unter Menschen. Er hasste die Robotermu­tanten der anderen Seite. Die neoliberalen Fünf-Tage-Woche-Faschisten.
Ich hasse diese Roboter, dachte er, spie aus und holte sich ein neues Bier. Die Hunde streunten desinteressiert um seine Beine, schnüffelten an den weggeworfenen Essensresten, sahen braunäugig und sinnlos in die schmierige Vormittagssonne.
Der Dicke Gerd schob sich an ihn heran. B-Bop-Bone grinste, wissend, dass er gleich von seiner Firma erzählen würde, in der er Maschinenschlosser gewesen war.
„...und ohne mich lief da nichts...ich hab´ für alle den Kopf hinhalten müssen...was haben wir gelacht... diese Arschlöcher!...und dann nach 25 Jahren `ne billige Tchibo-Uhr als Dank...
Hast du gelesen von diesen Morden?“
„Was denn, Gerd?“
„Na, der Scheiß da in den Zeitungen.“
„Ist doch bloß aufgeplustert.“
„Der macht das Dutzend noch voll. Am Dienstag gab’s die letzten Toten.“
Er wedelte mit der Zeitung vor Bones Gesicht und verschüttete dabei Bier. Seine fleischigen, ekzemübersäten Wangen zitterten, seine gelbe Haut schien noch gelber zu werden.
„Recht hat er. Ich würde auch Amok laufen, wenn ich noch könnte.“
„Wer hält dich denn ab, Gerd?“
„Ach Stefan, mich hätten die sofort. Ich wüsste schon, wen ich abmurksen würde. Deswegen. Der Ripper macht’s wahlweise.“
„Der sogenannte Ripper, den gibt’s gar nicht. Das ist bloß eine Aneinan­derreihung von blöden Zufällen.“
„Hier steht aber `was anderes. Interne Polizeiquellen und so.“, und er wedelte wieder mit der Zeitung.
„Genau. Und deswegen hab’ ich den Hund.“, warf Stan der Pole ein. Sein Rottweiler schnüffelte an Gerds verwaschener Cordhose.
„Hol den Köter da weg oder ich verpass ihm eins!“, brüllte der ihn an. Der Hund knurrte, Stan zog ihn rüde zurück.
„Aus! Aus! Mach Sitz, Satan!“, und er riss den Hund an der Leine, die Ket­tenglieder schnürten sich in den bulligen Pelznacken. Das Tier wich zurück, setzte sich zu Füßen seines Herrn und blickte ihn ehrfürchtig schräg hechelnd von unten herauf an.
„Was willst du bloß mit diesem Hund, Stan.“, fragte Bone und musste unwill­kürlich lächeln. Stan war gezwungen, für sein Bier zu schnorren. Und womit fütterte er bloß dieses fleischfressende Ungetüm dann?. Der Hund blinzel­te ihn an.
„Das Vieh kriegt die Steaks und Stan frisst die Ravioli kalt aus der Dose.“, lachte Gerd und bekam prompt einen Hustenanfall, röchelte, zog den Rotz hoch und spuckte gelb aus.
„Stimmt gar nicht.“.
Stan schaute Gerd beleidigt hinterher, als er pru­stend und keuchend ging, um sich ein weiteres Bier am Kiosk zu holen. Der Hund ignorierte ihn, witterte den Passanten mit erhobener Schnauze nach.
„Jetzt nerv du mich nicht auch noch mit dieser Scheiße.“
„Naa, mach´ ich nich’.“
Stan zerrte aus purer Routine an der Leine.
„Wie geht’s deinen Freunden?“
“Seveso und Thermo?”
„Ja.“
„Wir hatten ein bisschen Stress im Speak Easy. Besser, dass wir uns `ne Weile nicht sehen. Sonst ganz gut, nehm’ ich an.“
„Und? Hast du einen Job?“
„Nee, gerade die ABM geschmissen oder `was für’n Lager das war. Sie werden mir die Kohle wohl wieder streichen für die nächsten drei Monate, oder für immer, was weiß ich. Die kotzen mich an.“
Stan nickte. Gerd kam mit Bier und Jägermeister zurück.
„Hier, gut für den Magen.“, sagte er und hielt ihnen die grünen Fläschchen mit dem Hirschkopf hin.
„Was macht deine Arbeitsmaßnahme oder wie das heißt?“
B-Bop-Bone sah blinzelnd zum Himmel hinauf: Blau, weißschlierige Wolkenfetzen, diffuser blendender Sonnenschein.
„Was schon.“
Dann grinste er: “Ich hab’ jetzt umgesattelt. Ich schlitze wildfremden Leu­ten die Kehle durch. Ich räume die Penner von den Straßen und kassiere direkt von der Stadt, steuerfrei und cash auf die blutige Kralle.“
„Arschloch.“, empörte sich Gerd und zwinkerte ihm mit einem Seitenblick auf Stan zu. Stan der Pole sah unbeteiligt auf seinen Hund hinunter.
„Mach schön Sitz, Satan.“
Er tätschelte die grinsende hechelnde Hundeschnauze. Von den roten Lefzen des Tieres troff Speichel auf das Pflaster.

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