Der Mann und die Amsel Teil 3

Erzählung zum Thema Erinnerung

von  franky

Als die Wunden des zweiten Weltkrieges noch lange nicht verheilt waren und einzig übriggebliebener Sohn Franz in der von Amerikanern kontrollierten Stadt Salzburg als angelernter Polizist mit den illegalen Freudenhäuser zu tun hatte, musste er bei den vor dem Gesetz Verbotenem Liebesspielen hart durchgreifen.
Mir verriet er später mal unter vier Augen: „„Musste die schönen Frauen verhaften, auf die Wachstube mitnehmen, lieber hätte ich mich zu ihnen ins Bett gelegt und einen Schuss abgegeben.“ 

In den Wirren, kurz vor Kriegsende, hatte man den alten Mann Grassecker noch in den Volkssturm einberufen und ihn in das gefährliche Jugoslawien geschickt. 
Das konnte nach logischen Überlegungen keinem Erfolg bringen, da die Russische Armee auf breiter Front Richtung Ostmark vorstießen. Mit Sturmgewehren gegen vorrückende Panzer.
Das waren so die letzten verzweifelten Zuckungen vom Großdeutschen Reich in unserer näheren Region.
Grassecker konnte sich einer Gefangennahme von den Russen entziehen, er setzte sich frühzeitig Richtung Steiermark ab. Nach tagelanger Flucht über Berge, durch Welder und Felder kam er total müde und verdreckt in Laufnitzdorf an.
Fahnenflüchtige wurden bei Ergreifung standrechtlich erschossen. Dieser drohenden Gefahr konnte er sich durch eine gut überlegte Flucht erfolgreich entziehen.
Als er im Schutze der Dämmerung sich seinem Hause näherte, an die Türe klopfte, Öffnete seine Frau und schloss ihn  mit über großer Freude in die Arme. Die unsichere Zeit des Warten und Bangens hatte nun ein glückliches Ende genommen.

Ich lag schon durch die Explosion von Handgranaten ziemlich lädiert im Brucker Spital, wo Mama und Franziska bei ihren Besuchen mir stets die neuesten Nachrichten überbrachten.

Nach dem achten Mai, Datum der Kapitulation des Großdeutschen Reiches, durfte sich Herr Grassecker wieder offiziell blicken lassen.
Seine so lebensfrohe Frau musste Wochen und Monate lang ohne Mann im Alltag auskommen.
Kurz nach dem Krieg wurde Vater Grassecker Pensioniert. Er führte mit seiner Frau ein zurückgezogenes, beschauliches Leben. 
Es war ein Bild von unbeschwerter Lebensfreude, wenn Graßecker nach Verzehr der Nachmittagsjause mit sichtlichem Genuss sich eine Pfeife anzündete und die bläulich grauen Rauchringerl in die Luft blies.
Für diese Tätigkeit saß er auf einer bequemen Holzbank vor den kleinen Häuschen, welches
er schon mehrere Jahre mit seiner Ehefrau bewohnte. Ursprünglich war dieses Häuschen die Getreidekammer vom Natzbauern, dessen Haus wir fünf Kinder mit Mama und Papa in der Nähe zurzeit bewohnten. Papa hatte man schon im Jahre Vierundvierzig zur Fliegerabwehr eingezogen, so war meine Familie bereits etwas dezimiert. Mama hatte überhaupt keinen Menschen zur Unterstützung für Beschaffung von täglich Brot und sonstigen Angelegenheiten, wir fünf Kinder waren für sie manchmal eine übergroße Herausforderung, die sie rasch ausrasten ließ. 
Darum war die Grasseckermami für uns Kinder eine willkommene Reservemami, bei der wir Kinder Zuflucht fanden, wenn unsere Muti zu sehr schimpfte und auch gefürchtete Schläge austeilte.

Frau Grassecker erreichte das ansehnliche Alter von Achtzig Jahren, als sie kurz darauf einen bösen Sturz zu verzeichnen hatte, durch den sie in ein Koma fiel und im Grazer Barmherzigenspietal behandelt wurde.
Ihr Mann besuchte sie jeden Tag. Grassecker hatte auch schon vierundachtzig Jahre auf dem Buckel und trotzdem maschierte er jeden Morgen die fier Killometer auf der Hauptstraße zum Bahnhof nach Frohnleiten. Weite Strecken der Straße gab es keinen schützenden Fußweg, da musste man höllisch aufpassen nicht von den Autofahrern von hinten gerammt zu werden.   
Für frau Grassecke gab es keine guten Aussichten gesund zu werden. Sie lag vollkommen Apathisch in ihrem Bett, wo ihr Mann jeden Tag zu besuch kam und mit ihr kurze Gespräche führte und vergeblich auf eine Antwort wartete. Oder vielleicht von ihr nur auf ein leichtes Augenzwinkern zu sehen bekommen hätte.
An so einem weiteren Tag, machte sich Grassecker wieder auf dem Weg zum Bahnhof nach Frohnleiten. Seinen treuen Wachhund Waldi, versorgte er vorher mit genügent Wasser und Futter für einen Tag.
Beim Gehöft Schwabennest, mündet der Karrenweg, den Grassecker als Fußweg benutzte  in die Hauptstraße. Eine Hauptstraße die Graz mit Bruck an der Mur verbindet. 
Die löchrige Asphaltstraße beschreibt eine langgezogene heimtückische Linkskurve, die von manchen Autofahrern oft unterschätzt wurde.
Als Grassecker nach ein Paar gegangenen Metern von weitem einen verdächtig heulenden Motor näher kommen hörte, verlegte er vorsichtshalber seine Schritte etwas weiter rechts auf den anschließenden Wiesenhang.
Als der heranbrausende rote Borsche von Grassecker bemerkt wurde, schlitterte der Sportwagen bereits über die gesamte Straßenbreite und zog ständig weiter auf den Hang zu, wo Grassecker schon, die gefahr auf sich zukommen sehend, höher auf den Hang hoch flüchtete, um aus der gefahrenzohne zu kommen. Auf gleicher Höhe angekommen schläuderte der Borsche auf allen vier Rädern schlitternd einen letzten häftigen Schwank auf den Hügel und begrub den flüchtenden Grassecker unter sich. Er war auf de Stelle tot. 
Man stelle sich vor, da geht der Mann sein ganzes Leben lang auf dieser Straße Fünfundvierzig Jahre lang in seine Arbeit und nichts derartiges passiert. Nun wird er von einem Verrückten Borschefahrer einfach über den Haufen gefahren, er hatte nicht die geringste Chance zu entkommen. 

Etwa zur selben Zeit, wurde im Grazer Barmherzigenspital bei Frau Grassecker der Tot festgestellt. Als wollte das Schicksal, keinen von Beiden in Trauer zurücklassen.
Ihr Mann kommt heute nicht zu besuch, sie wird ihn wohl als freudige Überraschung im Jenseits begegnen.
Wenn es auf der Erde keinen Ausweg mehr gibt, hat der Himmel ein erbarmen.

Die Amsel wird weiterhin im Frühling und Sommer auf dem Dachgiebel des kleinen Häuschen sitzen und ihr schönes Liedchen in die Welt trällern,
aber Antwort von dem alten Mann wierd sie keine mehr bekommen.

Ps.
Dem eingesperrten Wachhund Waldi wurde die lange Abwesenheit seines Herrchen zu unerträglich, so dass er durch ununterbrochenes Bellen auf sich aufmerksam machen wollte.
Er verteidigte sein Schutzbefohlenes Haus buchstäblich bis auf die Zähne. Jeder Versuch die Küchentüre zu öffnen scheiterte an dem völlig verzweifelten, aufgelösten Wachhund Waldi.

Polizei und Feuerwehr berieten sich mit einem Jäger, der das Arme Tier dann durch das vergitterte Küchenfenster mit einem Gezielten Schuss aus seiner Gefangenschaft erlöste.
Ob Waldi vom Hundehimmel aus auch auf sein Frauchen und Herrchen aufpassen muss?

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