Wände und Brücken

Text zum Thema Begegnung

von  larala

Ich fand Klara übers Internet wieder. Genauer gesagt fand ich die Adresse ihrer Eltern und schrieb einen Brief dorthin. Klara rief mich schon am nächsten Abend zurück. Ich erkannte ihr Lachen und ihre Stimme und wir redeten zwei Stunden lauter Weißtdunochs. Klara schwärmte, dass sie viele Jahre in New York gewohnt habe und von ihrem Job und ihrem Mann und ich war fasziniert davon, dass sie genau so lebte, wie sie vor dreißig Jahren angekündigt hatte, dass sie mal leben wolle.

Und dann fragte Klara: Und du (und nannte mich dabei bei dem Namen, den sonst nur meine Geschwister benutzen), und du, was machst du? Und ich erwiderte: Leben, Lieben, Lernen. Damit hab ich irgendwie alle Hände voll zu tun. Und wenn ich Zeit habe, mache ich einfach nichts. Wie, nichts, fragte Klara und lachte, was meinst du damit? So wie ... Meditation? So was lehne ich ja ab. Für mich ist eine Wand eine Wand und basta.

Und so erzählte ich Klara nicht nur nichts vom Nichts, sondern auch nicht von der Wand zwischen Wohn-und Kinderzimmer, durch die mein kleiner Sohn nachts leise Klopfzeichen schickt, wenn er einsam ist und auch nichts von den Wänden, auf die ich monatelang starrte während meiner Krankenhausaufenthalte, nichts von der Wand in der ersten gemeinsamen Wohnung, deren Farbigkeit ich mir erkämpfte und auch nichts von der Begegnung mit dem alten Mann letzte Woche, der mich fragte, ob ich noch einen Moment hinter seinem Rücken stehen bleiben könne, das fühle sich gut an, wie eine Wand zum Anlehnen. Ich erzählte nichts von dem Freund, von dem ich mich trennte und der daraufhin so lange seinen Kopf gegen die Wand im Flur rammte bis es blutete und ich erzählte auch nichts vom geheimen Platz meiner Kindheit, der sonnenbeschienenen Bank an der Wand des Schuppens im Garten meiner Großmutter, wo ich so oft saß, so unsichtbar und geborgen.

Nach unserem Gespräch schickte Klara nacheinander zwei Briefe, eine Postkarte, eine Warensendung mit einem Buch und versuchte zwei Mal mich anzurufen. Gestern dann hatte sie mich an der Strippe.
Sie machte mir keine Vorwürfe, dass ich das ganze Jahr  nichts hatte von mir hören lassen.

Weißt du, sagte Klara, irgendwie wollte ich aus meinem Leben immer was ganz Besonderes machen. Und jetzt bin ich vierzig.
Was ist "etwas ganz Besonderes", Klara?
Ich hab keine Ahnung antwortet sie, das ist es ja eben. Was würdest du sagen?
Ich weiß es doch auch nicht, erwiderte ich, aber darf ich dich mal besuchen?


Anmerkung von larala:

Für V.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (22.02.20)
"...geheimen Platz meiner Kindheit, der sonnenbeschienenen Bank an der warmen Wand des Schuppens im Garten meiner Großmutter"

Das ist ist ein wenig arg dick aufgetragen und auch recht klischeehaft, da würde ich mir mit etwas Phantasie was besseres ausdenken. Ansonsten gerne gelesen.

 AchterZwerg meinte dazu am 23.02.20:
Einfach das "warm" weglassen (sonnenbeschienen" ruft diese Empfindung bereits hervor) und schon wird alles gut.

 larala antwortete darauf am 23.02.20:
Wech isses, danke Achter und Dieter: fast hätte da auch noch der Mirabellenbaum gestanden, puh. Freut mich, dass du es mochtest!

 princess (22.02.20)
Ein Text in verhaltenen Farben. Und doch reißt er Bilder an, die sich mir zäh in den Magen legen. Schwer irgendwie. Ob so ein Text was für die Gefühle kann, die er auslöst?

Sehr wunderbar beschrieben, Frau l. Diese Wände und Brücken.

Liebe Grüße
Ira

 larala schrieb daraufhin am 23.02.20:
Mh, das ist eine gute Frage, liebe Ira, die ich als Geschenk mitnehme. Danke fürs Auslösenlassen, Lesen, Loben!

 AchterZwerg (23.02.20)
Formidabel!

Wände die eingerissen, Brücken die gebaut werden.
Nur die Angst vor dem Leben bleibt.
Und die vorm Tod.

Ein Kleinod im Programm.

Der8.

 larala äußerte darauf am 23.02.20:
Lieber Zwerg, Angst vor Zwergen und KeinenZwergen, kennst du das? Danke!

 AchterZwerg ergänzte dazu am 24.02.20:
Nee

ich
nich
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