1988 Eta Carinae - der Tod eines Mädchens

Kurzgeschichte zum Thema Tod

von  Hartmut

Natürlich kann sich ein Lehrer in eine Schülerin verlieben besonders dann, wenn man gemeinsam auf einer Wellenlänge schwingt. Eine landläufige Liebe ist das nicht, eher eine  kosmische.
Zuerst ist sie ihm nicht aufgefallen im Strom der Schüler und  Schülerinnen, die lärmend einfallen. Es ist sein Klassenzimmer, von ihm ein wenig gestaltet, Sternbilder an den Wänden. Ein Kollege ist erkrankt, Vertretung!
Der Unterricht  beginnt mit einem Konflikt. Einige Schüler tragen Mützen, gestrickte Massenware, so eng anliegend, dass selbst im Nacken keine  Haare herausgucken. Auch sie trägt diese Kopfbedeckung. Die Schulordnung  spricht da eine klare Sprache: Nein, in der Klasse verboten. Maulend, von Menschenrechten schwadronierend, werden sie abgenommen. SIE tut es nicht, auch nicht nach einer zusätzlichen Ermahnung. Stille. Sie  steht im Mittelpunkt. Wach ist sie. Wartet sie auf einen Fehler, der ihm jetzt unterlaufen könnte?
In der Pause ist er mit ihr allein. Sie geht nicht. Wieder gegen die Schulordnung. Was will sie? „Wie viele  Sterne “,und jetzt sucht sie zum ersten Mal Blickkontakt, „gibt es im Weltall?“ Die Frage hat er nicht erwartet. Er ist verwirrt und nennt die Zahl: 2 mal 10 hoch 39. „Paah“,  sagt sie abfällig und geht. 

In der nächsten Woche  bleibt sie wieder. „Eta Carinae fehlt noch“, sagt sie und übergibt ihm ein Bild, um es aufzuhängen. „Bitte, SIE ist wunderschön und einzigartig.“    SIE?
Sie  trägt heute  eine rot-rosa zur Mitte hin ins Blaue gehende Mütze, und erst als sie hinausgeht sieht er die Ähnlichkeit.

Was wissen wir über die Sterne, wenn wir noch nicht einmal das einfachste Atom auf unserem Planeten entschlüsseln  können? Ist unser Verstand überhaupt in der Lage, jemals den Kosmos zu verstehen?

Am letzten Tag vor den Weihnachtsferien - über 4 Wochen hat sie gefehlt -  ist sie wieder da. Keine Mütze, kurzes, blondes Haar. Perücke? Er macht die letzten Klassenbucheintragungen, die Tür steht offen. Plötzlich steht sie neben ihm.  Die Augen sind es, die ihn fesseln, ihn nicht entlassen: Blue windows behind the stars. „Wann stirbt DIE LEUCHT-KRÄFTIGE BLAUE VERÄNDERLICHE“, fragt sie unvermittelt. „Wir vermuten, dass er noch genug Energie hat für ein paar Millionen  Jahren“, entgegnet er. „Aber SIE verblasst zunehmend in letzter Zeit, SIE wird sterben.“  "      "Aber er ist immer noch Vier- bis Fünfmillionen mal heller als unsere Sonne,  er erholt sich wieder, wie in der Vergangenheit, glaub mir.“
  "Ich hoffe sie haben recht," sagt sie und geht, dreht sich noch einmal um, sucht seine Augen und sagt: „ Ich bin mir sicher, es gibt unendliche viele.“
Zum Schulbeginn im neuen Jahr bleibt ihr Platz leer, für immer.
Ende Januar wird man in der Zeitung lesen können,  dass ein australischer Wissenschaftler behauptet, die Zahl der Sterne sei unendlich.

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Kommentare zu diesem Text

aliceandthebutterfly (36)
(01.05.20)
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 Hartmut meinte dazu am 03.05.20:
Danke!!! Dein Kommentar berührt mich! Das kommt (leider) selten vor. Es gibt noch eine Geschichte von mir zum Thema Tod: Ab- Reise (April 2015)
Liebe Grüsse! Hartmut
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