Der Virus als Spiegel? - Zum Intellektuellen-Totalversagen in der Coronakrise

Erzählung zum Thema Armut

von  toltec-head

Während Giorgio Agamben, weil er vorübergehend nicht ins Café oder Museum kann, schwere Geschütze wie den "permanenten Ausnahmezustand" totalitärer Staaten und menschliches Reduziertsein auf das "nackte Leben" à la Auschwitz auffährt, freut sich Quasselstrippe vom Dienst Alexander Kluge in einem Interview mit der Welt über positive Nebenwirkungen:

Ich hätte normalerweise nur telefoniert und organisiert oder das Nächstliegende gemacht. Aber ich nehme jetzt nicht das Nächstliegende und habe einen Haufen Zeit vor mir. Ich kann das nicht nur negativ finden.

Das ganze Bedrohliche der derzeitigen Situation spiegelt sich wie in einem Brennglas, wenn Kluge seinem Befrager ohne weitere Umschweife eröffnet:

Ich habe zum Beispiel angefangen zu schreiben.

Was aber natürlich nicht heißt, dass er zwischendurch nicht doch auch ab und zu telefoniert hat. Wäre ja noch schöner.

Ein Manager eines großen Unternehmens rief mich vor wenigen Tagen an und sagte, er sei in einem Raum gewesen mit einer kontaminierten Person. Jetzt seien sie alle, der ganze Vorstand, isoliert auf dem Gelände, und er habe zum ersten Mal sei Jahren Zeit.

Na, dann ist ja alles prima. Können der große BRD-Unternehmer und der große BRD-Intellektuelle als noch nicht kontaminierte Personen (was ein Deutsch!) gemeinsam in den Virus-Spiegel schauen und sich gratulieren. Der bauernschlaue Kluge, jedenfalls. Denn:

Ich bin stolz darauf, dass ich mich noch rechtzeitig im Herbst auf Pneumokokken impfen lassen habe. Gerhard Richter hat mir gesagt, dass er das macht, also habe ich das auch gemacht und bin jetzt bis ans Lebensende immun gegen diese Komplikation.

Wo der große, große Unternehmer mit dem großen, großen Intellektuellen zusammentrifft, kann der große, große Künstler natürlich nicht fern sein. Wer wohl aber dem Richter das Ding mit der Pneumokokken-Impfung gesteckt hatte? Doch nicht etwa eine große, große Kanzlerin?

Nee, die hinkte wie üblich hinterher und hatte es - bevor die letzten Impfvorräte endgültig zur Neige gingen - auch nur in letzter Minute aus der Zeitung bzw. dem morgendlichen Pressebriefing erfahren. Es bleibt dieses eben das Land der Dichter und Denker. Wir alle anderen, die in der Zwischenzeit in unseren Wohnklos statt der Fahrpläne bloß Hölderlin lesen konnten, müssen uns zur Strafe jetzt von Spahn mit Chloroquin abspeisen lassen. Connected sein - was ein Traum!


Anmerkung von toltec-head:

https://www.welt.de/kultur/plus206598739/Alexander-Kluge-ueber-Corona-Das-Virus-ist-ein-Spiegel.html

Wer nach der ersten Frage an den Flackhelfer "Was hat Covid-19 mit den Luftangriffen von 1944 zu tun?" schon keine Lust mehr hat weiter zu lesen, verpasst eine superkluge Antwort, welche die Weisheit einer ganzen Generation widerspiegelt: Man könne Corona schon mit den Luftangriffen von 1944 vergleichen. "Aber dann", Zitat, "würden wir nicht zu Hause sitzen und telefonieren".

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Kommentare zu diesem Text


 Oggy (03.04.20)
Findet der Leser hier zwischen den Zeilen zaghafte Zweifel am klugen Sprichwort “Nomen est Omen“?
Aha (53)
(03.04.20)
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 Regina (16.04.20)
Supertext. Kontaminiert? Bezieht sich doch eigentlich auf Atomverstrahlung. LG Gina
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