Frühlingstanz auf der Titanic

Gedankengedicht zum Thema Umwelt/Ökologie

von  EkkehartMittelberg

Du glaubst zu wissen,
wie viele Gifte die Erde verbirgt,
wie viele in den Flüssen schwimmen,
wie viele in den Lüften schweben.

Du weißt,
wie viele Umweltkonferenzen gescheitert sind,
ausgehebelt durch rücksichtslose Profitgier,
zerschellt an nationalen Egoismen.

Du weißt,
dass wir auf der Titanic tanzen,
welche Eisberge ihren Stahl schneiden,
dass die Navigationsgeräte versagen.

Auch in diesem Jahr ist der Frühling wieder gekommen.

Du siehst
die ersten zarten Knospen wie immer,
den leuchtenden Krokus wie immer,
die strahlenden Forsythien wie immer.

Du hörst
die belebenden Schreie der Kraniche,
die süß flötende Amsel,
die jubilierende Lerche.

Du spürst
den lauen Wind auf deiner prickelnden Haut,
den warmen Regen im Gesicht,
die keimende Hoffnung wider alle Vernunft.

Du gibst dich hin
den Farben, Klängen und Zärtlichkeiten
der erkrankten, betörend schönen Natur
wie immer.

Du bist ihr verfallen,
du kannst nicht anders.
Aber vergiss nicht:
Du tanzt auf der Titanic.

Solange Corona den Rhythmus bestimmt,
tanzt du allein
und die Titanic
ist überall.

März 2011, überarbeitet April 2020

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Kommentare zu diesem Text


 DanceWith1Life (30.04.20)
hallo Ekki,
diese Zeilen, die wohl auch den aktuellen Zwiespalt widerspiegeln, in dem sich wohl die Meisten von uns befinden, stimmen mich sehr nachdenklich, das sollen sie ja hoffentlich auch, denn als unerwünschten Nebeneffekt eines Naturgedichts, willst du das sicher nicht verstanden wissen.

Was mir dabei alles einfällt, ist natürlich so eine Sache, habe ich doch erst vor nicht all zu langer Zeit verstanden, was die Indegenen Völker eigentlich meinten, wenn sie über uns Bleichgesichter sagten.
erst wenn der letzte Baum gefällt,usw...
Wir und unsere Titanik auf den sieben Weltmeeren der Jahreszeiten eines Planeten sozusagen und jetzt haben wir die Pest an Bord.
Nicht zum ersten Mal, aber noch nie mit so einer Medienpräsenz.
Das ist schon nochmal ein Kapitel für sich.
Dagegen beginnt der Frühling eher leise.

 Jorge meinte dazu am 30.04.20:
Ja, noch nie war es so deutlich: Wir haben die Pest an Bord.
Noch nie waren täglich so viele Experten und Politiker zum gleichen Thema in den Talkshows zu sehen.
Noch nie waren so viele ü 70 Menschen so gefährdet und so allein.. Ich warte auf avisierte Lockerungen in España und möchte endlich wieder einmal ans Meer dürfen, möchte wissen, ob es noch einmal eine Kreuzfahrt oder eine Flugreise gibt, die eine Entschädigung für langes Ausharren in Quarantäne wäre.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 30.04.20:
@Dance:Dein Kommentar, dass wir die Pest an Bordhaben, passtgut zu meinem Bild von derTitanic. Mir gefällt auch der Kontrast zwischen umtriebiger Medienpräsenz und leisem Frühling.
@ Jorge: Merci, Jorge, deine Reaktion zeigt, dass sich die Gefahren und Sehnsüchte international kaum unterscheiden.
Sätzer (77)
(30.04.20)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 30.04.20:
Danke, blickt man auf die einschneidende Reduziereungr des Verkehrs, liegt der Gedanke wirklich nahe, dass sich die Natur mit dem Corona-Virus wehrt.
LG
Ekki

 monalisa äußerte darauf am 30.04.20:
Lieber Ekki, es ist erschreckend, wie sehr deine Zeilen, 2013 geschrieben, an Brisanz zugelegt haben, erschreckend und verstörend, dass wir uns, obwohl wir darum wissen, immer noch auf Kollisionskurs mit dem Eisberg befinden. Nun aber schon so nahe dran, dass es mehr als fraglich ist, ob ein Ausweichmanöver den Zusammenstoß noch verhindern kann.
Momentan hat ja Corona die Motoren gedrosselt, vielleicht wäre jetzt der Zeitpunkt, den Retourgang einzulegen, aber ich fürchte, ein Bleigewicht aus Profitgier, nationaler, internationaler und auch persönlicher Egoismen liegt schwer auf dem Gaspedal, um die Motoren wieder und jetzt erstrecht aufheulen zu lassen, ohne Kurskorrektur!
Und gleichzeitig können wir nicht anders, als die Auferstehung der Natur, in diesem Frühling schöner und eindrucksvoller denn je, zu bewundern. Ein Paradoxon, ein Dilemma, das dringend aufzulösen wäre, doch von wem?
Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 30.04.20:
hallo Mona, vielen Dank für deinen Kommentar. der das Dilemma der Katastrophe und der lächelnden Schönheit der Natur einfühlsam und eindrucksvoll beschreibt.
Wir befinden uns zwar auf dem richtigen Wege zur Auflösung des Dilemmas, aber wenn die Lockerungen nur etwas zu früh erfolgen und etwas zu weit gehen, kommt wahrscheinlich alles noch schlimmer zurück.
Liebe Grüße
Ekki

 eiskimo meinte dazu am 30.04.20:
@monalisa
Super auf den Punkt gebracht - ich pflichte Dir in allen Punkten bei
Eiskimo

 Regina (30.04.20)
Die untergehende Titanic ist ein Bild für die Tatsache, dass alle in einem Boot sitzen, die Guten, Schlechten, Moralischen und Unmoralischen. Aber ein paar Passagiere haben das Unglück überlebt und sind an ihr Ziel gekommen. LG Gina

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.20:
Merci, Gina, in Wirklichkeit werden mehr als nur ein paar Passagiere überleben, aber ihre Zukuntsperspektiven sind düster.
LG
Ekki

 AZU20 (30.04.20)
Ja, so ist es. Von vorn bis hinten gut getroffen. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.20:
Dank, Armin, das freut mich.
LG
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(30.04.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.20:
Vielen Dank, Sigi. deine Skepsis ist sehr berechtigt. Es wird jetzt Verteilungskämpfe um das Geld geben, wie wir sie noch nicht erlebt haben. D as wird aus meiner Sicht zwei unterschiedliche Folgen haben: Die Verlierer bei diesen Verteilungskämpfen werden resignieren und in unpolitischer Wut verharren oder extrem wählen. Die Anderen werden mit Argusaugen auf die Politiker schauen, denn es wird nicht mehr lange dauern, dass nur die Groko bestimmt, wo es lang geht.
Ich hoffe sehr, dass jetzt Wege gefunden werden, dass sich intelligente umweltschonende Technologie bezahlt macht.
Herzliche Grüße
Ekki

 TassoTuwas (30.04.20)
Lieber Freund,
man erzählt sich, dass die Kapelle der Titanic noch flotte Weisen spielte während den Musikern schon das Wasser in die Schuhe lief. Vielleicht gut erfunden aber keinesfalls unmöglich.
Tatsächlich galt alle Zeit das Motto "Brot und Spiele" als probates Beruhigungsmittel. Und heute, das neue Brot heißt Klopapier, das ist reichlich vorhanden und bei den Spielen wird mit Hochdruck nach Wegen gesucht, dass der Ball schnellstens wieder rollt.
Dem Poeten bleibt der Appell sich an der Natur zu erfreuen, die Wunder zu sehen, die ringsum geschehen und die Sinne erfreuen.
Du hast den Job gut gemacht!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.20:
hallo Tasso,
nicht alle wissen, dass in der römischen Klassengesellschaft Brot und Spiele notwendig waren, um die Plebs materiell über Wasser und bei Laune zu halten. .Ich kann mir vorstellen, dass auch wir uns immer mehr auf eine Klassengesellschaft hin bewegen, in der zunehmend mehr Menschen auf gespendetes Brot angewiesen sind und auf Spiele, um zu vergessen.
Wer sich dann noch ohne Existenzsorgen der Natur erfreuen kann,ist wirklich privilegiert.
Vielen Dank für deinen anregenden Kommentar.
Herzliche Grüße
Ekki

 Graeculus (30.04.20)
Das sind wir Dichter & Sänger: die Kapelle auf der Titanic. Der Rest sind Passagiere und Mannschaft.
Vielleicht wäre sogar die "Wilhelm Gustloff" das bessere Bild.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.20:
Merci, Graeculus, das von Tasso und dir ins Gespräch gebrachte Bild von den Dichtern und Sängern als Kapelle auf der Titanic gefällt mir gut.
Weißt du,ob auf der Wilhelm Gustloff, als sie die Flüchtlinge aufnahm, überhaupt noch Musik gespielt wurde?

 Artname meinte dazu am 30.04.20:
Naja, bisher lese ich hier keine Texte wie " Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern ". Das Los einer Unterhaltungskapelle bei Havarie auf offenem Meer ist kein sonderlich leichtes!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.20:
Heute schon gelacht, Artname? Dann empfehle ich dir zur Unterhaltungskapelle von Heinz Erhardt:" Linkes Auge blau, rechtes Age blau" https://www.youtube.com/watch?v=klj0dztppbU
LG
Ekki

 Graeculus meinte dazu am 30.04.20:
Nein, zum Zeitpunkt ihres Unterganges war die "Wilhelm Gustloff" ein reines Flüchtlingsschiff, ohne Kapelle. Entsprechend (wegen der Flüchtlinge) war die Zahl der Toten erheblich größer - aber das weißt Du sicherlich.

 Artname meinte dazu am 01.05.20:
Heute schon gelacht, Artname?

Heute schon Dichter beim Schreiben lachen sehn?

Danke für den köstlichen Tipp!

lg

Antwort geändert am 01.05.2020 um 15:38 Uhr

 AvaLiam (30.04.20)
ich habe mich in meiner frühen Jugend im Alter von 11-13 Jahren sehr für die Titanic interessiert und verfolge noch heute entsprechende Dokumentationen und neue Erkenntnisse.

So las ich auch mit einer gewissen Erwartung. Natürlich.

Ich habe mich von den ersten 6 Wogen mitnehmen lassen auf meer.
Die Titanic nahm Fahrt auf...
Mir gesellten sich die tapferen Musiker in den Sinn, wie sie spielten, während um sie herum über 1500 Welten zerbrachen plus den Daheimgebliebenen.

Mir rufen sich Bilder ins Gedächtnis von Menschen, die sehenden Auges in ihren Tod gingen - ganz bewusst, mit gestrafften Schultern, erhobenen Hauptes und einem klaren Blick.
Genauso wie es lauter arme Irre in mein Bild schaffen, die hektisch und panisch umherlaufen, alle wegschubsen und anrempeln, über Leichen gehen und nur den Wahnsinn als Begleiter zulassen.

Letztere Szenen sind derzeit täglich zu beobachten.
Ja, wir sitzen wohl alle im gleichen Boot.

Die Frage, die sich mir gerade stellt: WIE entscheidend sind die Klassenunterschiede DIESES Mal?

Und während ich dies schreibe, schleicht sich mein Blick zur Uhr und ich entdecke den 30.04. - JETZT wäre Tanz in den Mai.
Schon ein wenig makaber.
Musiker und Dichter - die haben wohl eine ganze Menge gemein.

Darf ich bitten? knicksende Grüße - Ava

Kommentar geändert am 30.04.2020 um 21:25 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.20:
Liebe Ava, mit dir zu tanzen, welches Vergnügen. Ich bitte die Kapelle um den "Blue Tango" und hoffe sehr, dass er dir gefällt. Wenn du wüsstest, wie viele Sohlen ich in meinem Leben durchtanzt habe. Ich stelle es mir wunderbar vor, in Buenos Aires von einer Bar in die andere zu fahren und bis zum Morgengrauen durchzutanzen.
Dein Kommentar ist ein kleines Kunstwerk. Jetzt meldet sich der Philologe in mir, der mir zuruft: "Das musst du auch begründen, Ekki!" Ich werde den Teufel tun, denn wer es nicht erfühlt, der kann es nicht erjagen..
Eine Frage interessiert mich besonders, die, wie groß die Klassenunterschiede dieses Mal sein werden. Ich fürchte, so groß, dass der Kapitalismus auf eine schwere Bewährungsprobe gestellt wird, denn wer jetzt ohne sein Verschulden in die Tiefe stürzt, wird ernsthaft gezwungen sein, über Klassenunterschiede nachzudenken, von denen er glaubte, es gebe sie nicht mehr..
Aber vergessen wir dies für einen Moment: Die Kapelle spielt gerade die Moonlight-Serenade von Glen Miller,
Grazie, Ava
Ekki

 AchterZwerg (01.05.20)
Hallo Ekki,
So wie der römische Gott Janus für den Anfang und das Ende und bei Benn und Brecht zu Recht auch für die Moderne (des 20. Jahrhunderts) steht, zeigt sein Doppelgesicht in der Jetztzeit wieder Flagge.
Er wäre als Galionsfigur nicht ungeeignet.

LG, der8.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.20:
Merci, dem stimme ich zu.. Ich hoffe, dass Janus uns weiter sein rückwärts gewandtes Gesicht leiht, damit unsere Fähigkeit wächst, kritisch in die Vergangenheit zu schauen und aus ihr zu lernen.
LG
Ekki

 harzgebirgler (09.10.20)
und wenn man dann auch noch bedenkt
wie mikroplastik meere tränkt
daß es für plankton hält der fisch
gelangt das dreckzeug auf den tisch
seines verursachers retour -
so rächt sich langsam die natur.

lg
henning

https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/mikroplastik-im-boden-der-weltmeere-lagern-bis-zu-16-millionen-tonnen-muell-a-9e1f7e3a-1b3d-4319-ba3f-2edaa683d391

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.10.20:
gracias, Henning, ich freue mich, in dir einen Kommentator zu haben, der ein Gespür für die Texte hat, die es vielleicht verdienen, aus der Versenkung geholt zu werden.
LG
Ekki
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