Wie Mareike Söderlein schläft, während der Wüstenwind ihre Balkonpflanzen bedeckt und eine Pandemie wütet

Short Story zum Thema Traum/ Träume

von  Ina_Riehl

Mareike Söderlein ist eine von jenen Menschen, die mit Träumen zu tun haben. Manchmal ärgert sie das, weil:

Träume sind Schäume!

Träume sind Verarbeitung des Erlebten – nichts weiter!

Träume sind – ach was auch immer – jedenfalls nicht das richtige Leben. Das richtige Leben, fühlt sich im Moment allerdings auch nicht richtig an. Aber, dem sei an dieser Stelle schon vorgegriffen: Mareike wird, dank des im Folgenden beschriebenen Traumes, zumindest zu dem Schluss kommen, dass das Ding mit dem Live goes on and on eine sehr hartnäckige Illusion ist, wohingegen ein Traum, so unangenehm er auch ist, mit dem Aufwachen endet. Hurra!

Vor lauter Glück, dass sie sich auf der Couch ihres Wohnzimmers befindet (es handelt sich nämlich um einen Quarantäne-Mittags-Schlaf-Traum), vor lauter Erleichterung also, dass die Vögel draußen zwitschern und die Sonne vom kondensstreifenfreien Himmel heraberstrahlt, wählt sie ihren derzeitigen Lieblingssong (Mumford Suns: I will wait for you, https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=mumford+and+sons+i+will+wait) in der Liveversion und tanzt zur Kaffeemaschine. Der Kaffee mit Zucker und einem Schuss Milch macht ein warmes, sattes Gefühl im Bauch. Wechselschritt, Wechselschritt – ohne Überschwappen steuert Mareike den für die Größe des Balkons etwas überdimensionierten Gartensessel an.

Remind:

Sie befindet sich auf einer Art Volksfest (sehr witzig!!)

Die Umsetzung der Veranstalter lässt zu wünschen übrig. Die Bühne ist ein aus Paletten zusammengenageltes Provisorium. Die Fressbuden sehen aus, als hätten sie weder teures Marketing noch modernden Messebau nötig, um sich die Gunst der Besucher zu sichern, derart selbstbewusst stehen sie einem im Weg. Interessiert Mareike im Traum sowieso nicht. Sie hat kurz vor der Mittagsruhe mit ihrem Mann ein gutgelungenes Risotto genossen.

Sie bahnt sich also träumend den Weg zur Bühne, da ihr mitgeteilt wird, dass es sich um eine politische Wahlveranstaltung handelt und sie sich als pflichtbewusste Bürger- und Wählerin mit dem Gebotenen zu befassen hat.

Mareike staunt nicht schlecht, wird ihr doch auf der Bühne als parteipolitisches Programm eine schweigende Märchen-Ikone präsentiert. Ein mit vollendeter Schönheit gesegnetes Wesen, etwas größer als ein gewöhnlicher Mensch, präsentiert sich dort: Vollständig unaufgeregt haftet ihr Bick im Ungewissen. Sie trägt ein prächtiges seidenes Barockkleid, das über und über mit Stickereien, Edelsteinen und Federn geschmückt ist. Der Moderator hält sichtlich verwehrt und seiner Sprache nicht mehr mächtig das Mikrophon vage in ihre Richtung. Sie ignoriert dies.- Steht und schweigt. Als sich das Publikum einschließlich Mareike mit der wächsernen Darbietung abgefunden hat erfolgt doch noch eine Aktion. Die Dame hebt die linke Hand, – nurmehr auf Hüfthöhe- und fächert, ohne diese Geste mit dem Blick zu kontrollieren, ihre Finger auf und wieder zu. Dabei wird die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf einen kostbaren Ring gezogen, der an der Hand der Gottgleichen funkelt. Ein Brillant von geradezu überirdischer Schönheit blitzt auf, während die langen weichen Federn, die die Fassung des Kleinodes bilden, den Unterarm der Schönen streicheln.

Mareike kann die Hilflosigkeit des Moderators förmlich in der eigenen Magengrube spüren.

Der lässt das Mikrophon, in der Gewissheit, dass weitere Äußerungen zur politischen Strategie in der nächsten Wahlperiode nicht erfolgen werden, erschöpft sinken. Einige Zuschauer applaudieren.

Mareike nicht, denn eine derart theatralische Aufführung als Politik zu verkaufen geht ihr gegen den Strich. Den gelb eingestaubten Balkontisch betrachtend, stimmt sie ihrem Traum-Ich in dieser Hinsicht rückhaltlos zu.

Aber es soll noch schlimmer kommen. Nachdem die Feder-Königin (von welcher Partei??? …Erschließt sich nicht)– abgetreten ist, rauscht ein Umbauvorhang vom Himmel und nach einigem Gescharre und Geächze, verdunstet dieser, um das Werbeszenario der nächsten Partei zu offenbaren.

Namenlose Fremd-Scham überkommt Traum-Mareike. Sie widersteht dem Impuls sich abzuwenden. Aber sie will sich ihrer Informationspflicht als verantwortungsbewusste Staatsbürgerin, ja nicht entziehen. Der billige Bratwurstdunst, der von einer naheliegenden Bude herzieht erleichtert ihr dies Unterfangen auch nicht gerade.

Drei weiss überbezogene Betten sind auf der Bühne aufgebaut.

Rechts vorne stehend, führt der Moderator ein belangloses Politgespräch mit einem adipösen Mitfünfziger in Anzug und Krawatte. Gleichzeitig präsentieren sich auf der Bühne zwei weitere Gestalten.

Das geht jetzt natürlich nur im Traum: Im linken Bett liegt nämlich der Politiker als neunjähriges schmächtiges Kind. Er ist Bettnässer, zu diesem Zeitpunkt noch leicht rothaarig und wartet mit eingezogenem Kopf auf die Schimpfe seiner überarbeiteten depressiven Mutter. Mareike kann deutlich den nassen Fleck sehen und den scharfen Geruch des Urins wahrnehmen.

Neben ihm, also in der Mitte der Bühne, steht der nun herangewachsene Politiker, als ca. achtzehnjähriger Halbstarker: Auf gepumpte Studiomuskeln, teils unvollendete Tattoos, eine Whiskyflasche in der Hand. Mareike auf dem Balkon sitzend wundert sich darüber, wie über einen Filmfehler, denn weder zu ihrer Zeit, noch in der Gegenwart trinken Jugendliche Whiskey. Soviel sie weiß mischen sie heute Wodka mit Eistee – diese Weicheier!).

Der Politiker in seinen Jahren der Testosteronüberflutung hat nicht viel zu sagen. Post stattdessen herum und nickt mit dem Kopf nach allen Richtungen ins Publikum. Tatsächlich bringt ihm das einige bestätigende Zurufe männlicher Gleichgesinnter aus dem Publikum ein.

Der Moderator bemerkt dies und ärgert sich, dass das Publikum sich um sein Interview mit dem amtierenden Politiker einen Dreck schert. Blitzschnell kombiniert er, dass das daran liegt, dass der Halbstarke sich weitgehend unbekleidet präsentiert, während sein Interviewpartner ganz offensichtlich nur langweilt.

Das muss sich ändern, denkt er und fordert den Besagten auf, sich zu entkleiden und sich in dem rechten Bett zu inszenieren.

Mareike hält den Atem an. Das wird er doch wohl nicht wagen, denkt sie im Traum oder vielmehr, soweit wird er doch jetzt nicht gehen, wo schon die Show seiner Vorgängerin so derart daneben war.

Doch! Der beleibte Mann legt die Kleider ohne jedes Anzeichen von Scham ab. Mangels Ablage, formiert er Stück für Stück der teuren Anzugsware zu einem mehr oder weniger ordentlichen Haufen auf dem Bretterboden. Dann begibt er sich zu seinem Bett. Nach kurzem Zögern -Mareike nimmt wahr, dass er hier nichts dem Zufall überlässt-positioniert er sich rittlings im Vierfüßler- Stand auf der Matratze und zeigt dem Publikum sein Hinterteil, das von Hämorrhoiden unglaublicher Größe entstellt ist. Basch! Mareike samt Publikum erstarrt in der Sekunde des Schreckens.

Umgehend stellt sie ihren Hörsinn ab, wie das ja Gottseidank träumend durchaus möglich ist und bahnt sich den Weg zurück, durch den Strom von Menschen, der sich mit aufgerissenen Mäulern der Bühne zu bewegt. Meihhhn- Gottchochmal.

Jetzt hat sie es geschafft. Sie steht vor dem Gatter des letzten Tempelelefanten. Hier ist es heiß und trocken und angenehm still. Der Elefant trägt noch Spuren einer Bemalung. Er ist nicht gut drauf. Wäre Mareike auch nicht, wenn sie an einer nur fünf Meter langen Kette am Fuß angebunden wäre und ein Angstbeißer von Wärter sie andauernd mit einer Peitsche wegschlägt, während er das Gehege reinigt. Um sich vor dem Tier zu schützen hat er ihm schon mal ein paar Leckerbissen ins Eck geschmissen. Mit denen bewirft der Elefant jetzt Touristen. Mareike guckt sich das an und träumt sich restlos verständnis- und mutlos.

Hatschi! und noch mal Hatschi, Hatschi, Hatschi. – Wer sagt denn, dass Saharastaub nicht auch was Gutes hat – Mareike ist wach!

Wiegesagt auf dem Balkon sitzend und sinnierend,- analysiert sie messerscharf, dass das indische Ende ihres Traumes durch youtube inspiriert sein muss, da sie sich am Vortag ein Video von Sadhguru reingezogen hat. (Sadhguru zu Covid19: https://www.youtube.com/watch?v=fkHTjFBkibE&list=PLjgVw-p-hPwzkvpvpVS5NOSkoq0Ttxf2-&index=168&t=0s . Unwillkürlich hat ihr Unbewusstes dazu die Elefantenszene aus den Eindrücken, einer viele Jahre zurückliegenden Asienreise, gefischt. Na sowas.

Wie immer, wenn Mareike zu dem vorläufigen Schluss kommen muss, dass sich ihr die Traumsymbole nur unzureichend erschließen, greift sie nach der Wahrheit ihres nächsten Gedankens. Der vermittelt ihr, dass sie sich jetzt, mit der von ihr prokrastinierten Aufgabe, – der Lohnsteuerjahreserklärung des Vorjahres befassen sollte, sowie weiterer, anliegender Tätigkeiten, wie zum Beispiel dem vorsichtigen Abduschen des Wüstenstaubs, der sich auf den noch zarten Balkon- Pflänzchen niedergelassen hat.

Anmerkung 1: Die im Video von Sadhguru aufgeführte Telefonnummer wird Mareike, da sie sich in einer mitteldeutschen Kleinstadt befindet, nicht anwählen müssen. Relief!

Anmerkung 2: Abba mit dem Titel: Money, Money, Money, https://www.youtube.com/watch?v=YovPb5N6kjs

Anmerkung 3: Share!


Anmerkung von Ina_Riehl:

Klar:
COVID19

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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (13.05.20)
Zwei Nachrichten könnte ich verbreiten, eine gute und eine schlechte.
Die Schlechte zuerst.
Wäre ich Mareike Söderlein, mir grauste es jeden Abend vor dem Einschlafen!
Die gute Nachricht.
Es war mir ein kurzweiliges, aber nachhaltiges Vergnügen Mareikes nächtliches Abenteuer begleiten zu können!

Herzliche Dank für eine sprühende short Story.
TT

PS. Eine Frage noch.
M.S. verwandt oder verschwägert mit M. S. ohne -lein am Ende

 Ina_Riehl meinte dazu am 05.07.20:
Eine gute Nachricht und noch eine gute Nachricht:
1. Danke fürs freundliche Lesen :)
2. Habe mich streng diszipliniert Träume solange zu lektorieren, bis sie mir gefallen - seitdem alles prima!

Viele Grüße
Ina
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