Ein Moment der Wahrheit

Erzählung zum Thema Lebensweg

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)
Wir alle leben mit gewissen Widersprüchen. Man hält gewisse Dinge für richtig, aber verhält sich manchmal genau gegenteilig.
  Und irgendwie gelingt es uns auch meist uns halt mit unseren Widersprüchlichkeiten zu arrangieren. Schließlich ist niemand perfekt und der Weg ja bekanntlich das Ziel!
    Meist ist dann irgendein Schlüsselerlebnis, welches uns klarmacht, das hier ein ernsteres Problem vorliegt und es so weitergehen kann. 

Genauso erging es auch dem jungen Rabi. Eigentlich strebte er im Hindu-sinne vollkommene Friedfertigkeit und Gelassenheit an, musste aber immer wieder frustriert feststellen, dass er im Alltag zu gelegentlichen Wutausbrüchen und Streitereien neigte.
    Aber irgendwie arrangierte er sich damit, schließlich war er ja noch recht jung und bis zur endgültigen „Erleuchtung“ noch ein längerer Weg. Aber er würde das schon schaffen, da war er sich ganz sicher.

Dann aber kam es eines Tages zwischen seiner Tante Revati, seiner Dauerrivalin, und ihm (im Beisein seines Cousins Krishna) zu einem heftigen Streit wegen einer Treppe vor dem Hause. Rabi hatte sie gefegt, aber sie war schon wieder verunreinigt. Ein leichter Wind hatte feinen Staub von einer nahen Zuckerfabrik herübergeweht.
  Aber die Tante wollte diesen Sachverhalt nicht akzeptieren:

„Du Faulpelz!“ tadelte sie weiter. „Genau wie dein Vater!“
    Wie mein Vater? Ich stieß einen gequälten Schrei aus, der mich selbst erschreckte. … Jahre schwelenden Hasses brachen jetzt wie ein Vulkan aus. Mein Blick fiel auf eine Hantel … blind vor Wut bückte ich mich … und als ich mich aufrichtete, hatte ich die Hantel wie einen Kricketschläger an einem Ende aufgehoben. Ich holte weit nach hinten aus und zielte auf Revatis Kopf.
  Da warf sich Krishna mit einem verzweifelten Satz in meine Arme. Der Bann war gebrochen, meine übermenschliche Kraft verließ mich, und die Hantel schlug mit solcher Wucht auf den Boden, dass sie dort tiefe Risse hinterließ. … Laut schluchzend rannte ich die Treppe hoch in mein Zimmer und warf mich weinend auf mein Bett.
Dieses Erlebnis ließ seine Welt zusammenbrechen:
Ich glaubte an die Gewaltlosigkeit und hatte sie meinen jungen Freunden wie ein Gandhi gepredigt. … Ich achtete sorgfältig darauf, nie eine Ameise oder einen Käfer zu zertreten. Wie konnte ich meine Hand gegen einen Menschen, ja sogar die Schwester meiner Mutter, erheben? Und wie hatte ich es fertiggebracht, diese schwere Hantel wie eine Keule über meinen Kopf zu schwingen?
Um diese Frage zu klären, schlich er in der Nacht auf die Terrasse, wo die Hantel immer noch auf dem Boden lag:
Mich bückend fasste ich die Hantel mit beiden Händen und versuchte sie mit ganzer Kraft anzuheben. Trotz aller Anstrengung gelang es mir nicht, sie auch nur einen Zentimeter vom Boden zu heben.
Für den jungen Rabi der Beweis, dass hier übernatürliche Kräfte gewirkt hatten:
„Es war eine böse Macht gewesen, welche die Hantel gehoben hatte … wie konnte ich wissen, ob diese böse Macht nicht wieder Besitz von mir ergreifen würde, mit noch tragischeren Folgen?


Anmerkung von Bluebird:

Folge 10 des  nacherzählten Lebensweges von Rabi Maharaj ... die Zitate entstammen aus seiner Autobiografie: Der Tod eines Guru

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