Die Glimpflinge

Glosse zum Thema Verwöhnt/verwöhnen

von  Terminator

Dieser Text gehört zum Projekt    Corona-Texte
Eine zu harte Quarantäne runiniert die Wirtschaft, ein zu lockerer Umgang mit dem Coronavirus führt zu mehr Infizierten und Toten. Unerbittlich stehen sich zwei Parteiungen gegenüber: die Lockdowneure und die Wirtschafteure. Beide klagen einander an, viele menschliche Lebene fahrlässig zu gefährden. Doch so oder so: entweder man minimiert die Ansteckungsrate und nimmt in Kauf, dass Existenzen zerstört werden, oder man priorisiert die Wirtschaft gegenüber der öffentlichen Gesundheit und lässt mehr Menschen erkranken und sterben. Treibt man diese Lebensrettungsmaßnahmen wiederum zu extrem, gibt es letztlich Hungertote, was das Lebensrettungsargument ad absurdum führt.

Die verbitterte Haltung auf beiden Seiten lässt auf ein ultradekadentes Mentalitätsphänomen schließen: beide haben die Anspruchshaltung, die Corona-Pandemie möge glimpflich ausgehen. Der Ultradekadente kennt keine wirklich harten Zeiten und hat gelernt, bei jeder Krise und jedem Schicksalsschlag ein Recht auf einen glimpflichen Ausgang einzufordern.

Der bloß Dekadente hofft auf einen glimpflichen Ausgang, hält aber auch einen härteren Ausgang für denknotwendig. Er wählt nach langer hedonistisch zentrierter Überlegung aus, ob er den Kuchen essen oder behalten will, ob er lieber gesundheitliche oder existenzielle Risiken in Kauf nimmt. Der Ultradekadente will den Kuchen essen und behalten; schlimme Zeiten dürfen nur angedeutet werden, aber niemals harte Realität, und wenn im Staatsfernsehen nicht schnell eine Entwarnung kommt mit der frohen Botschaft, alles sei nun wieder gut, versinkt er in Depressionen und Verschwörungstheorien; sein Umgang mit der weiter bestehenden Gefahr ist entweder ein hysterisches Leugnen oder eine neurotische Hypervigilanz.

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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (15.05.20)
Nun ja, man möge sich die Verhältnisse in Frankreich vor dem Ausbruch der französichen Revolution herbeirufen. Es standen sich kritisch auch zwei Parteien gegenüber. Wenn man nun einen Virus hinzufügt in die Variable, so entsteht daraus, dass die Adeligen viel leichter den Virus verkraften als die die eh schon notleidende arme Bevölkerung. Während also die wirtschaftlichen Grundlagen der Oberschicht weiterhin aufrechterhalten werden, werden die Grundlagen der ärmeren Schichten zerstört bzw. nach und nach die wirtschaftlichen Grundlagen der Mittelschicht. Die Geldhilfen von ToptoDown reichen nicht aus, die Wut, Verzweiflung und Existenzängste von DowntoTop zu beruhigen. Während also die ärmeren Schichten sowie die Mittelschicht aktiv werden, verbarrikadiert sich die obere Schicht und schaut den Figuren aus den Bereichen der Politik und Virologie zu, wie diese einerseits nach einer Lösung verzweifelt suchen und andererseits dabei noch das Gesicht der Hoffnung wahren zu müssen. Gegensätze in einem solchem Ausmaße zeigen offensichtlich das in der Gesellschaft einfach in der Tiefe etwas nicht stimmt. Der Konsens fehlt, dies hat nicht nur diese, sondern oft auch andere Gründe.

Ave

Kommentar geändert am 15.05.2020 um 19:49 Uhr
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