Mein Urlaub in den Wolken

Erzählung zum Thema Abenteuer

von  EkkehartMittelberg

Ich war Student und hatte noch kein Geld für Urlaubsreisen. Das ging vielen meiner Kommilitonen so, aber ich unterschied mich vermutlich von ihnen durch ein brennendes Fernweh.
Diese Sehnsucht auf Ferne erstreckte sich nicht etwa auf Ziele, die in den 50er Jahren für den kleinen Geldbeutel relativ entrückt waren, wie zum Beispiel Italien oder Spanien. Nein, es waren exotische Kontinente, in die ich am liebsten gereist wäre, etwa nach Afrika oder Südamerika.
Es half nichts, ich musste im Lande bleiben und durch fleißiges Studieren dafür sorgen, dass ich mich bald redlich nähren konnte, um dann vielleicht auch meine Abenteurreisen zu unternehmen.
Ich hatte eine Vorliebe für Fensterplätze, wie es bei romantisch veranlagten Menschen oft der Fall ist. Diese sicherte ich mir durch frühes Erscheinen in den Seminarräumen. Nicht, dass ich ein Traumtänzer gewesen wäre, aber ich hatte ein gesundes Empfinden für die Notwendigkeit abzuschalten. Dann blickte ich durchs Fenster auf die Formationen der Wolken und begab mich auf kostenfreie Reisen. Meine Lieblingsziele waren Gebirgstouren in die Anden oder auf den Kilimandscharo. Wie wundervoll waren diese Gebirge gefaltet, wir tief ihre Schluchten, wie steil ihre Gipfel und wie weiß der Schnee auf ihren Höhen. Wenn die Abendsonne ihre letzen Strahlen auf die Wolken warf, schimmerten die Spitzen der Berge in einem feinen Rosa.
Meine Mittel reichten, immer wieder neue Regionen aufzusuchen, die die Formationen ihrer Berge aufregend schnell änderten und an manchen Tagen hatte die Gletscher in der Ferne sogar einen grünlichen Farbton.
Das Wirtschaftswunder der 50er Jahre setzte sich in den 60er Jahren fort. Ich machte mein Examen und verdiente bald so gut, dass ich die Traumziele meiner Jugend bereisen konnte. Sie fesselten auch in der Realität meine Einbildungskraft. Aber so schön und magisch vielfältig  wie bei meinen Reisen in die Wolken habe ich sie nicht erlebt.
Ich arbeite auch heute noch an einem Fensterplatz und steige öfter in den Flieger meiner Fantasie. Sie bietet mir den reinsten Schnee auf dem Gipfel des Kilimandscharo.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (20.05.20)
Das mit dem Fensterplatz an der Uni kann ich seehr gut nachvollziehen. Natürlich wollte man nicht unaufmerksam sein. Aber ein Fluchtpunkt, und wenn er nur optisch war, hat doch sehr geholfen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.05.20:
Danke, ja, es war damals auch eine Flucht in die Fantasie, aber sie hat meiner Seele nicht geschadet.

 monalisa (20.05.20)
Lieber Ekki, diese Wolkenreisen haben als höchst wünschenswerten Nebeneffekt, dass sie den ökologischen Fussabdruck überhaupt nicht belasten. Reisebeschränkungen kann man auch getrost außen vor lassen!
Und wie singt André Heller so treffend: "Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo!
Liebe Grüße
mona

Kommentar geändert am 20.05.2020 um 07:31 Uhr

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 20.05.20:
Merci, Mona, meine Umweltbewusstsein war damals nicht entwickelt. Heute könnte man Fantasiereisen als umweltschonend proagieren. :) Tatsächlich finden die wahren Abenteuer im Kopf statt. Die Abenteuer, die ich später in der Wirklichkeit erlebt habe, wären durch meine antizipierendenKopfabenteuer nicht möglich gewesen.
Liebe Grüße
Ekki

 Dieter_Rotmund (20.05.20)
kommilitonen -> Kommilitonen
Festerplatz -> Fensterplatz

Morgengrüße,

DR

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 20.05.20:
Danke für die Hinweise, Dieter. Mein Fensterplatz war ein fester Platz.

 ViktorVanHynthersin (20.05.20)
Lieber Ekki,
ich nehme an, die Anregungen zu den "Reisen" kamen u.a. aus Büchern. Insofern wird jede Buchhandlung zum Reisebüro
Herzlichst
Viktor

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 20.05.20:
Vielen Dank, Viktor. das siehst du ganz richtig. Mein Fernweh ließ mich nach den entsprechenden Büchern greifen und diese wiederum befeuerten das Fernweh.
Herzlichst
Ekki

 Borek (20.05.20)
Lieber Ekki
Es erinnert an meine Träume.. Die Lehrer waren entlassen, denn
jeder Lehrer war Nazi,
Eine unerfahrene Junglehrerin konnte mich nicht fesseln, und so
zeichnete ich Fabriken auf deren Dach mein Name stand.
Und so erfüllte ich auch später meinen Traum mit Geschäften.
Die Reisen durch die Weiten Europas waren berufsbedingt
mit Spesenkonto.
Ja und so tauchen wieder Erinnerungen auf , die ich gern
gelesen habe Liebe Grüße Borek

Ps.. Der Lehrerin meiner träumenden Schulstunde, habe ich ihre
Tochter zur Flucht aus der DDR verholfen, ohne es zu wissen.

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 20.05.20:
Gracias, Borek. Wie schön, wenn Jugendfantasien zum späteren Beruf sich erfüllen. Wie ich dich kenne, kam der von dir erwirtschaftete Mehrwert zum großen Teil der Gesellschaft zugute.
Vielleicht magst du noch schreiben, wie du der Tochter deiner Lehrerin unwissentlich zur Flucht verholfen hast.
LG
Ekki
Stelzie (55)
(20.05.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.05.20:
Merci, Kerstin, vielleicht kennst du eines der schönsten romantischen Gedichte von Joseph von Eichendorff, das seinen Ausgang am Fenster hat:

Sehnsucht.

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab' ich mir heimlich gedacht:
Ach wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!

Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die über'm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht,
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.

Liebe Grüße
Ekki
Sätzer (77)
(20.05.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.05.20:
danke, Uwe. Unsere Generation hat auch entbehrungsreiche Jahre gekannt. Aber sie war durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit besonders privilegiert und darf sich deshalb glücklich schätzen.
LG
Ekki

 AZU20 (20.05.20)
Das mit dem Fensterplatrz ging mir ähnlich. Reisen gehört heute zum Repertoire und wird durch Corona leider sehr gestört. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.05.20:
Merci, Armin. Wir werden bald Schlimmeres erleben, als dass wir nur noch beschränkt reisen können. In massiver wirtschaftlicher Rezession ist unsere Fantasie gefragt, die allein uns über materielle Entbehrungen hinweghelfen kann.
LG
Ekki
wa Bash (47)
(20.05.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.05.20:
Danke, ich freue mich, dass es dir gefällt, wa Bash.

 Didi.Costaire (20.05.20)
Hallo Ekki,
so ein Fensterplatz ist nicht schlecht in diesen eher reiseunfreundlichen Zeiten. Eine hübsche Anekdote.
Schöne Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.05.20:
Merci, Dirk, du hast recht. Die reiseunfreundliche Zeit kommt der Anekdote zugute. ;)

 TassoTuwas (21.05.20)
Hallo Ekki,
viele Menschen sind in ihrem näheren Umfeld mit sich und der Welt zufrieden, für die, die es in die Ferne zieht, sind die Wolken des Sinnbild der grenzenlosen Freiheit.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 21.05.20:
Vielen Dank, Tasso, ja, das sind die Wolkien und sie sind auch ein Symbol für spielende Fantasie.
Herzliche Grüße
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(24.05.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.05.20:
grazie, Sigi, wer sich mitder Fantasie verbündet, ist nirgends ganz verloren.
Herzliche Grüße
Ekki

 AvaLiam (06.06.20)
Lieber Ekki,

nie machte ich mir über meine Motive, am Fenster zu sitzen Gedanken.
Es gehörte einfach zu mir - so wie die Motten das Licht und so weiter...
Mit den Zeilen deiner Erzählung betrachtet halte ich es jedoch für sehr gut möglich, dass das Gedanken schweifen lassen beim Blick nach draußen und Erholung und Ruhe im Davonfliegen und Träumen eine starke Motivation waren, immer nahe am Fenster zu sein.
So kam mir auch gerade erst bewusst in den Sinn, wie oft ich nach draußen blicke, wenn ich hier, an meinem Schreibtisch sitze und die Tasten quäle.
Mein Blick verfängt sich dann oft in den Baumkronen, wie sie sich wiegen im Wind und im Sturm und manchmal zähle ich die Sekunden, die die Wolken vom linken zum rechten Fensterrahmen brauchen.
Ab und an, wenn ein Flugzeug meinen Blick und meine Gedanken kreuzt, dann träume ich von der Welt und fremden Orten und beneide die unsichtbaren Gesichter.

Ja, vielleicht irgendwann habe auch ich einen Fensterplatz im Flugzeug und kann die Welt sehen und träumen.

Schön, wie ich in deinen Worten schon ein Stück vorausfliegen konnte.
Liebe Grüße - Andrea

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.06.20:
Liebe Andrea, wie schön passt das alles zusammen: Fenster-Träume-Baumkronen-Wolken-fliegen. Wenn man sich reinen Herzens die Hand reicht, kann man es gemeinsam, ohne abzustürzen.
Freie Grüße
Ekki

 Cathleen (07.06.20)
- Sie fesselten auch in der Realität meine Einbildungskraft. Aber so schön und magisch vielfältig wie bei meinen Reisen in die Wolken habe ich sie nicht erlebt. -

Ja, das kann ich mir vorstellen! Aber immerhin konntest du sie besuchen und musst dein Weh nicht bis ans Ende der Tage mit dir herumtragen. :)
LG Cathleen

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.06.20:
Merci, Cathleen, dem stimme ich gerne zu.
LG
Ekki

 harzgebirgler (20.10.20)
...und kaum wer hätte jemals wohl gedacht
daß auf dem gipfel jüngst ein brand entfacht
weltweites erstaunen weil der schnee
seit hemingway komplett fast sagt' : "ADE!"

lg
henning

https://www.tagesschau.de/ausland/kilimandscharo-brand-101.html

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.10.20:
Vielen Dank, Henning. Schade, dass mit dem Schnee auch die Romantik schmilzt.
LG
Ekki
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