Atheistische Glaubensformeln

Kurzprosa zum Thema Eitelkeit

von  Terminator

Im Hochnihilismus, dem Atheismus der Renaissance, später interpretiert als Humanismus, hieß die Glaubensformel: Ich bin einzigartig. Doch mit diesem Ich war nicht jeder gemeint, sondern das große Künstlergenie, der absolute Monarch, der vortreffliche Mensch.

Im konservativen Nihilismus, dem Atheismus der Neuzeit, waren wenige einzigartig und der Rest waren Massenmenschen. Der soziale Aufstieg in liberal-kapitalistischen Gesellschaften war der Weg zur Klasse der Einzigartigen. Schließlich begerhrte ein ganzer Stand auf (das Bürgertum), um am Einzigartigkeitswahn partizipieren zu können.

Im sozialistischen Nihilismus, dem Atheismus der Moderne, heißt es: Jeder ist einzigartig. Dadurch entwertet sich der Narzissmus des empirischen Ich und der Atheismus verliert seinen Ethos. Einzigartig zu werden ist nicht mehr erstrebenswert, da jeder automatisch als einzigartig gilt.

Ich bin einzigartig, das ist der Glaubenssatz der Ich-Religion, des Atheismus. Gottverneinung bedeutet Selbstbejahung bis zur Selbstvergottung. Doch wenn Selbstvergottung durch Selbstverwirklichung durch die Nivellierung der Einzigartigkeit ad absurdum geführt wird, entsteht ein nihilistischer Pantheismus (bzw. Pan-Atheismus), in dem das einzigartige Subjekt (Ich) durch das einzigartige Objekt abgelöst wird (Lamborghini, Iphone usw).


Anmerkung von Terminator:

Nietzsche ahnte Freuds Psychoanalyse voraus, er hielt Dostojewskij für, wie man im Nachhinein sagen kann, einen Wegbereiter Freuds. Die Aufdeckung des Ressentiments, der Sklavenmoral, richtet sich gegen eine bestimmte Religion, aber gegen welche? Seit Kopernikus und Galilei, spätestens seit den Biologen des 19. Jahrhunderts ist das magische Weltbild des Christentums nicht bloß widerlegt. Klugen Geistern gilt es schon in der Renaissance als lächerlich.

Nietzsches toter Gott heißt Ich. Und „wir“ (seine Zeitgenossen) sind seine Mörder: das bedeutet, dass die Psychologie dabei ist, das Selbstbild des Ichs zu widerlegen. Alle Motive, die ich mir zuschreibe, gelten nicht. Ich betrüge mich ständig selbst. Mein Unter- und Unbewusstes spielt die Musik, ich tanze nur. Das große Ich, das liberale freiheitliche selbstbestimmte Individuum ist tot. Und wir haben die Ich-Religion, den Atheismus/Szientismus so weit getrieben, dass wir am Ende deren Gott, das Ich, zerstörten.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (25.05.20)
Endlich blickt hier mal einer kritisch auf den Atheismus. LG Gina

 Terminator meinte dazu am 25.05.20:
Es war mir schon immer klar, dass der Atheismus nicht nur verneint: auf bloßer Negation ist keine Weltanschauung aufzubauen. Der Atheismus verneint Gott, aber was bejaht er? Im Nachhinein ist es naheliegend, doch ich habe 10 Jahre für die Erkenntnis gebraucht.

 eiskimo (25.05.20)
Selbstbejahung halte ich für gut. Daraus muss ja nicht zwangsläufig Selbstvergottung folgen. Ein bisschen Selbstkritik sollte im Gepäck sein.
vG
Eiskimo

 Terminator antwortete darauf am 25.05.20:
Diese Atheistische Replik
Selbstbejahung halte ich für gut. Daraus muss ja nicht zwangsläufig Selbstvergottung folgen. Ein bisschen Selbstkritik sollte im Gepäck sein.
lässt sich auch ins Theistische übersetzen:

Grundsätzlich glaube ich an Gott. Daraus muss ja nicht zwangsläufig religiöse Intoleranz folgen. Ein bisschen Weltoffenheit sollte im Gepäck sein.

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 25.05.20:
Jajaja!

 eiskimo äußerte darauf am 25.05.20:
... das hätte auch meinen Segen!

 Augustus (26.05.20)
Erkenntnisse von solchem Ausmaße wie hier sind einfach herrlich. Der Gewinn des Lebens liegt m.E. genau in solchen geistigen Entdeckungen.

Ave

 Terminator ergänzte dazu am 26.05.20:
Das ist in der Tat ein geistiges Erdbeben. Das Wesen der Neuzeit ab 1350 und der Atheismus als Religion sind endlich aufgedeckt. Die Renaissance - das verstehe ich erst jetzt - ist die Geburt der Gottheit ICH. Descartes ist der Augustinus der Ich-Religion. Der Deutsche Idealismus ist ihre Hochtheologie...

Der Atheismus/Szientismus gilt heute so absolut, dass es sehr voraussetzungsreich ist, die szientistische Brille ablegen zu können und unsere eigene Kultur objektiv zu betrachten. Der Anfang ist gemacht, es werden weitere Erkenntnisse folgen.
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