Christen sind auch nur Menschen

Essay zum Thema Wirklichkeit

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)

Du brauchst dich nicht zu fürchten vor der Pest, die im Finstern schleicht, noch vor der Seuche, die wütet am Mittag.  Fallen auch tausend an deiner Seite, dir zur Rechten zehnmal tausend, so wird es dich nicht treffen. (Psalm 91, 6-8)
Bekanntlicherweise ist es ja in der letzten Woche zu einem Coronavirusausbruch unter den Besuchern eines baptistischen Gottesdienstes in Frankfurt (am Main) gekommen. Ein bedauerlicher Vorfall, aber auch ein Hinweis, wie gefährlich das Virus doch ist und es auf keinen Fall unterschätzt werden sollte.
  Ein wirklichen Vorwurf ist jenen Christen aber vermutlich nicht zu machen, da sie sich wohl im Rahmen gesetzlicher Vorgaben bewegt haben. Es besteht halt immer ein gewisses Risiko, wenn sich viele Menschen in einem Raum oder auch im Freien treffen. Und manchmal geht es dann  auch schief!

Die besondere Brisanz des Vorfalls liegt aber natürlich in ihrer spirituellen Bedeutung. Da treffen sich also Christen unter coronamäßigen  Vorgaben, also nicht etwa unter dreister Mißachtung aktueller behördlicher Anordnungen, um den allmächtigen Gott zu loben und zu ehren. Und der schützt sie nicht etwa vor dem heimtückischen Feind, sondern lässt das Coronavirus gewähren, trotz so mancher biblischer Verheissungen.
    Man muss nicht allzu phantasiebegabt sein, um sich ein Geschocktsein in gewissen christlichen Kreisen vorstellen zu können. „Herr, wieso hast du uns (bzw. sie) denn nicht bewahrt vor dem Bösen?“
    Und da ist natürlich auch die Schar derjenigen, die die Antwort darauf immer schon gewusst haben wollen und sie jetzt auch noch einmal genüsslich-schadenfroh verkünden: „Weil es Ihn gar nicht gibt, Euren lieben Herrn und Heiland, ihr Deppen! Braucht ihr noch mehr Beweise?“
   
Aber ist die Sache wirklich so einfach? Oder liegt hier vielleicht - und zwar sowohl bei manchen Christen als auch etlichen Atheisten - eine falsche Erwartungshaltung oder ein zu naives Gottesbild vor? Vielleicht lautet ja die göttliche Lektion: „Christen sind, wie alle anderen Menschen auch, den natürlichen Bedingungen und Widrigkeiten des Lebens ausgesetzt! Und besitzen keinen Corona-Freifahrtschein!“
  Heißt das jetzt für Christen, sich besser nicht mehr in Kirchen oder sonstwie zu treffen? Würde ich so nicht sagen wollen. Solange die behördlichen Vorgaben beachtet werden, ist das Ok. Aber sie sollten sich dabei bewusst sein, dass sie nicht automatisch geschützt sind, sondern sich einem gewissen Risiko aussetzen und es - wie in Frankfurt - auch mal schiefgehen kann.

Aber um jetzt keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen. Ich bin sehr wohl der Ansicht, dass der Herr die Seinen zu leiten und zu schützen weiß. Uns in besonderer Weise nahe ist. Jedenfalls ist es das, was ich seit nunmehr 35 Jahren erlebe.
    Aber wenn dann mal nicht so läuft wie erwartet oder erhofft, so werfe ich nicht gleich die Flinte ins Korn, sondern frage mich, was der Herr mir damit möglicherweise sagen möchte. Manchmal ist es vielleicht auch nur der Hinweis, in Zukunft etwas vorsichtiger sein zu sollen. Christen - wenn auch begnadigt und begnadet - sind halt  auch nur Menschen!

Schließen möchte ich diesen kleinen Essay mit einem Trostwort für eben jene Frankfurter Christen, die es da getroffen hat:

Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach Seinem Vorsatz berufen sind. (Römer 8,28)
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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 loslosch (25.05.20)
Jesaja (55,8.9):„Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR. Denn wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken."

keine überprüfbare aussage, gegen jedwede widerlegung immun.

 Bluebird meinte dazu am 25.05.20:
Einer meiner Lieblingsverse :)

 Graeculus antwortete darauf am 25.05.20:
loslosch bringt es auf den Punkt: Durch diese Art des Denkens (Glaubens) ist jede Art von Überprüfung ausgeschlossen. Was immer passiert - und wenn einen mitten im Beten der Schlag trifft -, es stellt den Glauben nicht in Frage. Freilich bekommen dadurch Aussagen wie "Gott hilft uns", "wir können auf Gott vetrauen" usw. den Geruch der Sinnlosigkeit, denn was für eine Hilfe ist das, wenn er uns in die Hand unserer Feinde fallen läßt?
Da müssen dann halt "Prüfung" und "Strafe" her. Alles ist möglich, jedes denkbare Ereignis ist schon von vornherein ins Weltbild eingebaut, nur an Gott darf nicht gezweifelt werden.

Hintergrund:
Es geht beim Glauben nicht um den Inhalt, sondern um das Glauben als solches, um die Kraft von Mantras, um eine Art Selbstbeschwörung.
Einem Gläubigen, der seinen Glauben verliert, kommt gleichsam sein Skelett abhanden. Das macht die Kraft des Glaubens aus, nicht die reale Einwirkung einer transzendenten Macht.

Manchmal denke ich, man sollte ihnen ihre Mantras lassen - sie brauchen sie, sie brauchen sie, um morgens den Mut zum Aufstehen zu finden. Ich weiß nicht, ob die Idee der Aufklärung nicht ihren Sinn verliert, wenn man Menschen dadurch die Lebensgrundlage nimmt. Die besteht ja oft in einer Lebenslüge.
Aha (53) schrieb daraufhin am 25.05.20:
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 loslosch äußerte darauf am 25.05.20:
"... wie die Aussage Gottes".

jesaja (= geholfen hat JHWH) spricht also mit der stimme gottes.

soll das eine missionierung durch die hintertür werden?

 Dieter_Rotmund (25.05.20)
Medias in res: Einen Vorwurf kann man dieses Menschen sehr wohl machen. Ich finde es extrem rücksichtslos und selbstgezogen. Mir tun die normalen Frankfurter, die jetzt darunter zu leiden haben, leid. Mögen die Baptisten in der Hölle schmoren auf ewiglich! (Germanen 5, Spruch 23)

Zum Nachlesen:
https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/frankfurt-wie-eine-glaubensgemeinschaft-zum-corona-hotspot-wurde-16783837.html

 Graeculus ergänzte dazu am 25.05.20:
Du brauchst dich nicht zu fürchten vor der Pest, die im Finstern schleicht, noch vor der Seuche, die wütet am Mittag. Fallen auch tausend an deiner Seite, dir zur Rechten zehnmal tausend, so wird es dich nicht treffen. (Psalm 91, 6-8)
Darauf haben sie sich verlassen, die bibeltreuen Christen. Ja, wenn man sich nichtmal mehr auf die Bibel verlassen kann ...
Aha (53) meinte dazu am 25.05.20:
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 Dieter_Rotmund meinte dazu am 25.05.20:
Oh ja, dass große rote Buchstaben verwendet wurden, das ändert natürlich alles! Und ob nun die Krankheit aus den Familien in den Tempel oder aus dem Tempeln in die Familien getragen wurde - ein Riesen-Unterschied!!! Wer die Evangelikalen kennt so wie ich, weiss, das Abstand und Distanz für die schon immer ein Fremdwort gewesen ist und dass fast schon besessen gesungen (=superspreading) wird.

Der Kollege von der FAZ mutmaßt oder spekuliert übrigens nicht (so wie ich gerade), der Artikel ist so gesehen sicherlich nicht Fake News. Ich will über die Evangelikalen gar nicht diskutieren, nur diesen Artikel wollte ich online stellen, mehr muss man dazu nicht sagen.

Antwort geändert am 25.05.2020 um 16:59 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 25.05.20:
Nehmen wir einmal zu ihren Gunsten an, daß sie alles korrekt gemacht haben. Das verschärft ja nur das Problem: das Problem vom Sinn des Betens, wenn man sich beim Beten eine Krankheit einfängt.

Es gab übrigens im Elsaß einen weit dramatischeren Fall: einen evangelikalen Großgottesdienst, der als Ursprung der Verseuchung des Elsaß (wo es besonders schlimm zuging) identifiziert werden konnte.

Da kann ich nur hoffen, daß die Entschiedenen Christen (EC), die in unserem Dorf eine Tagungsstätte unterhalten, das Beten bleiben lassen oder es ins stille Kämmerlein verlagern.

Bluebird hat das schon verstanden: Es ist eine verschärfte Variante des alten Theodizee-Problems, daß Gottes Schäfchen nämlich nicht nur trotz des Betens Leid erfahren, sondern sogar beim Beten.
Aha (53) meinte dazu am 25.05.20:
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 LotharAtzert meinte dazu am 25.05.20:
Gott ist ein Kammerjäger; das hab ich schon immer vermutet.
Aha (53) meinte dazu am 25.05.20:
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 Regina (25.05.20)
Das Beste, was die Baptisten haben, sind ihre schmissigen Gospelsongs. Die verbreiten eine optimistische Stimmung, was psychotherapeutisch wirksam sein kann. Bei akuter Infektionsgefahr greift das nicht oder zu langsam. Ansonsten können die nicht oder nur selten heilen, allenfalls verdrängen. Zu glauben, als Sektenmitglied sei man automatisch vor aller Unbill geschützt, ist naiv. LG Gina

 Graeculus meinte dazu am 25.05.20:
Die Pointe liegt nicht darin, daß (mindestens) 107 Christen sich infiziert haben, sondern daß sie sich beim Gottesdienst infiziert haben. Ja, wenn Gottesdienst und Beten nicht helfen ... was wird dann aus dem Glauben?

Wir wissen noch nicht, welche Folgen der Vorfall in Hessen haben wird. Aber im Elsaß hatte ein evangelikaler Großgottesdienst dazu geführt, daß das ganze Elsaß eine selbst für Frankreich überdurchschnittlich hohe Infektionsrate hatte. Denn natürlich haben die Gläubigen viele andere Leute angesteckt.

Die Hypothese, daß Gott uns auf diese Weise (durch das Sterben von Menschen!) warnen möchte, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein, finde ich süß. Ein wahrer Vater!

Antwort geändert am 25.05.2020 um 13:57 Uhr

 Regina meinte dazu am 25.05.20:
Zur Ansteckungsreduzierung haben wir nur die Vermeidung von großen Zusammenkünften und Enge, kein sicheres Heilmittel, auch kein geistiges. Dass du den Vorfall als Indiz für deine atheistischen Thesen vorbringst, war zu erwarten, überzeugt in dieser Form aber auch nicht. LG Gina

 Graeculus meinte dazu am 25.05.20:
Na, wenn Beten kein sicheres Heilmittel ist ... sollte man das mal feststellen.

 Graeculus meinte dazu am 25.05.20:
P.S.: Du setzt gerne Atheismus mit Materialismus gleich. Aber ich bin kein Materialist.

 LotharAtzert meinte dazu am 25.05.20:
Graeculus, du mußt natürlich diese unsere jämmerliche Existenz aufblasen, da ja danach nichts mehr kommt.
Also wenn für mich die Zeit gekommen ist, und sei es beim Beten, so ist das eben so. Nichtsdestotrotz bin auch ich für die Einhaltung des Abstandsgebotes - auch im Geiste übrigens

Heute morgen war ich beim Zahnarzt. "Nehmen Sie einen Moment im Wartezimmer Platz. Falls 2 Personen drin sitzen, (Miniwarteraum), so setzen Sie sich hier in den Flur".
Ich war aber der einzige. Gleich drauf kommt ein Mann rein und danach eine Mutter mit Kind. Dieses schmiegte sich fast an den Mann, die Mutter zog es nicht zurück, zog ihrem Sohn lediglich in aller gebotenen Langsamkeit einen Mundschutz an.
So sieht das in der Realität aus. Aber die böhse Religion gibt natürlich mehr her. ...

 Graeculus meinte dazu am 25.05.20:
Guckst du oben. Da schreibe ich, daß Religion hilft. Daß jede Religion hilft, weil es der feste Glaube an etwas (Höheres) ist, das hilft, nicht irgendein spezifischer Inhalt - nichtmal der dualistische Gedanke von Dualismus vs. Non-Dualismus. Deshalb bleibt Bluebird stabil, deshalb bleibst du stabil, obwohl euer Glaube ein ganz anderer ist.

Es ist der Preis, den man dafür bezahlt, was mich daran stört: das Aufgeben des kritischen Denkens, das sacrificium intellectūs. Das verlangt die Philosophie nicht - selbst wenn auch sie ihren Preis hat, daß man nämlich für sich selbst verantwortlich ist und man sich nur selbst retten kann, kein höheres Wesen.

"Religion ist Metaphysik fürs Volk." (Schopenhauer) "Christentum ist Platonismus fürs Volk." (Nietzsche)

(Beide waren übrigens - dies an Regina - Atheisten, doch keine Materialisten.)

 LotharAtzert meinte dazu am 25.05.20:
Auch ich möchte mal differenzieren: ich verteidige Religionen nur, weil es ihre Vertreter (nicht die Kirche, sondern Leute wie Bluebird) bitter nötig haben, da sie sich unklar ausdrücken und diese Naivität rührt meine Beschützerinstinkte.
Ich selbst rufe den Erlöser Samantabhadra an und am Ede der Praxis löst sich die Visualisierung in Licht auf, das mit mir untrennbar eins wird und der Verdienst aus dieser Praxis wird an alle Wesen ohne Ausnahme verschenkt. Samantabhadra ist kein Gott, sondern der ungeborene, unerschaffenen Dharmakayabuddha.
(Vajrasattva - das "Diamantwesen" ist der Samboghakayabudda … na gut)

Hab das mal eben in Spirit-Wiki gefunden: Er ist kein farbiges Wesen mit Augen sondern seit den Anfängen die Einheit von Bewusstheit und Leere, die Einheit von Erscheinungen und Leere, die Natur des Geistes, natürliche höchste Klarheit mit unablässigem Mitgefühl.

Antwort geändert am 25.05.2020 um 15:44 Uhr
Aha (53) meinte dazu am 25.05.20:
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 Graeculus meinte dazu am 25.05.20:
Das, was wir sind, weiß ich genau.
Wir alle haben unsern Sparren,
Doch sagen tun es nur die Narren.
Der Weise schweigt.
(Wilhelm Busch)

 Regina meinte dazu am 26.05.20:
Selber denken ist nicht verboten, aber man muss erst einmal ein erleuchtetes Gehirn haben, damit man nicht mehr mit dem Körper denkt, der der Umnachtung angehört. Mit dem Ego denken führt zu keinem befriedigenden Ergebnis.
Warum haben sie sich angesteckt?
vllt. stimmt an ihrer Religion was nicht,
ihr Gott ist falsch oder
sie machen was falsch oder
sie haben den Sinn der Krankheit nicht kapiert oder
Gott will nicht, dass sie hier Extrawurst spielen oder
er kümmert sich um das Seelenheil, nicht um paar Viren oder
sie sollten konvertieren.

 Regina meinte dazu am 27.05.20:
Im übrigen: nur Elvis hat die Gospels richtig gesungen, mit der erforderlichen Demut, Liebe und Musikalität. Einige seiner Aufführungen waren kraftvolle Heilmusik, aber da sprechen wir erst einmal vom Seelenheil.
Aha (53)
(25.05.20)
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 Bluebird meinte dazu am 25.05.20:
Danke :)
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