Warum ist der Szientismus die Ich-Religion?

Epigramm zum Thema Verfremdung

von  Terminator

Die Antwort gibt der große Theologe des Szientismus, Descartes: Ich kann mich über alles täuschen, aber nicht darüber, dass ich mich täuschen kann. Sich zu täuschen, ist ein Akt des Denkens. Eins weiß ich also mit Sicherheit: Ich denke. Also bin ich.

Was ist das für eine Art des Denkens? Es handelt sich um analytisches, wissenschaftliches Denken. Es gibt keine Universalien/Allgemeinbegriffe, von denen deduziert werden kann. Das Denken muss durch sich selbst zur Wahrheit finden und durch induktive Erkenntnismethoden foranschreiten. Dieses Paradigma ist der Szientismus.

Da nur das Sein des denkenden Ich sicher ist, ist das Ich absolut: das Ich ist Gott. Einen Gott außerhalb seiner Selbst zu verneinen ist Atheismus. Da das Paradigma des wissenschaftlichen Denkens ein Fortschreiten der Erkenntnis ist, überträgt sich der Fortschrittsgedanke auf die gesamte Weltanschauung. Daher kommt die Evolutionstheorie in der Lebenswissenschaft und der technologische Fortschritt als angewandtes Fortschrittsdenken.

Die begrifflich höchste Wissenschaftsphilosophie, Fichtes Wissenschaftslehre (1794), gründet auf dem Satz „Ich=Ich“. Seit Descartes steht das erkennende Subjekt im Zentrum des wissenschaftlichen Weltbildes. Zu den konkreten einzelnen erkennenden Subjekten kommen wir noch zurück. Descartes geht als barocker Mathematiker davon aus, dass wir die Welt naiv-realistisch wahrnehmen und durch den Verstand erkennen können (Rationalismus R0). Kants Kritizismus reflektiert das menschliche Erkenntnisvermögen, um Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlichen Erkennens zu erkennen (R1: Reflexion). Hegel reflektiert das Erkennen des Erkennens (R2: Reflexion der Reflexion). Wohin man schaut, überall verhandelt man das Verhältnis zwischen dem Subjekt (Ich) und dem Erkennen (Wissenschaft).

Locke geht als Empirist davon aus, dass wir die Welt naiv-realistisch wahrnehmen und dadurch erkennen können, wobei der Verstand die Erkenntnis nicht erst ermöglicht, sondern hinterher ordnet, so dass wir keine einzelnen Erkenntnisinhalte, sondern eine systematisierte Vorstellung von der Welt im Kopf haben (Empirismus E0). Hume reflektiert als skeptischer Empirist die Rolle des Verstandes und der Sinne bei der Welterkenntnis und stellt die Möglichkeit von System und Wissenschaft in Frage (E1: Reflexion). Berkeley geht den Weg des Empirismus konsequent zu Ende bis zum Satz „Sein ist Wahrgenommenwerden“, womit er im subjektiven Idealismus/Solipsismus landet (E2). Rationalismus und Empirismus, beide auf die Spitze getrieben, finden die Quelle aller Erkenntnis im Ich (Hegel im denkenden, Berkeley im wahrnehmenden Subjekt). Die Erkenntnistheorie der Neuzeit führt immer zurück zum Ich.

Und nun zu den einzelnen erkennenden Subjekten; wer mich endlich verstanden hat, genießt und schweigt: Die Temperatur misst man in Kelvin (bzw. Grad Celsius, Grad Fahrenheit usw.), die Energie misst man in Joule, die elektrische Spannung in Volt, die magnetische Flussdichte in Tesla. Lord Kelvin (1824-1907) war ein britischer Physiker, James Joule (1818-1889) war ein britischer Physiker usw. usf

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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (27.05.20)
Einen Gott außerhalb seiner Selbst zu verneinen ist Atheismus
Prägnant ausgedrückt.
Ich frage aber, wenn der Atheist jegliche Gottheit und nicht nur den außerhalb verneint, ist der Atheist nicht selbst miteinbegriffen oder täuscht er sich diesbezüglich?

 Augustus meinte dazu am 27.05.20:
Fortführend meinen o.g. Kommentar wäre es doch so, dass der Gläubige (Christ bspw.) sein Ich innerhalb verneint, da es im Gott außerhalb aufgeht. Der Atheist dagegen verneint Gott außerhalb und sein Ich innerhalb. Es wäre allerdings möglich denjenigen auf den diese Haltung passt auch als Nihilisten zu bezeichnen, um eine Abgrenzung zum Atheisten zu schaffen, der wiederum dann doch bloß an sein Ich innerhalb glaubt und an keinen Gott außerhalb.

Ave

 Terminator antwortete darauf am 27.05.20:
Von seinem Ich weiß man, dass es nicht Gott ist. Das weiß sogar der Solipsist, indem er feststellen muss, dass er nicht allmächtig ist. Darum ist die Vergottung des Ich gottlos, atheistisch.

Da der Atheist in der Regel kein Solipsist ist, hat er einen Bezug zur Außenwelt. Ein Bezug zur Außenwelt, in der es keinen Gott gibt, ist Nihilismus, denn man steht dem Nichts (der Vergänglichkeit, der Sinnlosigkeit) gegenüber.

Atheismus ist Nihilismus. Purer Nihilismus, auch ohne Ich-Religion, ist das, was nach Nietzsche, der Psychoanalyse und Emil Cioran in die Welt gekommen ist: es gibt keinen Gott und das Ich ist auch nichts. Deshalb verwirft der absolute Nihilist Cioran den Suizid: man ist schon im Nichts, mehr Nichts gibt es auch nach dem Tod nicht.
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