Kinder

Glosse zum Thema Kinder/ Kindheit

von  Graeculus

Wer Kinder bekommt, hat natürlich – vorausgesetzt, er tut es absichtlich – dabei seine Erwartungen. Ein kluger, lebenserfahrener Mensch weiß selbstverständlich, was es mit Erwartungen auf sich hat. Aber im Falle von Kindern ist es dann zu spät. Man hat sich gegen ein anderes Leben entschieden, gegen das Prinzip „schöne Frauen – schnelle Autos – dickes Konto“, und bekommt nie mehr die Gelegenheit zu überprüfen, ob schöne Frauen, schnelle Autos einerseits und dickes Konto andererseits wirklich zusammenpassen. Stattdessen hat man: schreiende Kinder, schlaflose Nächte sowie ein Konto, dessen Bestand sich langsam, aber sicher in Richtung Hersteller von Kinder-Bedarf verlagert.

Am Kontostand ändert sich auch nichts Grundsätzliches, wenn die Kinder nicht mehr so viel schreien und man nachts wieder besser schlafen kann. Die Pampers-Hersteller haben bis dahin ihren Reibach gemacht, und die Produzenten von Markenklamotten treten beinahe nahtlos an ihre Stelle. Aber gemach: ein bißchen Freude hat man doch auch von Kindern, oder? Sie schauen so niedlich drein und lächeln so rührend, wenn sie eine Taschengelderhöhung oder Süßigkeiten einfordern. Jedenfalls so lange, bis man ablehnt. Dann allerdings ... frage nicht nach Sonnenschein. Der Begriff „Quengelregal“ für die speziellen Angebote an der Kasse des Supermarkts kommt ja schließlich nicht von ungefähr.

Was die spätere Dankbarkeit für all die Mühen des Elterndaseins angeht, so kann ich nicht behaupten, daß ich nicht gewarnt worden wäre durch all die Weisen all der Jahrhunderte, die sich mit der menschlichen Natur auseinandergesetzt haben. Selbst Jesus soll ja, ans Kreuz genagelt, einschlägige Äußerungen zu diesem Thema getan haben. Und der hatte nicht mal Kinder!

Ist dies alles gerecht? Ich denke, letztlich ja. Denn Kinder werden ja irgendwann erwachsen und bekommen ihrerseits Kinder. Die Natur hat das doch sehr raffiniert eingerichtet, daß sie unser Verhalten nicht auf Einsicht gründen läßt, sondern auf Hormonen. Und wenn die Einsicht sich endlich einstellt, dann verabschieden sich die Hormone und wollen’s nicht gewesen sein. Es bleiben uns die Weisen: „Ein Leben dauert siebzig, wenn’s hoch kommt achtzig Jahre. Und wenn es köstlich war, dann ist es Mühsal und Plage gewesen.“ Das stammt nun wieder nicht von Jesus, sondern ist viel älter. Und wir ahnen: Manches ändert sich nicht im Leben. Bis heute jedenfalls nicht.

Aber wenn Wissenschaft und Gentechnik weiter solche rasanten Fortschritte machen, dann produzieren sie uns vielleicht eines Tages Kinder, die weder schreien noch Taschengeld oder Süßigkeiten fordern noch vor ihren Kameraden mit Markenklamotten glänzen wollen und für unseren dermaßen reduzierten Aufwand auch noch dankbar sind. Könnte doch sein, oder? Ich wäre freilich noch zuversichtlicher, wenn man über solche Pläne mehr in der Zeitung läse. Denn hier gibt es doch echten Bedarf, nicht wahr? Von einem Markt ganz zu schweigen. Aber vermutlich torpedieren die Verantwortlichen für die Quengelregale den wissenschaftlichen Fortschritt in dieser Hinsicht. Für diese Schandtat wünsche ich ihnen Hormone noch und noch an den Hals. Und verspätete Einsicht.

Den Staatspreis für weltanschauliche Korrektheit möchte ich für diese Überlegungen natürlich nicht beanspruchen. Aber ich kenne ein paar Eltern, deren Nicken mich dafür entschädigt. Ob nicht sogar der alte Rousseau, der nicht nur die neuzeitliche Pädagogik begründet, sondern auch alle seine Kinder ins Findelhaus gegeben hat, dazu nickt?

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (10.06.20)
Warst du nicht Lehrer? Scheinbar wolltest du in dem Theater also unbedingt eine Doppelrolle haben.
;-)

 Lluviagata meinte dazu am 10.06.20:
Trekan!
Made my day!

 Graeculus antwortete darauf am 10.06.20:
Ja, das ist witzig ... und nichtmal falsch. So hat es denn an Kindern nicht gemangelt in meinem Leben. Vergessen wir übrigens nicht unsere allererste Rolle in diesem Drama: die eigene Kindheit.

 Dieter_Rotmund (10.06.20)
Das ist mit in der Tat zu primitiv gestrickt. Ich habe keine Kinder, aber weder ein schnelles Auto noch ein dickes Konto. Du vergisst zu erwähnen, dass man ohne Kinder ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Das ist wertvoller als jedes Kind.

 Graeculus schrieb daraufhin am 10.06.20:
Ich fürchte, Du hast die Tendenz meines Textes mißverstanden. Und die Aussage über schnelle Autos und dickes Konto geht noch weiter: "... und bekommt nie mehr die Gegelgenheit zu überprüfen, ob ...", d.h. daß das nicht die Realität abbildet, ahnt der Sprecher selber.

Interessanterweise hast Du schnelles Auto und dickes Konto für Dich verneint, nicht aber: schöne Frauen. Meinen Glückwunsch!

 minze äußerte darauf am 10.06.20:
Ohne Frauen/Partner ist das Leben mit Sicherheit noch selbstbestimmter! sorry für den Einwurf.

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 10.06.20:
Ja, Graeculus, die schöne Frau habe ich nicht verneint, das hat Du korrekt erkannt, vielen Dank für den Glückwunsch, sie ist ein echter Schatz.
Deine Tendenz ist m.E. zu schwach ausgedrückt, zu viel nur vage Ahnung. Grundsätzlich aber ein interessantes Thema, da auch ein(e) Partner(in) ohne Kinder die Freiheiten einschränkt, wie Minze treffend bemerkt. Ich sage mal so: Mit Partner(in) ist ein in Teilen selbstbestimmtes Leben möglich, mit Kindern völlig unmöglich.

 Graeculus meinte dazu am 10.06.20:
Meine Tendenz ist zunächst die, das Leben mit Kindern nicht zu verklären, also nicht in sentimentales Schwärmen zu verfallen.
Daß man ohne Kinder glücklicher ist, bezweifle ich, indem ich auch das 'selbstbestimmte Leben' nicht idealisieren, sondern mit Ambrose Bierce (in seinem Wörterbuch des Teufels s.v. "Anders") sagen möchte: "Anders. Adv. Auch nicht besser."
Stelzie (55)
(10.06.20)
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 Graeculus meinte dazu am 10.06.20:
Die genetische Programmierung des idealen Kindes - sollte sie denn jemals kommen - nähme dem Leben viel von seiner Spannung, die es halt nicht ohne Spannungen gibt.

Dabei hast Du, wenn ich recht informiert bin, sogar noch mehr Kinder beim Aufwachsen begleitet als ich - jedenfalls eigene Kinder; was den beruflichen Umgang mit ihnen angeht, liege ich natürlich in Führung.

Was ich nie verstanden habe: was sich Gott (oder die Natur) bei der Einrichtung der Pubertät gedacht hat, d.h. dem "Alter, in dem die Eltern anfangen, komisch zu werden".
Aha (53)
(10.06.20)
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 Graeculus meinte dazu am 10.06.20:
Nein, finanzielle Gründe hatte das nicht bei Rousseau.

 EkkehartMittelberg (10.06.20)
Eine wohltuend illusionsfreie Glosse. Keine kinder haben zu wollen, gilt den Meisten in unserer Gesellschaft immer noch als Egoismus.
Fast alle unterschreiben, ein selbstbestimmtes Leben führen zu wollen. Wer Kinder haben möchte, wird seine Selbstbestimmung beschränken müssen. Wenn er Glück hat, wird er dafür reichlich entlohnmt.

 Graeculus meinte dazu am 10.06.20:
Eine Idylle ist es nicht, das Leben mit kleinen Kindern, vor allem mit zwei rivalisierenden Knaben. Man sollte nicht erwarten, damit ziehe das Glück ins Leben ein. Aber ich bereue es nicht und glaube auch nicht, daß das 'selbstbestimmte Leben' eine Idylle ist.
Agnete (66)
(11.06.20)
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 Graeculus meinte dazu am 11.06.20:
Für mich war das selbstbestimmte Leben gar nicht das Ideal. Ein harmonischeres Zusammenleben hätte ich mir gewünscht. Den vor allem zu Anfang damit verbundenen Schlafmangel (mit Schaudern erinnere ich mich an die Zeit der Drei-Monats-Blähungen) habe ich natürlich nicht als Mangel an Harmonie erlebt - sie hatten halt Schmerzen -, als Bereicherung jedoch auch nicht.
Später kamen dann die Rivalitäten unter den Kindern hinzu; das wurde dann schon kritischer im Hinblick auf die Harmonie.
Es kommt viel darauf an, daß wenigstens die Eltern an einem Strang ziehen.
Zu manchen Momenten kann ich sagen, daß sie bereichernd waren. Als Mensch der Sprache habe ich vor allem die Phase des Spracherwerbs staunend begleitet bzw. mitgestaltet. Etwa wenn ein Sohn ein Bonbon bekam und der andere gleich sagte: "Du auch!" Er hatte verstanden, daß er mit "du" angeredet wurde.

 Regina (11.06.20)
Es liegt an unserer Gesellschaftsstruktur, dass Kinder oft nur gegen Stress, Überforderung und sozialen Abstieg zu haben sind. Trost: emotionale Befriedigung.
Aber hat man denn gar keine Fantasie, die Verhältnisse zu verändern? LG Gina

 Graeculus meinte dazu am 11.06.20:
Wenn Du die Phantasie hast, würde es mich freuen, darüber zu hören.
Ganz einfach ist das anscheinend nicht, denn Klagen über Kinder sind seit 5000 Jahren überliefert, und das ist ziemlich genauso lang, wie es überhaupt schriftliche Aufzeichnungen gibt.

 Diogenes (26.06.20)
Die Natur ist weiser und erfahrener als alle Wissenschaftler. Kinder faszinieren mich trotz allen diesen Schwierigkeiten.

 Graeculus meinte dazu am 27.06.20:
Faszinierend sind sie - es gibt kaum etwas Faszinierenderes. Schon allein die Phase des Spracherwerbs läßt einen Logophilen wie mich staunen.
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