Die Tränen der Wolkenberger

Bericht zum Thema Orte

von  Jedermann

Eisig kalt ist es und mein Gesicht sicherlich schon blau angelaufen. Wir haben Mitte März und stehen bei -5° C auf dem rekultivierten Hang. Der böige Ostwind trifft uns mit voller Kraft, nirgendwo gibt es Schutz. Das sind gefühlte -15° C. Vor uns breitet sich die gigantische Mondlandschaft der Kippe und im Hintergrund der Tagebau Welzow-Süd aus. Hier wird das Schwarze Gold der Lausitz, die Braunkohle des 2. Miozänen Lausitzer Flözes abgebaut. Die Braunkohlengewinnung ist seit der Wende auf ¼ der vorherigen Fördermenge gesunken. Die Vorräte sind mehr als ausreichend, könnten noch viele hundert Jahre reichen. Die Konkurrenz jedoch ist groß und der politische Wille zum Ausstieg aus der Kohle manifestiert. Eine Ära der Stromerzeugung neigt sich dem Ende zu und hinterlässt eine neu zu gestaltende Landschaft.
Wir stehen im böigen Ostwind, gefühlte -15° C. Hier war einmal ein Dorf, das trug den schönen Namen Wolkenberg. Nun kann man in diesem Teil der Lausitz, der Niederlausitz, nicht gerade Berge sehen, schließlich befinden wir uns in der Altmoränenlandschaft. Alles wurde nivelliert in den zig tausenden Jahren. Und dann kam der Mensch, grub riesige Löcher um seinen Energiehunger zu stillen. Dafür musste auch das Dorf Wolkenberg weichen, wie zahllose Dörfer vor ihm. Wolkenberg war das letzte Dorf, das nach altem DDR-Bergrecht umgesiedelt wurde. Grund und Boden besaßen wenig Wert. Die Bewohner zogen nach Spremberg in die Platte.
Grundstücks- und Bodenpreise stiegen, der Kapitalismus hielt Einzug. Für die Wolkenberger kam die neue Ordnung zu spät. Bereits in der nächsten Dorfumsiedlung erhielten dessen Bewohner wesentlich bessere Konditionen. Häuser wurden gebaut, Land im Ausgleich angeboten, die Dorfgemeinschaft möglichst gemeinsam umgesiedelt.
Der Wolkenberg aber, der Namensgeber des alten Dorfes wurde neu gestaltet, der ehemalige Endmoränenberg nachmodelliert und mit einem nach Süden einfallenden Hang versehen. Hier entstand, kaum zu glauben, im Jahr 2010 ein Weinberg. Nun kann man die vergossenen Tränen der Wolkenberger genießen, schließlich braucht die Weinrebe, um gute Frucht zu geben, die Extreme. Denn wer weiß es mit Bestimmtheit? Es mag doch sein, dass neben der erfahrenen Pflege, der richtigen Ernte und dem gekonnten Ausbau im Fass, auch die Tränen der Wolkenberger diesen Weinen ihre Güte geben!

Illustration zum Text
(von Jedermann)
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Kommentare zu diesem Text


 GastIltis (10.11.20)
Deine Worte, Jedermann, in Dionysos Gehörgang. Ein Geologe vermag vielleicht zu beurteilen, ob für den Weinanbau der richtige Boden zur Verfügung steht; alles sonst ist wohl Sache der Winzer. Ein sehr erbaulicher Text. LG von Gil.

 Jedermann meinte dazu am 10.11.20:
Freue mich, dass Du den Text gerne gelesen hast und danke für die Empfehlung.
Der Rote den ich vor ca. 3 jahren von dort mitnahm hat auch richtigen Weinkennern gemundet; spritzig frisch und vollmundig.
Die Weine werden in Meißen ausgebaut.
Ich war damals doch verwundert, dass der Weinbau wieder soweit nördlich erfolgreich ist. Wolkenberg befindet sich ja in Süd-Brandenburg. Jedermann

 GastIltis antwortete darauf am 10.11.20:
Noch weiter nördlich, beim Schloss Rattey in Mecklenburg, wird auch noch Wein (Weißer und Rose) angebaut. Den habe ich allerdings noch nicht gekostet. Danke für die Info zum Roten. Gil.

Antwort geändert am 10.11.2020 um 22:55 Uhr
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