Goldi

Erzählung zum Thema Biographisches/ Personen

von  Mondscheinsonate

Goldi sieht noch genauso aus wie damals als er mit der Tageslosung nach Hamburg fuhr, nur, dass er jetzt graue Haare hat, das dachte ich, während ich mit meiner Familie im Gasthaus saß. Ich beobachtete ihn aus weiterer Distanz. Das ist nun 30 Jahre her, da war gegenüber im Ersten Bezirk, also gegenüber von meinem Wohnhaus, ein Feinkostladen, ein kleiner Greißler oder Tante Emma-Laden, je nachdem, auf jeden Fall, da gab es ranzige Extrawurst "a Wurscht", wie die Frau Anders stets sagte oder "a Wurscht für's Maxerl", wie Herr Sonnenschein, der hieß wirklich so, sagte, aber ja, und es gab Nudeln, Konserven, Eis und einen Leberkäse sowie hartes Brot. Der Laden wirkte dreckig, war schäbig, weil, bevor ihn Goldi kaufte, gehörte er Hertha und die renovierte nie und Goldi ebenso nicht. Da kamen die Leute anschreiben, zahlten erst am Ende der Woche oder wie meine Mutter selten. Der Goldi hieß eigentlich Goldberger, aber in Wien wird alles abgekürzt und so ist der Karl ein Karli und der Bernhard ein Berni und die Susanne eine Susi, aber der Goldberger war der Goldi, weil keiner seinen Vornamen wusste. Goldi, der Greißler und der verdiente zu wenig und hatte Schulden, fuhr aber immer mit einem Mercedes, der die Schulden zum Teil erklären ließ, aber irgendwann "brannte ihm eine Sicherung durch", sagten der Hansi und der Günther, die immer beim Goldi ihre Biere tranken, denn der hatte auch ein kleines Tischchen im Geschäft, da tranken der Hansi, das war ein Taxler (Taxifahrer) und der Günther, unser Hausmeister immer ihre Biere, stets die Mehrzahl. Nun, der Goldi nahm die Tageslosung, erzählte seiner Frau, dass er einen Termin hätte über das Wochenende und fuhr im Mercedes nach Hamburg und verprasste das ganze Geld auf der Reeperbahn, dann fuhr er wieder zurück und auf der Autobahn in Österreich überkam ihn die Panik wegen seiner Frau, blieb am Pannenstreifen stehen, fesselte sich selbst mit Kabeln und legte sich in den Kofferraum. Die Polizei kam und er erzählte, er wäre ausgeraubt worden, aber die Polizei war misstrauisch, denn er war unglaubwürdig, verhörte ihn so lange, bis er heulend die Wahrheit zugab und der Harry, der Vater vom Daniel, meinte: "Die Kiwarer brachten ihn plärrend zur Frau und dann ist er in den Häf'n gang' n!" Das war ein Straßenskandal! Jeder redete über Goldi. Die Frau hat sich scheiden lassen, das Geschäft mit der ranzigen Wurst zugesperrt und die Frau Kosely schickte mich dann immer zum Löwa ein Eis kaufen, das war ein bisserl weiter weg, aber den Goldi erkannte ich wieder, während ich ein Naturschnitzerl mit Reis und Salat aß.
Er mich nicht.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (04.08.20)
Wie schade.
Solche Orte der Begegnung fehlen selbst in einer guten Wohngegend.

Wie immer: Brillant erzählt. Und mit einem superben Schluss. :)

 Mondscheinsonate meinte dazu am 04.08.20:
Dankeschön. Das stimmt, das war wirklich der zentrale Mittelpunkt für Klatsch und Tratsch.

 Jorge (04.08.20)
"Der Laden wirkte dreckig, war schäbig, weil, bevor ihn Goldi kaufte" ich dachte sofort an meinen Friseurladen hier in Spanien, den seit einiger Zeit ein sympathischer Engländer betreibt.
So perfekt hat mir und meiner Frau noch nie einer die Haare geschnitten. Aber von Hygiene kann man nicht reden. Er trägt zwar eine Maske aber das wars auch schon. Mit ihm kann man sich wunderbar über Gott und die Welt unterhalten und als Friseur ist er einfach ein Künstler. Er heißt zwar Paul aber für mich ist er zugleich Goldi.
LG
Jorge

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 05.08.20:
Ich mag solche Geschichten. Dank dir!
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