Vergänglichkeitsdenken auf meinem täglichen Weg zu den Müllgefäßen

Anekdote zum Thema Vergänglichkeit

von  EkkehartMittelberg

Viele Jahre konnte ich mich bei meinem täglichen Gang zu den Mülltonnen melancholischer oder gar trauriger Gedanken an Vergänglichkeit nicht erwehren. Das lag nahe, weil ich Materie entsorgte, die, wenngleich recycelbar, ihren ursprünglichen Wert für mich verloren hatte. Dieses frustrierende Denken wurde noch durch einen besonderen Umstand unterstützt, denn mein Weg zu den Müllbehältern führt an zwei großen Rosensträuchern vorbei, die von Anfang Juni bis in den Dezember blühen und da sie nicht ständig beschnitten werden, mir auch die verblühten Rosen in den Blick rücken und so mein Nachdenken über Vergänglichkeit bestärken.
Solche Gedanken waren nicht geeignet, mich aus meiner Melancholie herauszuführen.
Doch in letzter Zeit hat sich etwas geändert. Ich sehe auf meinem Weg an den Rosensträuchern vorbei nämlich mehr die neuen Knospen als die verblühten Rosen und ich konditioniere mich dahin, besonders das Frische und Unverbrauchte wahrzunehmen und das Vergängliche hoffnungsvoll als Humus zu akzeptieren, aus dem neues Leben erwächst. Ich weiß, dass dieser Gedanke überhaupt nicht neu ist, aber, obwohl uralt, verleiht er doch dem positiv Denkenden die Kraft, vermeintlich Neues zu produzieren und die Einsicht, dass mehr oder weniger Selbstbetrug dazu gehört, die Illusion des Neuen aufrecht zu erhalten, um lethargische Passivität zu überwinden.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (04.08.20)
Das nennt man dann wohl "Erwartungshaltung" und die spielt für unsere Bewertung der Dinge in der tat eine große Rolle.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.08.20:
Der Begriff trifft zu, Trekan. Ich habe versucht, meine Erwartungshaltung zu verändern und es ist mir gelungen. Merci.

 AchterZwerg (04.08.20)
Das ist eine recycelte, doch ewig gültige Einstellung.
Bei mir daheim verhält es sich ähnlich: Der Weg zu den Containern führt an vielen blühenden Pflanzen vorbei manche davon schon ab - geblüht.

Lächelnde Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 04.08.20:
hallo Piccola, es ist schön, jemanden zu finden, der Erfahrungen teilt, selbst dann, wenn sie ein bisschen banal sind: Vivas, crescas, floreas :)

 monalisa (04.08.20)
Hallo Ekki, dem Kreislauf aus Werden und Vergehen kann sich niemand entziehen, wohl aber können wir den Fokus, wie wir etwas betrachten, was wir scharfstellen, verändern, wie deine Anekdote in leisen Tönen beweist. So können wir uns immer wieder grundlegend erneuern durch die Art und Weise, wie wir an etwas herangehen.

Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 04.08.20:
Grazie, Mona, ich wage mal, deinen Gedanken, der mich bestärkt, fortzuspinnen. Wenn wir von schlimmen Kankheiten und tragischen Todesfällen absehen, ist vielleicht die Kontinuität des Glücks auch ein Frage der Bereitschaft, seine Sicht für Positives und Innovatives immer wieder neu zu schärfen. Das geht nicht ohne Anstrengung, aber diese Bereitschaft erhält jung .
Liebe Grüße
Ekki

 AvaLiam (04.08.20)
Guten Morgen - geschätzter Ekki.

Müll wegbringen macht mir seit ein paar Jahren richtig Spaß. Ich empfinde dann immer Erleichterung bei der Befreiung von "Altlasten". Gedanken über das Vergängliche habe ich früh abgeschlossen.
Gerade an Tagen, an denen alles nicht so gut läuft, ist das Fortschaffen des Hausmülls für mich immer wieder ein kleiner Befreiungsschlag. Es scheint neuen Dingen Platz zu machen. Aufzuräumen.
"Witzig" ist, dass ich auch an Rosen vorbei muss. Sei dir gewiss, dass ich jetzt mindestens 2-3 Mal am Tag an dich denken werde, da dieser Gang auch nach "draußen" führt. :D

Wenn ich jedoch den Hausstand aussortiere und mich von "dies, das und jenes" trenne, weil ich es nicht mehr verwende, es kaputt ist oder ich entscheide, dass es Zeit wird, es fortzugeben, dann fühlt es sich schon so manches Mal schmerzhaft an; als gäbe man einen Teil seines Lebens weg - was ja Quatsch ist. Die Erinnerungen bleiben ja. Und ich erhalte Raum für Neue.

Dann gibt es auch noch die Müll-Künstler, die sogar tatsächlich etwas Neues schaffen. Über Schönheit und Notwendigkeit kann man dabei sicher streiten, aber es gab schon mal den ein oder anderen Moment, wo ich dachte: "wow".

Denkt man mal darüber nach, dass aus Plastikflaschen Kleidung gemacht wird, bringt man das nächste Mal auch "anders" die Flaschen weg und denkt mehr darüber nach; auch welche Ressourcen darin stecken.

Ganz soviel Selbstbetrug steckt also gar nicht in deinem Gedanken.

Und wenn jetzt jemand denkt: Was schreibt/schreiben die da für einen Müll, dann ist das keine Beleidigung, sondern Textarbeit. :D

Mein lieber Ekki, ich wünsche dir einen schönen Tag.
Ich bring dann mal Müll raus.

Liebe Grüße - Andrea

Kommentar geändert am 04.08.2020 um 09:25 Uhr

 tulpenrot äußerte darauf am 04.08.20:
Guten Morgen Ava (Andrea) und guten Morgen Ekki,
also ich muss auch an blühenden/welkenden Rosen vorbei zur Mülltonne. Ich gehe gerne dorthin, es duftet herrlich - eben nicht nach Müll.
Den Kommentar und den Text hab ich gerne gelesen und werde auf meinem Weg zum Müll jetzt immer an euch denken. Find ich schön.
Liebe Grüße
Angelika

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 04.08.20:
@ Ava: Andrea, wie machst du das nur , dass du dem Alltählichen immer wieder neue und/oder humorvolle Ideen entlockst? Klar, den Gedanken der Wiederverwertung von Müll hatte ich auch, aber man muss erst einmal darauf kommen, dass aus Plastikflaschen Kleidung gemacht wird oder auf den erfrischenden Witz, dass der Müll, den man gelegentlich absondert, aus positiver Perspektive Textarbeit ist.
Ich bin ein großer Freund von Selbstironie, nur leider oft zu feige, sie zu schreiben, weil ich weiß, dass immer jemand darauf wartet, einem bei Gelegenheit die selbstironisch eingestandenen Schwächen zu präsentieren. Von dir lerne ich gerne, wie man Schadenfrohe zum Mitlächeln bringen kann.
Ich sende dir ein Fläschchen Rosenwasser für den täglichen Erinnerungsgang zu den Tonnen
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.08.20:
@Tulpenrot:: Merci Tulpi, wenn ich jezt sagen würde, dass uns der Weg zu den Müllgefäßen verbindet, klänge das allzu prosaisch. Vielmehr sind es ja die Rosensträucher mit ihren Farben und ihrem Duft, die uns darauf bringen, das Kostbare auch im Müll zu entdecken. Dann ist es nur noch ein ganz kleiner Gedankenschritt zu dem Schluss, dass jeder Alltag etwas Wertvolles bereit hält, wenn man es finden und sehen will.
Liebe Grüße
Ekki

 Moja (04.08.20)
Deine Anekdoten mag ich sehr, lieber Ekki, und auch diese, aus der ich lese, dass man besser nicht polarisiert, sondern im Blick die Vielfalt wahrnimmt, neben dem Verfall liegt schon das Neue, eins kann ohne das andere nicht sein. Auch liegt es an einem selbst die Wahrnehmung zu schärfen und in mehrere Richtungen zu lenken, was sehr belebend wirkt.

Liebe Grüße,
Moja

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.08.20:
Liebe Monika, dein Hinweis auf das Polarisieren gibt mir Anlass zu ein wenig Vulgärphilosophie. Vielleicht ist das Beste, das einem Menschen geschehen kann, das Verschmelzen von Gegensätzen in einer neuen Einheit, die so umfassend ist, dass sie die Bedürfnisse stillt und zum Stillstand seliger Wunschlosigkeit bringt. Von diesem Stand der Weisheit fühle ich mich noch weit entfernt, und so freue ich mich, wenn sich bei Alltaqgsbeobachtungen aus These und Antithese Synthesen ergeben, die im glücklichen Falle wieder zu einer neuen These werden. Das kann man Polarisieren nennen. Aber der Gescheite macht es ja nicht, um Extreme als wünschenswert zu fixieren, sondern um sie in der Synthese auszugleichen.
Liebe Grüße
Ekki

 Moja meinte dazu am 04.08.20:
Ja, der Gescheite, lieber Ekki!
Unterwegs höre ich so viele einseitige Betrachtungen, auch Überzeugungen, dass ich mich oft frage, woher diese Blindheit rührt. Wie wohltuend dagegen Deine schweifenden Gedanken und Erkenntnisse.

Moja grüßt!

 AZU20 (04.08.20)
Und solche tiefschürfenden Gedanken beim W eg zu den Mülltonnen. Gut, dass er an Rosen vorbeiführt. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.08.20:
Hahaha Armin, gegen das Tiefschürfende ist kein Kraut gewachsenm außer Rosen. :)
Al-Badri_Sigrun (61)
(04.08.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.08.20:
Vielen Dank, liebe Freundin, mein Garten ist vermutlich kein so gutes Insektenrefugium wie der deine. Aber auch ich beobachte, dass im Vergleich zu den Vorjahren die Artenpopulation erheblich gesunken ist. Auch mir geht es so, dass diese Feststellung Melancholie nicht immer verhindern kann. Dennoch überwiegt meine Freude an den Lebewesen, die bisher überlebt haben.. Ich brauche dich bestimmt nicht zu überreden, es mit Martin Luther zu halten. Du weißt schon: Wenn morgen die Welt unterginge.Wir pflanzen noch heute ein neues Apfelbäumchen.
Herzlichst
Ekki

 millefiori (04.08.20)
Das ist ein schöner Gedankengang Ekki, es liegt wohl auch an der jetzigen Lage, dass man nachdenklicher ist als sonst.

Liebe Grüße
millefiori

 Graeculus (04.08.20)
Weil nunmal - seufz - alles vergänglich ist, ist auch alles geeignet, um über Vergänglichkeit zu meditieren. Die Rosen als Lebendiges haben das Angenehme, daß aus Vergehendem Neues sprießt.

Doch denken wir an Wilhelm Busch:
Die Lehre von der Wiederkehr
Ist zweifelhaften Sinns.
Es fragt sich sehr, ob man nachher
Noch sagen kann: Ich bin’s.

 Graeculus (04.08.20)
Weil nunmal - seufz - alles vergänglich ist, ist auch alles geeignet, um über Vergänglichkeit zu meditieren. Die Rosen als Lebendiges haben das Angenehme, daß aus Vergehendem Neues sprießt.

Doch denken wir an Wilhelm Busch:
Die Lehre von der Wiederkehr
Ist zweifelhaften Sinns.
Es fragt sich sehr, ob man nachher
Noch sagen kann: Ich bin’s.

 Graeculus meinte dazu am 04.08.20:
Warum das jetzt zweimal gesendet worden ist, weiß ich nicht.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.08.20:
Spassibo Graeculus, ich habe selten so gelacht. Sit venia verbo, aber du bist mein liebstes Trüffelschweinchen, wenn es darum geht, so etwas Besonderes zu entdecken. Ich antworte Wilhelm Busch so;
Ich war einst Bettler, bin jetzt König
und bilde mir das einfach ein.
Du sagst, ich mache mit was vor.
Doch meinem Ego nutzt der Schein.

 Graeculus meinte dazu am 04.08.20:
Das ist eine gute Einstellung. Und mir ist meine Reinkarnation als Trüffelschwein dann wohl so gut wie sicher.

 harzgebirgler (07.09.20)
die zeit ist das größte vergehen
und kann vor gericht nie für stehen
nein hält seit je selber gericht
darüber was währt und was nicht.

bedenkenswerte gedanken; gerne gelesen!

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.09.20:
Schön, das geistreiche Wortspiel mit dem Vergehen, Henning. Merci
LG
Ekki
Agnete (66)
(22.07.23, 19:50)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 22.07.23 um 21:53:
Hallo Monika,

vielen Dank für die Erinnerung an eine Sicht, die man immer wieder erneuern sollte.

Liebe Grüße
Ekki
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