Obszön teuer essen - oder wie wir uns drei Sterne gönnten

Bericht zum Thema Essen/ Ernährung

von  eiskimo

Das Restaurant Lameloise in Chagny (Burgund) hat seit vielen Jahren die höchste Auszeichnung im  alles entscheidenden Klassement des Guide Michelin, nämlich drei Sterne – der Olymp für Frankreichs Spitzenköche!
Meine Frau und ich kochen bzw. essen im Vergleich eher platt und bodenständig. Dass wir in unserem Frankreich-Urlaub in der Nähe von Chagny und vor diesem Fress-Tempel landeten, war Zufall. Dass wir uns da tatsächlich hinein trauten, bedarf einiger Vorbemerkungen....

Essen als Sättigung,  als Auffüll-Akt der körperliche Reserven, freudloses In-Sich-Hinein-Schaufeln von Broteinheiten, das kennen wir zu Genüge. Das muss oft so sein, und da haben wir im Alltag auch kein Problem mit.
Womit wir auch kein Problem haben: Einmal bei einem schönen Frankreich-Urlaub in ein Drei-Sterne-Lokal zu gehen und dort einfach mal 150 Euro zu lassen, pro Kopf. Zum Beispiel bei Lameloise in Chagny. Das ist die sparsame Formel mittags. Abends müsste man einen Hunderter mehr drauf legen.
Ich habe Bekannte, die uns für diesen „Luxus“ verachten. Die uns in die Pfui-Abteilung stellen, weil wir „obszön viel Geld ausgeben“ für nichts Anderes als Essen. Das nehmen wir zur Kenntnis. Ohne Reue.
Selber halten sie ihr Geld fest für ein Konzert von Helene Fischer oder Udo Lindenberg, für das neu zu gestaltende Fernseh-Zimmer oder die Metallic-Lackierung ihres SUV.  Dann sagen zur Abwechslung wir  mal Pfui! Und haben sogar ganz gute Argumente.
Einem Geschmacks-Blinden die Farbenpracht von Blumen zu beschreiben, diesen Versuch, den schenke ich mir hier allerdings. Besser nachvollziehbar scheint mir der Fakt, dass man da absolute Künstler würdigt. Denn was das Team um Eric Pras in diesem gediegenen Restaurant kulinarisch abliefert, ist einfach hochkarätige Kochkunst. Da arbeiten mehr als 15 Leute nach einem minutiös ausgetüftelten Plan und bringen ihre Kreationen punktgenau auf die Tische – alles unter einem einzigen Diktat: Das Wohlgefallen des Gastes.
Und der Gast erlebt, welches bereichernde Spektrum sein Gaumen haben kann. Angefangen von den Amuse-Bouches (kleinen Appetit-Anregern zu Beginn) über diverse selbst gebackene Brotsorten, den heißen und kalten „Grüßen aus der Küche“ bis hin zu den üppigeren Tellern – da ist nichts industriell vorgefertigt oder aus dem Tiefkühlregal. Alles kommt hundertprozentig frisch und in lang geübter Handarbeit …  „au bon moment“!
Ein ganz besonderes Erlebnis ist auch der Wein! Wie toll kann ein perfekt ausgereifter Hautes Côtes de Nuits schmecken oder ein Santenay Premier cru – wenn man damit  drei Stunden „intensive Langsamkeit“ veredelt? Wie anders wird plötzlich das Zusammensein mit dem Partner, der diese Hoch-Zeit mit einem teilt? Man schenkt sich da etwas Großartiges, allein schon dadurch, dass man alle Sinne wirklich nur auf dieses Den-Augenblick-Auskosten ausrichtet. Kein Gedanke an die üblichen Routinen, ans quängelige Smartphone oder was man noch alles schnell erledigen könnte.  Ambiente und Service halten diesen puristisch-einfachen Fokus aufrecht: Nur und ausschließlich schön essen....
Indes: Häuser mit dem Anspruch eines Lameloise haben es schwer. Täglich Höchstleistung abzuliefern bei einer immer wankelmütigeren Klientel, das verlangt eine perfekte Logistik, enorm viel Know How, und das beileibe nicht nur am Herd.
Unsere Befürchtung: Bei unserm nächsten Frankreich-Urlaub wird es dieses Lokal nicht mehr geben. Dafür steht an der Stelle dann eine Pizzeria, ein Billig-Burger oder eine Kebab-Bude. Mit Drive-In-Schalter für die geschmacksblind am Leben vorbei huschende Fast-Food-Kundschaft.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (15.08.20)
Wieviel Luxus braucht der Mensch? Haute Cuisine und haute Couture, französische, sündhaft teure? Wieviel Geld darf der Mensch verschwenden, im Angesicht der Not anderer?
Sprachlich top und zum Nachdenken anregend.

Kommentar geändert am 15.08.2020 um 08:12 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 15.08.20:
Danke!
Du stellt die richtigen Fragen. Nur: Ist das Geld wirklich verschwendet?
Und die Not der Anderen muss einem ja nicht egal sein.
lG
Eiskimo

 AchterZwerg (15.08.20)
Lieber Eiskimo,

ich verstehe dein vorauseilendes Bedauern.
Haute Cuisine - und noch mehr die Haute Couture - haben auch in meinen Augen durchaus ihre Berechtigung.
Sie sind Kunst. Und einfach schön.
Völlig unabhängig von ihrem Preis.

Herzliche Grüße
der8.

 eiskimo antwortete darauf am 15.08.20:
Liebe(r) 8.!
Ich fühle mich verstanden. Das ist schön.
Das Schöne im Leben - auch wenn es teuer ist - sollte man sich bewahren!
ciao
Eiskimo

 tueichler (15.08.20)
Ich finde auch, dass es beim Konsum nicht nur um die Erfüllung essentieller Bedürfnisse gehen darf, wenn man es sich leisten kann. Soviel unnütze Ausgaben für schnelllebige Güter, die noch dazu eine Katastrophe für die Nachhaltigkeit sind, da ist es geradezu eine Erholung, wenn man den Genuss auch und vielleicht nur als Kunstgenuss verstehen möchte. Nun kann man sich ja einen Druck eines Bildes mangels Masse an Mitteln fürs Original in die Wohnung hängen, der Genuss des Augenblicks mit toller Kulinarik, ausgesuchtem Wein, einem Moment in der Oper oder im Theater sind dagegen nicht replizierter Und um so wertvoller. Eben hab ich Appetit bekommen ...

LG,

Tom

 eiskimo schrieb daraufhin am 15.08.20:
Super, Dein Kommentar.
Du bringst noch mehr Tiefe rein, als ich Gelegenheits-Gourmet da wähnte.
Merci!
Eiskimo

 AZU20 (15.08.20)
Was ist daran obszön? LG

 eiskimo äußerte darauf am 15.08.20:
Manche Leute nennen das unanständig angesichts der vorhandenen Not. Sie würden das Geld statt dem Restaurant lieber den SOS Kinderdörfern geben. Sagen sie.
Ich meine, das müsse man trennen.
LG
Eiskimo
Möge Deine Befürchtung am Ende Deines Berichtes nicht wahr werden, denn schon unser Dichterfürst"(nicht Dieter!) J. W. v. G.
hat schon festgestellt: Kein Genuss ist vorübergehend, denn der Eindruck, den er hinterlässt, ist bleibend.
Auf noch viele bleibende Eindrücke, die durch den Genuss Deiner Texte entstehen.

LG
Schachtelsatzverfasserin

 eiskimo ergänzte dazu am 16.08.20:
Das lese ich gerne.. und halte mich daran!
Merci de la part de
Eiskimo
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