Das Gemetzel fand nicht statt

Reportage zum Thema Chancen

von  eiskimo

Wir hatten in unserem französischen Ferienhaus zum Apéritif eingeladen, mitten in diesem heißen, trockenen Sommer.
Das Ehepaar Guénon erschien mit einem dicken Verbandskasten, darin natürlich Cortison-Salbe und ein Aspi-Vénin Sauger.
Julien und Odile klingelten und trugen eine Art Monster-Aschenbecher vor sich her, der qualmte. Sie ließen darin Kaffeebohnen verkokeln.
Und die Tennispartner Max und Gérard hatten – wie sinnig - zwei Tennisschläger mitgebracht, allerdings in Kindergröße, dafür aber zu meiner Verblüffung: Elektrisch geladen!
Unser Vermieter hatte präventiv im Garten sowieso schon Fallen aufgestellt. Selbstgebastelte Zuckerwasser-Fallen, die er aus halbierten Plastikflaschen zusammengesteckt und oben in die Bäume gehängt hatte.
Warum dieses monströse Arsenal von martialischen Notstandsgeräten? Und warum schien uns dieses Szenario bei unserem „apéro“ völlig okay?
Nun, wir haben 2020 in Frankreich das Jahr der Wespe. Es gibt überdurchschnittlich viel Obst, es ist überdurchschnittlich heiß und trocken, ergo  schwirren überdurchschnittlich viele Wespen.
Das Ehepaar Guénon - Monsieur Guénon ist Apotheker - zeigte uns mit bedeutsamer Miene sein Erste-Hilfe-Set. „Cortison-Salbe ist zur Zeit nicht mehr lieferbar,“  erfuhren wir. „Ich habe davon in einer Woche allein 30 Tuben verkauft – alle wegen Wespen- und Hornissenstichen!“
Julien fächelte uns etwas von seinem Kaffee-Qualm zu. „Das wirkt super! Den Gestank mögen die Viecher nicht. Wir behelfen uns damit seit Wochen.“  Meine Frau verzog angewidert das Gesicht, sagte aber nichts.
Und unsere Tennisfreunde begannen freudig, imaginäre Ballwechsel zu simulieren. „Wenn wir eine Wespe mit dem Schläger berühren,“ so Gérard, „dann ist sie électrocuté – kaputt!“
Madame Guénon führte dann noch ihren Aspi-Vénin vor, unter aufmerksamer Beobachtung der staunenden Gäste : „Den Saugnapf luftdicht auf die Einstich-Stelle drücken und den Kolben langsam hochziehen – so kommt das Gift gar nicht erst in den Körper!“ - „Auch ausverkauft,“ hörten wir nur von ihrem Mann.
Endlich begann auch der kleine Imbiss. Meine Frau servierte leckere Tapas; ich kümmerte mich um die Getränke. Unsere Gäste brachten sich derweil in Position.
Die übel riechende Wolke von Kaffee-Qualm waberte über unserer Sitzgruppe. Max und Gérard hatten um sich herum ihre Kampfzonen abgesteckt. Mitten auf dem Tisch, zwischen Crackern und  Pizzabrötchen, lag griffbereit das Cortison. Odile hatte zur Sicherheit noch zwei der selbstgebastelten Fallen zwischen den Getränken versteckt.
Unser Gesprächsthema: Immmer noch die Wespenplage. Wie räuchert man ein Wespennest aus? Was unterscheidet den Bienen- vom Wespenstich? Und stirbt man schnell oder langsam, wenn die Hornissen einen erwischen?
Endlich kam auch eine leibhaftige Wespe zwischen unsere Apéro-Requisiten. Ein hübsches Exemplar. Unbeirrt vom Qualm des Stinke-Kaffees, elegant die Flugabwehr-Maßnahmen der Tennis-Freunde täuschend, frech die Panik der Apothekergattin ignorierend.
Sie setzte sich auf den Rad meines Cidre-Glases und kletterte dann flugs hinab zu dem begehrten Getränk. Prompt rutschte sie dann auch hinein und zappelte hilflos umher. War das die Gelegenheit,  diesen Eindringling zu ersäufen? Meine Chance vielleicht, um vor unseren Gästen den „mannhaften Problemlöser“ zu markieren? Gar die Verpflichtung??
Ich tat, was ich schon seit Wochen in diesem Wespen-Sommer tat. Unblutige Lösungen suchen. Also ging ich mit dem Glas vom Tisch weg, ließ etwas Cidre hinaus schwappen und spülte so das Tierchen ins Freie. Und weg war es...
Zwei Stunden später endete unser Apéritif. Keiner war gestochen worden. Juliens Kaffeeglut hatte meine Frau einfach ein paar Meter von uns weg gestellt. Die Tennisschläger kamen ein paar Mal zum Einsatz, enttäuschten aber als „Wunderwaffe“ total. Und irgendwann hatten wir tatsächlich zu einer Normalität zurück gefunden und den klassischen Apéritif-Themen.
Nein, nicht die Wespen hatten etwa gesiegt. Wir haben einfach mental abgerüstet, mit Gelassenheit reagiert und auf ein wildes Gemetzel verzichtet.

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Kommentare zu diesem Text


 Jorge (16.08.20)
Wenn mal die unzähligen Waffen aus dem Arsenal der Coronaexperten mir solcher Gelassenheit betrachtet würden.
saludos
Jorge

 eiskimo meinte dazu am 16.08.20:
D´accord - nur tun, was unbedingt nötig und nützlich ist.
Salut
Eiskimo

 Dieter_Rotmund (16.08.20)
Mir persönlich ein etwas zu betuliches Thema. Es scheint auch ein wenig Angeberei des Erzählers durch, nicht wahr? Hier und da müsstest Du noch ein paar kleine Schlampigkeiten korrigieren, Geviertstrich und Leerzeichen.
Ansonsten gerne gelesen - man ist ja schon um jeden Text froh. der keine Depri-Geschichte oder eine sentimentale Nabelschau ist.

 eiskimo antwortete darauf am 16.08.20:
Wann ist ein Thema, hier zum Besten gegeben, nicht betulich?
Und was Du Angeberei nennst, war doch im Grunde Feigheit vor dem Feind.
Nur eine tote Wespe ist eine gute Wespe, kommentierte mein Freund Guénon.
An meiner Schlampigkei arbeite ich.

 AZU20 (16.08.20)
Wespen über Wespen bei uns. Wir versuchen ähnlich, ihnen Herr zu werden. Doch meine Frau wurde leider einmal gestochen. LG

 eiskimo schrieb daraufhin am 16.08.20:
Wären wir in China, wäre es tatsächlich das Jahr der Wespe....
Wir haben hier einen Hornissenstich hinter uns, das brachte Monieur Guénon ins Spiel.
Trotzdem plädiere ich für Gelassenheit. Corona ist heimtückischer.
lG
Eiskimo

 AvaLiam (20.08.20)
Guten Morgen

Ja, das Wespenthema hält mich auch schon viele Jahre in Atem und das ein oder andere Mal brachte es mich um denselben, während ich auf medizinische Hilfe und Besserung der Beschwerden wartete.

Kurz um: ich habe eine hochgradige Wespenallergie und den Tunnel schon sichten dürfen, während ich aus einem weit entfernten Teil des Universums verzerrte, verzweifelte Worte vom Arzt vernahm, die jedoch nicht mehr ins Verständnisbewusstsein drangen.
Was bedeutet schon: "Die stirbt mir unter der Hand weg."
Ich jedenfalls konnte den Tiefgang dieser Aussage zum gegebenen Zeitpunkt nicht (mehr) ausmachen. :D

Bedauerlich ist, dass ausgerechnet Allergiker besonders häufig "Opfer" von Stichen werden, was zusätzlich die entstehende Panik/Angst anheizt.
In jahrelangem disziplinärem Training kann ich nun ziemlich ruhig bleiben und Wespen auch aus nächster Nähe beobachten.
Ja - ich finde sie sogar recht niedlich, interessant und schaue ihnen fasziniert zu.
Getötet habe ich nie eine. Es sind Tiere für mich - es steht mir nicht zu, ihre Wertigkeit festzustellen.

Sehr verärgert bin ich, wenn Menschen diesen Tieren zu Leibe rücken.
Und ich bin auch immer wieder versucht und aufgerufen, sie zu retten. Neulich im Schwimmbad habe ich auch 2 aus dem Wasser an Land gespült, dass es ihnen möglich war, sich abzutrocknen und davonzufliegen.

ABER: Ab Mitte August wird es schwierig, so gelassen damit umzugehen. Die Wespen spüren, dass der Sommer vorbei geht. Es gibt weniger Insekten, die den Wespen als Nahrung für die letzte Brut des Jahres dienen. Sie brauchen Proteine. So kommen die Wespen mehr in die Nähe der Menschen, werden forscher - sie haben den biologischen Auftrag, ihre Kinder noch rechtzeitig auszubrüten.
Das macht sie natürlich auch aggressiver.
Da kann es dann auch passieren, dass Freunde von mir, deren Verhalten gegenüber Wespen sonst nicht auf mein Verständnis stößt, zu meinen Lebensrettern werden und besonders hartnäckige Exemplare nach erfolglosen Verdrängungsmechanismen eliminieren.

Es ist also nicht gaaaaaanz sooooooooooo einfach, ruhig und besonnen zu bleiben. Auch bei der größten Tierlieber nicht.

Gerne gelesen hab ich es dennoch (ganz ohne Herzklopfen) und mir den ein oder anderen Trick gedanklich notiert. :D

Liebe Grüße - Ava

 eiskimo äußerte darauf am 20.08.20:
Liebe Ava!
Ich ziehe den Hut vor Deiner Disziplin und Tierliebe. Wauuwww!
Für mich ist das alles nicht dramatisch; Wespenstiche verlaufen absolut glimpflich, ich fühle also alles andere als heldenhaft.
Komm gut durch diese gefährliche Zeit!
LG
Eiskimo
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